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Nummer 7 –– 65. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i m a t b l ä t t e r
selbst, daß er die Leitung des Unterneh-
mens erhielt – Georg Mellitzer ging An-
fang der 30er Jahre in die Firmenzentrale
nach Wien (VI, Mariahilfer-Str. 45) – und
als Konsulent und Mitteilhaber mit
großem Einsatz tätig war; wir wissen, daß
auch Stemberger nach Österreich zurück-
gehen wollte
12
.
Bis 1929 arbeitete er an der versuchten
Rettung der ehemals österreichischen
Betriebe, hatte jedoch mit enormen
Schwierigkeiten von seiten der sloweni-
schen Banken zu kämpften, ebenso von
seiten der öffentlichen Stellen, die dem Ti-
roler Unternehmen wenig Sympathie ent-
gegenbrachten. In seinem Lebenslauf
spart er nicht mit Kritik an der „chauvi-
nistischen Einstellung“ in Slowenien. Die
Fabrik produzierte schließlich so gut wie
nichts mehr, sodaß der Betrieb 1931 end-
gültig eingestellt werden mußte
13
.
Josef Stemberger hatte nicht nur aus
wirtschaftlichen Gründen, sondern vor
allem aus persönlicher Überzeugung
schwer am Zusammenbruch der Monar-
chie gelitten; er war ein felsenfester Tiro-
ler Patriot, habsburgtreu und tief gläubiger
Katholik, dabei aber durchwegs tolerant.
Auch nach der Verbannung der kaiser-
lichen Familie pflegte er brieflichen Kon-
takt mit der kaiserlichen Familie, insbe-
sondere mit Otto von Habsburg, der später
auch Firmpate seines ältesten Sohnes
Edwin werden sollte. Selbst finanziell ließ
er Habsburg manche Unterstützung zu-
kommen.
Ab 1929 war Stemberger Präsident des
österreichischen Hilfsverbandes in Lai-
bach; Näheres ist über diese Tätigkeit
nicht bekannt. Bundeskanzler Dr. Engel-
bert Dollfuß (1932 – 34) hatte ihn sogar als
Generalkonsul ausersehen, ein Plan, der
jedoch nicht verwirklicht wurde
14
. Am 9.
9. 1936 konnte die Firma an die Drau-Ba-
novina verkauft werden
15
.
Anfang 1937 kam Dr. Stemberger nach
Wien und wohnte in der Mariahilfer
Straße, in der sich bereits mehrere Defe-
regger Niederlassungen befanden
16
. Noch
im Jänner berief ihn der damalige
Bundeskanzler Dr. Kurt von Schuschnigg
ins Kanzleramt, um ihn zunächst
(ab 29. Jänner) zwischenzeitlich mit den
Agenden zwischen dem Kanzleramt und
der Druck- und Verlagsanstalt „Vorwärts“
zu betrauen. Eine andere dienstliche Ver-
wendung, zu der sich Stemberger nicht
näher äußert, stand bevor. Durch den
Einmarsch der Deutschen sollte es jedoch
anders kommen. Bereits am 12. 3. 1938
verlor Stemberger „Dienst und Einkom-
men“
17
.
Seine Tochter Anni erinnert sich an die
dunklen Ahnungen, die ihr Vater über die
politische Zukunft damals hatte: „Es wird
Krieg kommen“, sagte er kurz vor Hitlers
Einmarsch; und im Zusammenhang mit
seiner Entlassung:
„Ein jüdischer Kollege
und ich waren die ersten, die dort ihre
Stellung verloren haben.“ Am Tag der
Volksabstimmung ging mein Vater nicht
zur Wahl. Zu einem Wahlhelfer, der am
selben Nachmittag kam, um sich nach dem
Grund für sein Fernbleiben von der Ab-
stimmung zu erkundigen, sagte er: „Für
diese Wahl gebe ich meine Stimme nicht
ab. JA wählen kann ich nicht, NEIN
wählen hat ohnehin keinen Sinn.“ –
„Dann werden Sie eben die Folgen zu tra-
gen haben!“ lautete die Drohung des
Wahlhelfers, der sich hierauf an meine
Mutter wandte: „Und wie ist es mit
Ihnen?“ – „Ich mache es ebenso wie mein
Mann!“ war ihre Antwort, worauf der
Wahlhelfer wortlos die Wohnung verließ.
