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gemeint, sondern ein durchaus zeitgenös-
sischer architektonischer Ausdruck des
Bodenständigen, mit zeitgenössischer
Material- und Formsprache.
Es gibt in Lienz inzwischen stadtplane-
rische Konzepte und bereits realisierte wie
angelaufene Bauprojekte, die einen Ge-
sinnungswandel und bewußteren Umgang
mit der historischen Stadt erkennen lassen.
Ein wesentlicher Schritt war die Aus-
arbeitung eines Rahmenplans (1992/93)
durch ein außenstehendes Stadtplanungs-
büro: Das zukunftsorientierte Stadt-
entwicklungskonzept enthält wertvolle
Gestaltungs-, Bauverdichtungs- und Nut-
zungsvorschläge (Parken, Handel, Ver-
weilräume etc.), die den unterschiedlichen
Maßstäben von historischer Innenstadt
einerseits und neuerer städtischer Zonen
andererseits angepaßt sind. Die alten
Stadtgrenzen (u. a. Mühlgasse) und Ein-
gänge zur Altstadt sollen durch entspre-
chende bauliche Akzente wieder deut-
licher herausgestrichen werden. Bereits
sichtbare Anfänge eines Rückbaus der
innerstädtischen Gassen, Passagen und
Plätze für die Fußgänger sind die Revita-
lisierung bzw. Neugestaltung alter
Durchgänge (Torgasse, Apothekergasse)
oder die gestalterische Verbesserung der
Straßen- und Platzoberflächen durch zo-
nierende Pflasterungen.
Die Parkraumbeschaffung außerhalb
der Altstadt entlang der Tiroler Straße läßt
auf eine Verkehrsberuhigung und Rück-
gewinnung der innerstädtischen Gassen
und insbesondere der Plätze für die
Fußgänger hoffen. Architektonische Ein-
fühlung auf die historische Bausubstanz ist
heute großteils bei öffentlichen Bauten zu
finden: Liebburg, Bezirksgericht, Gendar-
meriegebäude, Bürgerspital (BORG),
Postgebäude und Hauptschulbau. Bei den
Neueinfügungen links und rechts der Lieb-
burg am Europaplatz (Tourismusver-
band, Gendarmariegebäude) gelingt die In-
tegration durch eine sich formal dem Alten
angleichende kleinteilige Gliederungs-
struktur im Wand-Öffnungs-Verhältnis
und durch die Einhaltung des dreige-
schoßigen, langgestreckten Maßstabs.
Auch der Zubau an den neoklassizisti-
schen Hauptschulbau (Abb. 3) paßt sich
durch eine Modifizierung des historischen
Fensterschmucks der Formensprache des
Altbaus an. Durch die Gruppierung der
großflächigen Turnsaalfenster in je drei
Hochformatfenster mit feingliedriger Ra-
sterung wird der Bezug zum historischen
Fensterformat in Einklang gebracht mit
dem zweckbedingt höheren Bedarf an
natürlicher Belichtung. Trotz zeitgenössi-
scher Ausprägung des Neugebauten ent-
steht der Eindruck von Zusammen-
gehörigkeit. Im Unterschied zu einer ver-
logenen Stilkopie wird durch die
Neuformulierung die Zugehörigkeit des
Neuen zur gegenwärtigen Architekturepo-
che und damit die Existenz einer baukul-
turellen Kontinuität sichtbargemacht.
Historisierende Neueinfügungen dieser
Art sind populär, weil architektonisch
leicht verständlich, – das Erscheinungsbild
des Neuen verbleibt nahe den alten Seh-
gewohnheiten. Daraus folgert andererseits
auch die Gefahr der allzu unreflektierten,
weil ungebundenen und rein dekorativen
Benutzung einer historisierenden For-
mensprache; so seit mehreren Jahren bei
„Fassadenverschönerungen“ an Lienzer
Stadthäusern zu beobachten und so auch
exemplarisch in den 60er Jahren am Bau
der Lienzer Sparkasse vorgeführt:
Während man anderorts den plastischen
Schmuck abgeräumt hat, wurde hier, am
ursprünglich modernen Bau der Lienzer
Sparkasse durch umgekehrte Vorgangs-
weise ein ebenso folgenschweres archi-
tektonisches Dilemma verursacht: Der
Originalbau der Zwischenkriegszeit
(1928/29) stammt von Franz Baumann,
einem der bedeutendsten Architekten der
Tiroler Moderne, der sich unter anderem
mit der Planung der Innsbrucker Nordket-
tenbahngebäude (Hafelekar, Seegrube,
Hungerburg) einen Namen gemacht hat.
Ganz im Geist der Avantgarde der 20er
Jahre hebt sich der Bau in seiner Original-
fassung (Abb. 4) entschieden vom damals
populären Heimatstil ab. Heimatverbun-
denheit wird hier nicht durch oberflächlich
nostalgisches Dekor angezeigt, sondern
durch eine dezente Anknüpfung an ganz
grundsätzliche Merkmale des alten
Lienzer Bautyps, jedoch ausformuliert in
der abstrakten Architektursprache der
Moderne.
Die durch Abrundung zusammengezo-
gene Süd- und Ostfassade haben den lang-
gestreckten Charakter des lokalen Haus-
typs. Waagrechte Gliederung von Fenster
und Erdgeschoßgitter sowie Sockelbildung
unterstützen den lagerhaften Ausdruck.
Der einzige dezent formulierte Schriftzug
steht in Einklang mit der Architektur.
Erker und Rundbogen als neuformulierte
historische Zitate geben dem Bau eine be-
sondere Note. Baumanns Lösung war
wohl zu „schlicht“ modern, um dem
Dekorbedürfnis der Lienzer zu entspre-
chen und wurde, wie viele architektonisch
elitäre Bauten bereits zu seiner Entste-
hungszeit von vielen abgelehnt.
In mehreren Umbauphasen nach dem
Zweiten Weltkrieg wurde die geschlosse-
Nummer 3 –– 65. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i m a t b l ä t t e r
Abb. 4: Die Originalfassung der Lienzer Sparkasse nach den Plänen von Architekt Franz
Baumann im Stil der Tiroler Avantgarde der Zwischenkriegszeit.
Foto: Franz Baumann (Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck)
Abb. 5: Die Lienzer Sparkasse mit der im Jahre 1966 umgestalteten Außenfassade.
Foto: A. Kollnig-Klaunzer