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O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
65. Jahrgang –– Nummer 10
„Gesetz über Gebietsveränderungen im
Lande Österreich vom 1. Oktober 1938“
praktisch endgültig abgesegnet wurde.
Während die Angliederung an Kärnten
offiziell mit der isolierten geographischen
Lage des Bezirks begründet wurde,
spricht doch einiges für sich, daß Adolf
Hitler selbst, mit Hinblick auf seinen Ver-
bündeten Benito Mussolini, „Osttirol“ als
Mahnmal an das zerrissene Tirol und als
Rest Südtirols eliminieren wollte.
Mit seinem Machtzuwachs im Laufe des
Krieges versuchte Hofer 1943/44 neben
Südtirol auch Osttirol wieder in seine Reich-
weite zu bringen und besuchte aus Anlaß
des 2. Kreisschießens im Juni 1944 sogar
Lienz. Dabei dankte er dem anwesenden
Gauleiter von Kärnten, Friedrich Rainer, der
„Osttirol“ erneut als „Bindeglied“ zwischen
den beiden Gauen bezeichnete.
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Kurz nach Kriegsende informierten die
maßgeblichen Osttiroler Politiker Inns-
bruck vom sehnlichen Wunsch auf baldige
Rückgliederung des Bezirkes an Tirol. In
der ersten Phase dieser Entwicklung von
Mai bis Dezember 1945 waren zwei
Faktoren förderlich: zum einen die
Zugehörigkeit Osttirols zur Apostoli-
schen Administratur Innsbruck-Feldkirch
während der gesamten NS-Zeit, zum
anderen die Integration Osttirols in den
neu organisierten Tiroler Bauernbund.
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Am 11. Juli 1945 übersandte der Be-
zirkshauptmann von Lienz, der NS-Ver-
folgte und Widerständler Theodor Hibler,
eine große Sammlung an Schreiben der Ost-
tiroler Bürgermeister und von Privatperso-
nen an den Provisorischen Landeshaupt-
mann Karl Gruber. Deren Kern bildeten die
gegen den Willen der Bevölkerung 1938
durchgeführte und als „Gewalttat Hitlers“
bezeichnete Zuteilung Osttirols an Kärnten
und besonders das innige Verlangen auf
baldige Rückkehr des Bezirks zu Tirol.
Auch mit Kritik an der „Kärntner Naziherr-
schaft“ wurde nicht gespart. Hibler betonte
außerdem die Hoffnung, „mit unserem lie-
ben Südtirol wieder in unserem Mutter-
lande vereinigt zu sein“.
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Grubers Antwort
zwei Wochen später drückte „Genugtuung“
aus, wobei „diese Wiedervereinigung als
eine Selbstverständlichkeit“ gesehen werde.
Er erwähnte auch die bereits beschlossene
Erweiterung der provisorischen Landesver-
sammlung um vier Osttiroler Mandatare.
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Der Beschluß der Landesregierungssitzung
vom 16. Juli sah außerdem elf zusätzliche
Südtiroler Abgeordnete vor.
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Vor dem Hin-
tergrund der großen Südtirol-Kundgebun-
gen in Tirol Anfang September 1945 mein-
te der Tiroler Landesamtsdirektor und
frühere Osttiroler Bezirkshauptmann
Franz Kundratitz in einem privaten Brief an
Hibler, daß die Rückgliederung Osttirols
„einheitlich“ mit der erhofften Rückgliede-
rung Südtirols stattfinden könnte. Man wol-
le die Frage des Bezirkes Lienz aber nicht
„auf die lange Bank“ schieben, doch die
Abgelegenheit und die unterschiedliche Be-
satzung bereiteten Probleme. Man werde
aber die Osttiroler „weder vergessen, noch
auslassen“.
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Einen erster Schritt in die richtige Rich-
tung sollte die Regelung der Tiroler Land-
tagswahlen bringen, die zusammen mit
den Nationalratswahlen am 25. November
1945 durchgeführt wurden und bei denen
man die Osttiroler Stimmen bereits zum
Tiroler Ergebnis zählte. Die gewählten
Landtagsabgeordneten des Bezirkes hatten
ihren Arbeitsplatz aber vorläufig in Kla-
genfurt!
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Außenminister Gruber hatte mit
der britischen Besatzungsmacht generell
vereinbart, daß Osttirol weiterhin verwal-
tungsmäßig bei Kärnten bleiben solle, „bis
eine Lösung mit Südtirol erreicht“ sei und
daß die dortigen Mandatare vor der „Rück-
gabe Südtirols“ eben nicht an den Sitzun-
gen in Innsbruck teilnehmen sollten.
