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Nummer 12/1996
64. Jahrgang
OSTTIROLER
HEIMATBLATTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
Der ungewöhnliche Standort
der Helenenkirche auf einer
Rückfallkuppe hoch im Wald
mit weitem Blick über dem
Schleinitz-Schwemmkegel
ließ u. a. Franz Kollreider an
die mögliche Überschichtung
eines vorchristlichen Heiligtu-
mes denken
1
. Eine weit
zurückreichende Geschichte
des Platzes legte auch ein
schon lange bekannter, am
Hang des Hügels gefundener
römischer Schlüssel nahe
2
.
Auch die Vieh, Fruchtbarkeits-
und Wetteranliegen geltende
Wallfahrt hätte ebenso wie der
besondere Karsamstagsritus
in diese Richtung deuten kön-
nen
3
. Nichts davon lassen hin-
gegen die verschiedenen, mit
der Gründung der Kirche in
Verbindung stehenden Le-
genden vermuten. Die aus-
führlichste bringt den Bau mit
der Sühne eines Görzer Grafen
für einen Mord in Zusammen-
hang. Eine Klärung dieser
Fragen, aber auch der Bauge-
schichte, war nur von einer
Grabung zu erwarten, die im
September 1996 anläßlich der
geplanten Innenrenovierung
möglich wurde. Dabei fanden
sich Reste eines romanischen
Vorgängerbaues, der vor Er-
richtung der heutigen, im we-
sentlichen gotischen Kirche
zwei Veränderungen erfuhr.
Von der ältesten Anlage war
der Grundriß des quadrati-
schen Chores (lichte Maße
2,80 x 2,80 m) im Nord- und
Ostfundament (Stärke 0,90
m) erhalten (Abb. 2). Die Lage
der ausgerissenen südlichen
Wand konnte über den Funda-
mentgraben gesichert werden.
Dieser war rund 20 cm in den
gewachsenen Boden einge-
tieft
4
, der von Süden nach Nor-
den um etwa 20 cm abfiel. Die
Nordmauer des Chores wies
stellenweise einen leichten
Fundamentvorsprung auf, der
in durchschnittlich 50 cm
Tiefe lag. Das Mauerwerk des
Gründungsbaues bestand aus
Lesesteinen sehr verschiede-
ner Größe, die sorgfältig und
meist in geringem Abstand in
bräunlichem Mörtel verlegt
waren. Am Nordende der
Ostwand war noch etwas Putz
erhalten, der bis in eine Tiefe
von 48 cm reichte. Der eben-
falls quadratische Altar (etwa
1 x 1 m, Unterkante in durch-
schnittlich 50 cm Tiefe) lag
0,50 m vor der Rückwand. Ge-
gen das Schiff war das Pres-
byterium durch einen im Nor-
den freigelegten, 0,40 m ein-
gezogenen
Triumphbogen
abgesetzt. Zu dieser Bauphase
gehört nach Mauertechnik
und Mörtelzusammensetzung
das durchschnittlich 1,25 m
breite, ebenfalls teilweise
ausgerissene Fundament der
Westwand, das im Norden und
Süden von den Längsmauern
des gotischen Schiffes abge-
schnitten war. Das romanische
muß deshalb mindestens die
Breite des gotischen gehabt
haben. Die leichte Südver-
schiebung des gotischen Cho-
res gegenüber dem älteren er-
gibt, unter der Voraussetzung
eines symmetrischen Grun-
drisses, in der zeichnerischen
Wilhelm Sydow
Die Baugeschichte der St. Helenenkirche
bei Oberlienz
Außenansicht von St. Helene; Aufnahme von 1970.
Foto: M. Pizzinini