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O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
67. Jahrgang –– Nummer 9
18. Jahrhundert. Das nach Südosten ge-
richtete Zifferblatt enthält die Stunden-
linien für die wahre Ortszeit und die
Datumslinien des Tierkreises, d. h. alle
Datumslinien der Übergänge von einem
Tierkreiszeichen zum nächsten. Aber nur
das Tierkreiszeichen Waage (Tag- und
Nachtgleiche im Herbst) ist noch erkenn-
bar. Als Besonderheit befinden sich auf
dem Zifferblatt die geraden Linien 7 bis 24
der sogenannten Italienischen Stunden.
Beim Übergang von den Temporalstun-
den zu den gleich langen Äquinoktial-
stunden um 1500 ging man in Oberitalien
und Tessin einen anderen Weg. Man zähl-
te die Stunden nicht ab Mitternacht bzw.
ab Mittag, sondern teilte die Zeit von einem
Sonnenuntergang bis zum nächsten in 24
gleich lange Stunden. Auf Sonnenuhren
mit italienischen Stunden kann man daher
direkt die Zeit bis zum Sonnenuntergang
ablesen. Erst Ende des 18. Jahrhunderts
wurde diese Zeiteinteilung fallen gelassen
und man ging auch in Italien auf die bei
uns gebräuchliche Zeiteinteilung über.
Eine Ablesung der italienischen Stunden
auf der Sonnenuhr in Obertilliach ist leider
nicht möglich, da man bei der Restaurie-
rung auf den dafür notwendigen soge-
nannten Punktschattenwerfer (eine Ver-
dickung auf dem Polstab) vergessen hat.
In Tirol wurden nicht nur auf Kirchen, in
Klöstern, Schlössern und öffentlichen
Gebäuden Sonnenuhren errichtet, sondern
sehr häufig auch auf einfachen Bauern-
höfen.
In Oberlienz ist auf dem Hof „Angstin-
ger“ eine Sonnenuhr aus dem Jahre 1810
noch vorhanden. Auf dem Zifferblatt ist
innerhalb des rechteckigen Ziffernbandes
ein Bauer auf dem Feld zu erkennen. Im
Hintergrund der Bauernhof und ein Berg
mit unter- oder aufgehender Sonne. Die
Sonnenuhr wurde 1980 restauriert.
Auch in unserem Jahrhundert werden
immer wieder Sonnenuhren errichtet. Sie
dienen nicht dem dringenden Bedürfnis
früherer Jahrhunderte zur Bestimmung der
Zeit oder des Datums. Diese kann man
heute wesentlich leichter und genauer von
Armbanduhren ablesen. Man braucht
auch nicht mehr die Sonnenuhren zur
Kontrolle der Räderuhren.
Heute baut man Sonnenuhren entweder
zur Verschönerung von Haus oder Garten
oder man will einfach kosmisches Ge-
schehen sichtbar machen. Man will viel-
leicht zeigen, dass man mit einfachen Mit-
teln das gleiche erzielen kann, wie mit teu-
ren Geräten.
Im Jahre 1922 hat ein Sonnenuhren-
freund auf dem Kirchenschiff der Kapelle
der Hll. Chrysanth und Sebastian in Hin-
terbichl, Gemeinde Prägraten, eine Son-
nenuhr angebracht, auf der man mit Hilfe
einer Tabelle die abgelesene Zeit in die
Mitteleuropäische Zeit umrechnen kann.
Das Zifferblatt ist so konstruiert, daß es die
wahre Ortszeit für Orte am 15. Längeng-
rad östlich von Greenwich zeigt. Schließ-
lich sind auf einer Tabelle unterhalb des
Zifferblattes (als „Correctur Tafel in Mi-
nuten“ bezeichnet) die Werte der soge-
nannten „Zeitgleichung“ erkennbar. Die
Zeitgleichung ist die vom Datum abhän-
gige Differenz der wahren zur mittleren
Sonnenzeit.
Ein ähnliches „Experiment“, nämlich die
Umrechnung der wahren Ortszeit in die
Mitteleuropäische Zeit, habe ich mit der
Konstruktion und Gestaltung der Sonnen-
uhr in Lienz, Kapelle z. Hl. Katharina beim
Gribelehof, unternommen. Diese Sonnen-
uhr aus dem Jahre 1986 zeigt die wahre
Ortszeit. Mit dem Diagramm in der Mitte
des Zifferblattes kann der datumsabhän-
gige Korrekturwert zur Mitteleuropäi-
schen Zeit (MEZ) ermittelt werden.
Der höchste Korrekturwert ist + 23
Minuten Mitte Feber. Zweimal im Jahr,
am 27. September und 6. Dezember ist die
Korrektur Null.
Schlusswort
Unsere Gebrauchszeiten (MEZ, Som-
merzeit) haben also nur mehr bedingt
etwas mit der guten alten Sonne zu tun.
Das ist schade, die moderne Zeit kann mit
der „Sonnenuhrenzeit“ nicht leben. Um so
erfreulicher ist es, daß die Sonnenuhr
trotzdem nicht von der Bildfläche ver-
schwunden ist.
Zum einen werden zum Glück die
historischen Sonnenuhren, welche zu ei-
nem wertvollen Kulturgut zählen, weitge-
hendst geschützt und erhalten. Zum
anderen gibt es immer mehr Menschen,
die sich eine neue Sonnenuhr an der Haus-
wand oder im Garten bauen. Die Sonnen-
uhr ist also nicht „gestorben“.
Sie stellt damit eine Verbindung
zwischen Himmel und Erde, zwischen
Mensch und Kosmos her und projiziert die
Himmelskugel auf die Wand.
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren
verantwortlich.
Anschrift des Autors dieser Nummer: HR
Dipl.-Ing. Karl Schwarzinger, Vermessungs-
inspektor für Tirol und Vorarlberg i. R., Ob-
mann der „Arbeitsgruppe Sonnenuhren“ des
Österreichischen Astronomischen Vereins,
A-6073 Sistrans, Am Tigls 76 A.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimat-
blätter“ sind einzusenden an die Redaktion
des „Osttiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad Pi-
zzinini, A-6176 Völs, Albertistraße 2a.
Lienz, Innenhof von Schloß Bruck, Sonnen-
uhr („Roland“, 1944) mit symbolischer
Darstellung des Großdeutschen Reiches;
Sgraffito des steirischen Künstlers Rudolf
Szyszkowitz (im öffentlichen Auftrag), 405 x
146 cm (Gesamtdarstellung), 79 x 146 cm
(Sonnenuhr). – Die Darstellung ist be-
zeichnend für die Zeit der Adaptierung von
Schloß Bruck als Museum.
Foto: Meinrad Pizzinini
Lienz, Gribelehof, Kapelle St. Katharina,
Sonnenuhr konstruiert von Karl Schwar-
zinger, 1986.
Foto: Karl Schwarzinger
Prägraten-Hinterbichl, Kapelle zu den
Hll. Chrysanth und Sebastian, Sonnenuhr
konstruiert von Willi Kohler, 1922.
Foto: Heinrich Stocker