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Die
Tiroler Volkspartei hatte bei den Land-
tagswahlen eine Zwei-Drittel-Mehrheit er-
reicht; die Sozialisten lagen mit knapp
über
25
%
auf
Platz
zwei,
wo hingegen die Kommunisten mit nur
2,2 % der Stimmen weit abgeschlagen und
im Landtag gar nicht vertreten waren. In
Osttirol dominierte die Volkspartei mit fast
82 % (!) noch deutlicher, gefolgt von der
SPÖ mit 17,2 % und der KPÖ mit 1,1 %
der abgegebenen gültigen Stimmen.
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In der ersten Sitzung des neugewählten
Tiroler Landtages am 11. Dezember
sprach der Bauer Franz Kranebitter im Na-
men der übrigen Osttiroler Vertreter, der
Bauern Anton Rainer und Jakob Anne-
wanter sowie des Bundesbahnpensionisten
Alois Lugger, und betonte die politische
Heimkehr des Bezirkes als erste Stufe der
ersehnten Wiedervereinigung sowie den
„Wermutstropfen“ Südtirol. Annewanter
beklagte, daß die Osttiroler Mandatare, ge-
wählt für Tirol, jedoch mit Sitz in Klagen-
furt, „in der Luft“ hingen.
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Wenn auch die
Klagenfurter Stellen die Verwaltungs- und
Vollzugsrechte ausübten, so konnte doch
die Rechtsgleichheit zwischen Tirol und
Osttirol hergestellt werden, wonach ab 1.
Jänner 1946 Tiroler Landesgesetze und Ti-
roler Landesregierungsbeschlüsse auch im
Bezirk Lienz Gültigkeit besaßen.
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Der
verwaltungsrechtliche Instanzenweg soll-
te von der Bezirkshauptmannschaft Lienz
direkt an die Tiroler Landeshauptmann-
schaft gehen, welche ihre Bescheide wie-
derum der Landeshauptmannschaft in
Klagenfurt mitteilte, von wo die Durch-
führung in Lienz veranlaßt wurde. Einzig
in Fragen des Landwirtschafts- und
Ernährungsamtes war ausschließlich
Kärnten zuständig.
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Die zweite Phase bis zum Herbst 1946
bestimmten erste Tätigkeiten des eigens
berufenen Landesbeamten Franz Kun-
dratitz, besonders für die Rechte der
Osttiroler Landtagsabgeordneten, und die
Dominanz der Südtirolproblematik. Bereits
am 1. Feber 1946 vermeldete die neu ge-
gründete Bezirkszeitung, der Osttiroler Bote,
die Betrauung des provisorischen Landes-
amtsdirektors und Bezirkshauptmannes
von Lienz 1927 bis 1936, Franz Kundra-
titz, mit der Rückgliederung Osttirols. Als
höchster Beamter des Landes folgte ihm
übrigens sein Vorgänger als Lienzer Be-
zirkshauptmann Erich Kneussl nach.
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Als
„Sonderbeauftragter“ bzw. „Referent für
die Rückführung Osttirols“ wurde Kun-
dratitz zum entscheidenden Verbindungs-
mann zwischen Innsbruck und Lienz. Am
gleichen Tag, also dem 1. Feber, beschloß
der Tiroler Landtag aufgrund der unge-
klärten Stellung der vier Osttiroler Abge-
ordneten deren dreimonatige Beur-
laubung ab 1. März, unter der Vorausset-
zung ihrer Mandatsausübung in Klagen-
furt. Doch im Kärntner Landtag wurden
die vier ÖVP-ler aus dem Bezirk Lienz als
„Gäste“ ohne Stimmrecht eingestuft, sodaß
man sie wieder nach Innsbruck einlud.
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Ein Antrag der Kärntner ÖVP-Fraktion am
29. März auf Gleichstellung der Osttiroler
Parteikollegen, der den Mandatsgleich-
stand mit der SPÖ bewirkt hätte, wurde
von den Sozialisten abgeschmettert.
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Die Südtirol-Frage, der das Hauptinter-
esse Österreichs und Tirols galt, ging 1946
in die entscheidende Runde. Auch in Ost-
tirol setzte man sich vehement für die
Rückkehr des abgetrennten Landesteiles
ein, aber nicht ohne auf das eigene Schick-
sal aufmerksam zu machen. Mit der Grün-
dung des Osttiroler Bote Anfang des
Jahres hatte man sich neben der
Ernährungssicherung besonders dem
Thema „Südtirol“ verschrieben. Dies
zeigte „plastisch“ der halbe Tiroler Adler
Wiedervereinigungsfeier in Lienz am 19. Oktober 1947. Als Festplatz diente der Sport-
platz an der Pustertaler Straße.
Foto: Dina Mariner, Lienz