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O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
65. Jahrgang –– Nummer 12
Der Brauch, zu bestimmten Festen im
Jahres- und Lebenslauf (Weihnachten,
Ostern, Kirchweih; Geburt, Reife, Ver-
mählung, Ableben), aber auch an wichti-
gen Einschnitten des Arbeitsjahres und der
Erntezeit Gebildbrote und verzierte oder
speziell geformte Gebildgebäcke herzu-
stellen, sie zu verzehren oder weiterzu-
schenken, ist so alt wie die ältesten uns be-
kannten Kulturvölker. Haben diese ihren
(heidnischen) Göttern geopfert und Sinn-
bilder ihrer Gottheiten dargestellt, um ih-
nen Ehre zu erweisen oder aber sich diese
einzuverleiben, um ihres besonderen
Schutzes und ihrer Hilfe teilhaftig zu wer-
den, so fand dieses Verhalten bei den chri-
stianisierten Völkern des Abendlandes und
der Neuen Welt, freilich unter neuen
Inhalten und anderer Sinngebung, seine
Fortsetzung. Neben oder an die Stelle der
altheidnischen Gebäckformen traten
christliche Symbole und szenische Dar-
stellungen, das Opferlamm und die Frie-
denstaube etwa, die Geburt Christi als ein
Höhepunkt der neutestamentarischen
Heilsgeschichte und die Anbetung der
Heiligen Drei Könige, Darstellungen be-
sonderer Fürsprecher und Schutzheiliger,
Nachbildungen von Kultobjekten beson-
ders beliebter Gnadenorte.
Zur Zeit der Aufklärung, aber auch in
der Folge ließ man nicht etwa von den
überbrachten Gebildgebäcken ab, im Ge-
genteil: Man nahm eine Vielzahl profaner
Formen zum alten Darstellungskreis hinzu,
Liebesgaben (Herzen) z. B., Formen mit
erotischem Hintergrund, Vertreter und
Szenen der höfischen Gesellschaft, Tiere
und Jagdszenen, Waffen, Fatschen- und/
oder Wickelkinder mit oder ohne Wiege,
Bildvorwürfe der Pflanzen- bzw. Blumen-
welt sonder Zahl, usw.
Geradezu überschwenglich in Motiv-
wahl, Form und Ausführung stellen sich
Gebildgebäcke im Barock dar.
Im Bestreben, die einzelnen Gebildge-
bäcke in bewährter Art und Weise wie-
derholen bzw. nachfertigen und vor allem
in größerer Menge herstellen zu können,
entwickelte man frühzeitig schon eigene
Model von (relativ) dauerhaftem Material
(Hartholzblöcke) zur Ausformung der ver-
schiedenen, sehr zähen Teiggebilde aus
Honig, Mehl und diversen geschmacks-
bildenden Zutaten.
Das lag nicht nur im ureigensten Inter-
esse der Hersteller, die wir spätestens mit
dem Beginn der berufsmäßigen Ausübung
des Bäckerhandwerkes ansetzen müssen,
sondern auch der Abnehmer und Endver-
braucher. Unter letzteren sind zweifellos
auch eigentliche Auftraggeber zu suchen.
Für die Herstellung von Gebildgebäck,
das nun nicht nur den bescheideneren An-
sprüchen im Hausgebrauch genügte, son-
dern hochentwickelte, kunstvolle Formen
und erlesene Rezepte erheischte, bildete
sich ein eigenes, ursprünglich dem
Bäckergewerbe zugeordnetes Gewerbe
heraus, die
Lebzelterei.
Genaugenommen
vereinigte dieses „Sondergewerbe“ die
Tätigkeiten des
Wachsziehers
(für
Brenn- bzw. Leuchtkörper) und des
Leb-
zelters
in einer Hand, was sinnigerweise
dadurch erhellt, daß beide ihren wichtig-
sten Roh-Werkstoff, Wachs bzw. Honig,
vom selben natürlichen „Produzenten“, der
Biene, bezogen.
Zwar läßt sich das Bruderschafts- bzw.
Zunftwesen, worunter der Zusammen-
schluß Gewerbetreibender nach eigenen
Regeln mit dem Ziel der wirtschaftlichen
Sicherstellung zu verstehen ist, in Lienz
bis ins frühe 14. Jahrhundert zurückver-
folgen
1
, ein namentlicher Vertreter der ob-
genannten Profession ist anhand der
äußerst dürftigen Quellenlage jedoch
nicht eruierbar.
Die Existenz von Wachsziehern und
Lebzeltern für die Zeit des 16. bis 18. Jahr-
hunderts können wir aber als gesichert be-
trachten
2
. Neben dem wohl schönsten noch
erhalten gebliebenen Lienzer Lebzeltmo-
del vom Jahre 1644 als gesichert zu er-
achtendes Sach-Belegstück datieren die er-
sten schriftlichen Hinweise auf Lienzer
Lebzelter aus dem 17. Jahrhundert
3
.