Stemberger wohnte jetzt in der Kaunitz-
gasse, ebenfalls im 6. Bezirk. Da er keiner
der Naziorganisationen beitrat, vielmehr
als Gegner des Nationalsozialismus be-
kannt war, konnte er sich nur durch gele-
gentliche Anstellungen über Wasser halten
und erlitt ernste gesundheitliche Schädi-
gungen.
Am 1. Juni 1942 wurde er vorüberge-
hend als Revisionsassistent bei der Deut-
schen Revisions- und Treuhand-Aktien-
gesellschaft, Zweigstelle Wien, angestellt,
was mit dringlichem Kräftebedarf (infolge
vielfacher militärischer Einberufungen)
begründet wurde. Infolge dieser Tätigkeit
wurde ihm sogar ein Reisepaß für eine ein-
malige Reise zu einem Kupferbergwerk in
Serbien ausgestellt. Kurzzeitig arbeitete er
auch als Versicherungsagent.
Kriegsdienst leistete er aus gesundheit-
lichen Gründen während des Zweiten Welt-
krieges nie; am 28. Jänner 1945 wurde ihm
vom Wehrbezirkskommando Wien I. ein
Untauglichkeitsbescheid infolge seiner
Erkrankung ausgestellt – offenbar hatte
man ihn angesichts der prekären militäri-
schen Situation nun doch einberufen wol-
len; dieser Bescheid weist eine nochmali-
ge Bestätigung vom 13. 4. 1945, Wehr-
meldeamt Lienz auf. Im April 1945 gelang
es dem Sohn Edwin, seinen Vater, seine
Mutter und seine Schwester kurz vor der
Einnahme Wiens durch die Russen zu eva-
kuieren. Edwin, damals bei einer Einheit
in Großhollenstein bei Amstetten, schil-
derte diese dramatischen Ereignisse:
Ich war Anfang 1945 mit meiner Ein-
heit in der Nähe von Großhollenstein. An-
fang April 1945 standen die Russen bereits
vor Wien. Ein Mitschüler von mir aus dem
Jesuitenkolleg Kalksburg – er war Adju-
tant des Abteilungskommandanten – und
weitere Offiziere organisierten einen
Lkw-Transportauftrag nach Wien, der
aber nur die Aufgabe hatte, unsere An-
gehörigen aus Wien herauszubringen. Ein
Großteil unserer Mannschaft waren
Österreicher und antinationalsoziali-
stisch eingestellt, so daß man alles tat, um
eine Abstellung der Soldaten an die Front
zu verhindern. Ich war nun bei einem die-
ser Transporte nach Wien dabei, kam in
die Kaunitzgasse, in die Wohnung meiner
Eltern, wo mein Vater, meine Mutter und
meine Schwester über meine Ankunft völ-
lig überrascht waren. In Mödling donner-
ten bereits die russischen Kanonen. Mein
Vater sagte: „Um Gottes willen, was
machst du denn da?“ – Darauf entgegne-
te ich nur: „Packt’s eure Sachen, wir brin-
gen euch raschestmöglich nach Amstet-
ten! Von dort geht noch ein Zug nach
Selzthal und nach Lienz – somit in den
sicheren Westen.“ Nach einer Stunde wurde
Josef Stemberger als Schüler der 1. Klasse
des Gymnasiums Vinzentinum in Brixen.
Josef Stemberger als Mitglied der Studentenverbindung Raeto-Bavaria in Innsbruck.