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Bedenkt man nun die neuerliche doppelte
Auslastung dieses Mannes, so muss es ge-
radezu als unglaublich erscheinen, dass er
– zwischen Universität und Admonterhof
pendelnd – immer noch genügend Zeit für
seine historischen Forschungen erübrigen
konnte und dass er nunmehr sogar zum
Meister der steirischen Landesgeschichte
werden sollte. Eiserne Disziplin, vor allem
sich selbst gegenüber, überdurchschnitt-
liche Intelligenz, die vor allem in seiner
raschen Auffassungsgabe zur Geltung
kam und die Erfahrungen, die er schon in
Admont mit der Vereinbarung unter-
schiedlicher Tätigkeitsbereiche machen
konnte, setzten ihn instand, in seinen Gra-
zer Jahren eine umfangreiche Publikation
nach der anderen in Druck zu geben.
Nachdem die oben genannte Studie über
das keltische Norikum als wissenschaft-
liche „Erstlingsfrucht“ in der Fachwelt gut
aufgenommen worden war, machte er sich
an eine viel umfangreichere Arbeit über
das „Römische Norikum“, die in den Jah-
ren 1825 und 1826 in zwei Teilen in Druck
erschien; der erste Band dieses insgesamt
mehr als 750 Seiten umfassenden Wer-
kes wurde übrigens von der Universität
formell als Dissertation approbiert. Zwi-
schendurch fand der bienenfleißige Ge-
lehrte sogar noch Zeit, eine ausführliche
Abhandlung über die Geschichte der sla-
vischen Völkerschaften vorzulegen, einen
400-seitigen (natürlich in lateinischer
Sprache verfassten) Kommentar zu den
Gedichten des Horaz zu veröffentlichen
und sogar noch eine theologisch-liturgi-
sche Studie über das Weihesakrament in
Druck zu geben.
Im Hinblick auf dieses gewaltige Arbeits-
pensum mag es kaum glaublich erscheinen,
dass Muchar auch noch für einige Freizeit-
beschäftigungen Zeit fand, so etwa für das
Violine-Spiel auf Konzerten des steiermär-
kischen Musikvereines (dessen Grün-
dungsmitglied er war) und dass er auch auf
seine Geburtsheimat nicht ganz vergaß:
1826 war er in den Ferien eine Zeit lang bei
seinen Verwandten in Lienz, initiierte und
überwachte hier archäologische Ausgrabun-
gen und schrieb darüber einen Bericht im
„Bothe von und für Tirol und Vorarlberg“.
Solche „Arbeitsurlaube“ dürften bei ihm
aber auch sonst auf der Tagesordnung ge-
standen sein: Als sich ab 1828 doch hin
und wieder einige Anzeichen von Überan-
strengung bemerkbar machten, schickte
ihn sein Ordensoberer zur Kur nach Bad-
gastein. Das Ergebnis dieser Kur konnte
sich tatsächlich sehen lassen: Ein wieder
voll zu Kräften gekommener P. Albert –
und 350 Seiten „Geschichte von Gastein“!
Dass es Muchar aber nicht nur beim
Schreiben, sondern auch bei seiner Lek-
türe gelungen ist, Schnelligkeit mit
Genauigkeit zu vereinen, zeigt sich an den
Rezensionen, die er über manche Ver-
öffentlichungen verfasst hat – besonders
natürlich über solche, die seine steirische
Wahlheimat zum Thema hatten. Diese
hatte er ja während seiner Studienjahre in
Admont und dann auch später noch auf
ausgedehnten Reisen in den Ferien sehr
genau kennengelernt, wobei es ihm zu-
statten kam, dass er sich dabei weitgehend
auf admontischem Territorium bewegen
konnte: Er brauchte nur der Reihe nach die
acht großen über das ganze Land – einsch-
ließlich der ehemaligen Untersteiermark –
verteilten stiftischen Grundherrschaften
und die 40 inkorporierten Pfarren zu besu-
chen, um damit die Steiermark in ihrer ge-
samten Ausdehnung von Norden nach Sü-
den und von Osten nach Westen zu erkun-
den. Dies hat er allem Anschein nach so
ausgiebig getan, dass er sich seine vielge-
priesenen umfassenden Kenntnisse von
Land und Leuten anzueignen vermochte.