In der Zeit vom 17. bis 19. Jahrhundert
ist in Lienz ein knappes Dutzend berufs-
mäßiger Lebzelter faßbar
4
. Der frühestge-
nannte von ihnen –
Friedrich Hechelper-
ger
– erhält laut Eintrag im „Verfachbuch
Anwaltschaft“ vom 4. Dezember 1670
„die Bewilligung, sein erlerntes Bäcker-
handwerk zu treiben, Brandwein auszu-
schenken und Meth zu sieden auf ein Jahr,
doch daß er für Brandwein und Meth das
gebührende Umgeld zahle und an Sonn-
und Feiertagen während des Gottesdien-
stes weder Brandwein noch Meth aus-
schenke bei Straf“.
Er ist zwar nicht konkret als Lebzelter
ausgewiesen, doch weist in seinem Um-
feld manches darauf hin, daß er sich auch
mit der Herstellung von Honig-Gebild-
bäckereien befaßt hat.
Mit
Christian Kern
taucht nach einem
Vermerk im „Verfachbuch Stadtgericht“,
datiert mit 6. April 1688, der erste,
tatsächlich als Lebzelter bezeichnete, ein-
schlägige Professionist in Lienz auf. Ob
Christian Kern der bodenständigen Hand-
werkerfamilie (Maurer) Kern oder jener des
gleichnamigen Johann, zugewandert aus
Sillersdorf/Salzburg Land und 1646 mit ei-
ner Lienzer Bürgerstochter verehelicht
5
, der
als Bürger und Bierbräu in Lienz zu Besitz
und Ansehen gelangt war, entstammt, ist
vorderhand nicht verifizierbar.
Mit
Martin Waldner
tritt erstmals ein
Vertreter des Lebzeltergewerbes auf den
Plan, der (zwischen 1707 bis 1743) quel-
lenmäßig mehrfach erfaßbar ist
6
. 1714 tritt
er als Bürger und Lebzelter in Erschei-
nung, wobei ersteres für seine gesell-
schaftliche Stellung steht; 1717 als Käufer
eines Häuschens in der Kreuzgasse
7
, was
für eine prosperierende Geschäftstätigkeit
spricht. Rang und Wirtschaftstüchtigkeit
bildeten offensichtlich keine Garantie für
den dauerhaften Fortbestand der Waldne-
rischen Lebzelterei, wie deren Rechts-
nachfolgerin 1744 erfahren mußte
8
: „Eva
Temblerin, verwittibte Waldnerin, bittet,
ihr die Verehelichung mit einem Lebzel-
tergsöllen zu verwilligen“. Beschluss:
„Die Supplicantin wird bei ihrem erlebten
70jährigen Alter auf eine beglückte Ver-
ehelichung mit der Ebigkeit zu gedenken
angewiesen.“ Eva Waldner war eine
Tochter des Siegmund Ebenperger, Bürger
und Kürschner, und verstarb 1748 kin-
derlos.
Die Ersthälfte des 18. Jahrhunderts
scheint überhaupt eine erste Blütezeit für
das hiesige Lebzeltergewerbe gewesen zu
sein, dies insbesondere im Hinblick auf die
Zahl der Werktätigen, der ja eine gewisse
Gruppe an Mitarbeitern (Gesellen, Lehr-
linge) zugezählt werden muß: Neben Mar-
tin Waldner und dessen Ehewirtin werkten
nachweislich
Michael Stanglechner
9
,
Pfarrmesner in St. Andrä, Bürger und
Tischlermeister,
Sohn
des
Veit
Stanglechner in Abfaltern und 1747 kin-
derlos verstorben, und
Hanns Kröll
10
,
Sohn des Gregor Kröll, Kramer zu Lei-
sach, als Lebzelter in Lienz. Dies ist mit-
telbar ein Hinweis darauf, daß der Bedarf
an den köstlichen Honig-Gebildgebäcken
groß gewesen und der Absatz entspre-
chend gewährleistet sein mußte.
Mit den Namen
Brunner, Ebenberger
und
Dindl
treten um die Mitte des 18.
Jahrhunderts nicht nur gewichtige Vertre-
ter dreier renommierter heimischer, son-
dern nachgerade als „Lebzelterdynastien“
zu bezeichnender Bürgerfamilien ins
Rampenlicht. Sie bestimmen die Lebzel-
terei in Lienz bis weit ins späte 19. Jahr-
hundert herauf.
Ganz offenkundig zeichnet sich unter
den obgenannten
Johann Brunner
11
durch besonderes kaufmännisches Ge-
schick und Betriebsflexibilität aus: 1739
veräußert er sein vom Vater Lorenz, Rats-
Hochzeitskutsche, Ende 18. Jahrhundert.