Seite 4 - H_1997_04

Basic HTML-Version

Der in den Jahren 1994 bis 1996 revita-
lisierte Barbarahof (Arch. Dieter Tuscher)
steht als wegweisendes Beispiel dafür, daß
sich auch bei stark angegriffener Bausub-
stanz eine Wiederbelebung lohnt (Abb. 8).
Architektonisch gesehen erhält der Neu-
bau erst durch den Einbezug des alten
Gemäuers seine unverwechselbare Gestalt.
Das Geschichtliche bleibt in der erneuer-
ten Baugestalt anschaulich, das „gewohn-
te Bild“ ist im Neuhinzukommenden inte-
griert und ein Identitätspunkt mehr
erhalten geblieben. Das Aufeinanderab-
stimmen von Alt und Neu gibt diesem für
den östlichen Hauptplatzabschluß doch
markanten Stadtwinkel den Anschein
eines bruchlosen Weiterwachsens.
Grundsätzlich wäre es notwendig, den
leichtfertigen Abriß und den durch langes
Leerstehen verursachten Verfall durch
rechtzeitige Neu- oder Umnutzung zu ver-
hindern. Eine baldige Neunutzung würde
auch den unwiederbringlichen Baudenk-
mälern Tammerburg und dem vormaligen
Rathaus am Johannesplatz eine sinnvolle
Weiterexistenz sichern. Aktuelle bauliche
Aktivitäten an der Mühlgasse (EKZ
Mühlgasse) und Tirolerstraße (Dolomi-
tencenter, Umbau Möbelzentrum Nuß-
baumer, Steinringerbau) verfolgen eine
bauliche Verdichtung mit dem Ziel einer
deutlicheren Ablesbarkeit des südlichen
Innenstadtrandes sowie einer Anhebung
der Orientierungs- und Gestaltqualität ent-
lang dieser Hauptdurchfahrtsstraße. Diese
neueren Stadtzonen südlich der Mühlgasse
und im Raum entlang der Hauptdurch-
fahrtsstraßen sind aufgrund geänderter Be-
dingungen und Anforderungen einer
Stadtentwicklung im industriellen Zeitalter
anders geformt als die nach mittelalter-
lichen Kriterien gewachsene Innenstadt.
Im Unterschied zur geschlossenen,
homogenen Altstadt werden diese Räume
außerhalb vorwiegend besetzt von ge-
werblichen Betrieben, Tankstellen, Möbel-
kaufhäusern und Supermärkten, die eine
großformatigere und heterogene Bebau-
ungsstruktur aufweisen und entsprechend
andere bauliche Antworten zur Identitäts-
bildung verlangen.
Daß jene insbesondere neuere städtische
Zonen „schwerbelastende Bauaufgabe“
Supermarkt auch architektonische Akzen-
te setzen kann, demonstrieren in Lienz die
beiden M-Preis-Märkte an der Beda We-
ber-Gasse von Architekt Heinz Planat-
scher und jener am Fuß des Schloßbergs
von Architekt Wolfgang Pöschl.
Seit den späten 70er Jahren errichtet
diese Tiroler Firma ihre Lebensmittel-
märkte nur in Zusammenarbeit mit Archi-
tekten und gilt als bedeutender Förderer
der Baukunst in Tirol. Im Unterschied zum
stereotypen Unternehmensbild vieler
Handelsketten präsentiert sich M-Preis mit
individuell gestalteten Supermarktbauten
in einer hochwertigen zeitgenössischen
Architektursprache. Definiert wird der Fir-
mentyp immer durch das rote Quadrat
(oder Würfel) mit Schriftzug als Logo und
blauen Details an Eingangsfassaden, wo-
bei deren Erscheinen keinen starren
Zwängen unterliegt, sondern sich spiele-
risch in die Architektur integrieren.
Tageslicht in den Innenräumen, Einblicke
und Ausblicke als dezidierte Anforderun-
gen sind beim Objekt am Schloßberg
durch umfangreiche Verglasung ausrei-
chend gegeben (Abb. 9).
Das Glas gibt dem Bau zusammen mit
der offengelegten filigranen Konstruktion
und der leichten, gekrümmten Dachhaut ein
leichtes und offenes Aussehen, wodurch
ein Erdrücken der angrenzenden Natur des
Schloßbergs verhindert wird. Naturbelas-
sene Holzverkleidungen, die im innerstäd-
tischen Ambiente wie deplazierte Mit-
bringsel vom Land erscheinen, haben hier
im Übergang zwischen städtischem und
ländlichem Raum nichts mehr Befremden-
des an sich. Der warme Farbton des Holzes
nimmt der Glas-Stahl-Konstruktion seine
Kühle und verleiht dem Bau zusammen mit
wohldosierter Farbgebung einen einladen-
den und freundlichen Ausdruck. Dieser
Bau vermittelt eine Vorstellung davon, wie
gestalterisch vernachlässigte Außenzonen
durch anspruchsvolle Architektur aufge-
wertet und neue Identifikationspunkte ge-
schaffen werden können.
Literaturauswahl
Ebner, Alois, Hauskunde von Osttirol, Phil.-Diss., MS,
Innsbruck 1972
Pizzinini, Meinrad, Lienz – Das große Stadtbuch, Lienz
1982
Hoor, Dieter – Reiners, Holger, Alte Bauten – Neues
Wohnen, München 1990
Kuz, Zehra – Chramosta, Walter M. – Frampton, Ken-
neth, Autochthone Architektur in Tirol, Hall i. T. 1992
Tzonis, Alexander – Lefaivre, Liane, Kritischer Regio-
nalismus, in: Architektur in Europa seit 1968, Hamburg
1992
Rahmenplan Innenstadt Lienz, bearbeitet vom Büro für
Stadtplanung, Architektur, kommunale Beratung
BDA/SLR Prof. Stracke + Partner, München 1992/93
Schlorhaufer, Bettina, Architektur aus Selbstverständnis,
in: Architektur & BauForum, Heft Nr. 185 November/
Dezember 1996.
O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
Nummer 4 –– 65. Jahrgang
Abb. 9: M-Preis am Schloßberg von Architekt Wolfgang Pöschl (Fertigstellung 1992).
Abb. 8: Barbarahof – Das Geschichtliche bleibt in der erneuerten Baugestalt
anschaulich.
Fotos: A. Kollnig-Klaunzer
Andrea Kollnig-Klaunzer
(2)
Baukultur in Lienz
Bausünden der Vergangenheit und Architektur der Gegenwart