Es konnte ihn daher nicht unbeteiligt las-
sen, als in den 20er-Jahren zwei Reise-
beschreibungen veröffentlicht wurden, die
allem Anschein nach nicht so sehr auf per-
sönlicher Anschauung, sondern oft auf frag-
würdigen Informationen aus zweiter und
dritter Hand beruhten. Trotz seiner vielfäl-
tigen beruflichen Beanspruchung ließ es
sich P. Albert nicht nehmen, diese beiden in
Deutschland erschienenen Elaborate aus-
giebig zu rezensieren; und was er darüber
geschrieben hat, zeigt uns den Herrn Pro-
fessor von einer bei ihm sonst gar nicht ge-
wohnten sarkastischen Seite:
„Wenn Gelehrte, höher gebildet sein sol-
lende Reisende, (die Dinge) so anschauen,
so bemerken, so urteilen und schildern, daß
beim Lesen ihrer Nachrichten selbst der
Landeseingeborene sich in seinem Vater-
land nicht mehr zurecht findet: so muß
jeder Mensch Länder und Zeitgenossen
herzlich bedauern, wenn sie von so einem
widrigen Geschick mit solchen Reisebe-
schreibungen heimgesucht werden. Fast
erträglicher wäre ein Heuschreckenzug
über unsere blütenbeschneiten Gefilde, als
Schilderungen dieser Art von Ländern, Be-
wohnern und Einrichtungen … Würde es
einem Steyermärker gegönnt sein, nach
vielen Jahren aus der Grabesruhe sich wie-
der zu erheben und ein aus solchen Daten
zusammengeleimtes Gebilde seiner eige-
nen Zeit zu beschauen – gewiß, er würde
sein Vaterland, seine Zeitgenossen, seine
eigene Zeit daran nicht wieder erkennen!
Für einen Reisenden, der einmal schon
die auf seinem Wege gesammelten Erfah-
rungen durch den Druck bekanntmachen
will, ist es wohl die unverzeihlichste Ent-
schuldigung, zu sagen: Wir hatten nicht
mehr Zeit, um dieses oder jenes genauer zu
besehen. Wenn ihr auf euren Reisen Be-
merkungen machen, urteilen und beschrei-
ben wollt, so nehmet euch Zeit dazu. Kön-
net ihr das nicht, so schweigt lieber gänz-
lich! Und wenn ihr auch in der euch zu karg
bemessenen Muße nicht alles vollkommen
und mit unbefangenen Augen zu beschauen
vermöget: Suchet dann wenigstens aus
wohlgeprüften, zuverlässigen Quellen die
Wahrheit zu schöpfen, und fragt nicht
Lohnbediente, Postknechte oder betrunkene
Winkelschreiber, die euch irgendwo in ei-
ner Dorfschenke über den Weg laufen.“
Auch in dieser sarkastischen Kritik zeigt
sich Muchars wissenschaftliches Anliegen
recht deutlich: Die richtigen Quellen auf-
zusuchen und diese so auszuwerten, dass
eine angemessene Darstellung eines
Themas möglich wird und somit ein „wah-
res“ Bild zustande kommt – und dieses An-
liegen konnte er wohl nirgendswo besser
verwirklichen als in seinem letzten und zu-
gleich wohl bekanntesten Werk, in der
großangelegten „Geschichte des Herzog-
tums Steiermark“, die trotz ihrer acht in
Druck erschienenen Bände unvollendet ge-
blieben ist – die Darstellung der Landesge-
schichte reicht nur bis ins 16. Jahrhundert.
Als Vorarbeiten für dieses wahre Mam-
mutwerk konnte der Verfasser zunächst in
reichem Maße jene Materialien heranzie-
hen, die er in seinen Archivarsjahren in
Admont für die geplante Stiftsgeschichte
gesammelt hatte; wegen der vielfältigen
Verflechtungen dieses Klosters mit den
Geschicken des Landes hatte er hier ohne-
dies schon eine Landesgeschichte „in nu-
ce“ geschaffen, die es durch Materialien
aus weiteren Archiven anzureichern und
durch die Einbeziehung der einschlägigen
Literatur auszubauen galt.
Aufbau und Gestalt des ganzen Werkes,
dessen acht Bände mehr als 3.000 Seiten
umfassen, brauchen hier nicht im Detail
vorgestellt zu werden; es sei nur darauf
hingewiesen, dass Muchar eine grundsätz-
liche Gliederung der immensen Stofffülle
in einen systematischen und einen chrono-
logischen Teil vorgenommen hat, und dass
er insbesondere im zweiten Teil, der die
Bände vier bis acht umfasst, seine Quellen
mit größtmöglicher Akribie verzeichnete.
Man mag das formale Konzept aus heu-
tiger Sicht als veraltet ansehen, doch hat
es bisher niemand unternommen, dem
muchar‘schen Werk ein auch nur an-
nähernd ebenbürtiges Gegenstück an die
Seite zu stellen. Somit bietet seine „Ge-
schichte der Steiermark“ bis zum heutigen
Tage für Mittelalter und frühe Neuzeit die
umfang- und inhaltsreichste Darstellung.
Dem Altmeister der steirischen Landes-
geschichtsschreibung war es allerdings
nicht gegönnt, das Erscheinen von mehr
als der Hälfte der acht Bände zu erleben –
die letzten vier Bände dieses Werkes er-
schienen erst nach Muchars Tod; er hatte
jedoch die Vorarbeiten so weit vorange-
Nummer 7 –– 67. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i m a t b l ä t t e r
Titelseite von Band I der „Geschichte des
Herzogthums Steiermark“, der in Graz
1844 erschien. Die insgesamt achtbän-
dige Publikation ist Albert von Muchars
wissenschaftliches Hauptwerk.
(Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum)
Rep.: M. Pizzinini