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OSTTIROLER
NUMMER 7-8/2014
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HEIMATBLÄTTER
„Bereits im Oktober trafen gemäß einer
Eintragung in der Gendarmerieposten-
chronik des Postens Lienz die ersten 800 bis
1.000 polnischen kriegsgefangenen Offi-
ziere in Lienz ein, die bereits im Frühjahr
1941, nach dem Beginn des Westfeldzuges
in andere Lager des ‚Altreiches‘ verlegt
wurden. Die ersten französischen Offiziere
trafen am 17. oder 18. August 1940 aus den
in Frankreich gelegenen Frontlagern ein
und bildeten fortan bis zu der Verlegung des
Lagers nach Wagna in der Steiermark prak-
tisch ausschließlich die Belegschaft des Of-
fizierslagers, das während der vier Jahre
seines Bestehens mit einer Belegsstärke von
durchschnittlich 1.000 kriegsgefangenen
Offizieren zum ‚Durchschnitt‘ der Offiziers-
lager der Deutschen Wehrmacht gehörte.
Die Stärke des deutschen Personals der
Lagerkommandantur wurde am 9. August
1941 mit insgesamt 66 Mann angegeben,
zehn Offizieren, zehn Beamten, einem Son-
derführer, 19 Unteroffizieren und 26 Mann-
schaften.
Das Barackenlager bestand aus unge-
fähr 30 Baracken, von denen zur Zeit des
Offizierslagers neun als Offiziersunter-
kunft, eine als Unterkunft der Ordonanzen
und zwei kreuzförmige Gebäude für die
Lagerverwaltung, Kantine, Versamm-
lungssaal, Postausgabe und das Kranken-
revier verwendet wurden. Die Lagerkom-
mandantur sowie die Unterkünfte der
Wachmannschaften waren in der Franz-
Josef-Kaserne untergebracht.“
Der Zustand im Barackenlager
Über die Zustände im Lienzer Bara-
ckenlager weiß Hubert Speckner weiter zu
berichten:
„Knapp nach der Einlieferung der ers-
ten Franzosen visitierte eine Kommission
des IKRK
[= Internationales Komitee vom
Roten Kreuz]
das Offizierslager. Als die
Kommission im Lager ankam, herrschte
hervorragendes Wetter und die kriegsge-
fangenen Offiziere lagen nackt in der
Sonne, während andere in Badekleidung
Ballspiele veranstalteten. Der erste Ein-
druck der Kommission war demnach her-
vorragend und auch die französischen Of-
fiziere bemerkten, dass sie erfreut seien,
hier gelandet zu sein, da die Situation in
diesem Lager eine gänzlich andere und an-
genehmer als jene in der Gefangenschaft
in den anderen Lagern in Frankreich sei.
Sie waren vor allem über das vollkommen
korrekte Verhalten der deutschen Autori-
täten und die Sympathie erfreut, die ihnen
der deutsche Lagerkommandant entge-
genbrachte. Das Essen war ausreichend,
auch im Hinblick darauf, dass die meisten
Gefangenen unterernährt aus den Front-
lagern kamen. Die Bekleidungssituation
wurde durch Pakete aus Frankreich we-
sentlich verbessert, da manche der Gefan-
genen nichts von ihrer Ausstattung hatten
mitnehmen können. Die einzige Sorge der
Offiziere bestand darin, dass sie in den
Frontlagern nur eine Postkarte an die An-
gehörigen schreiben durften, allerdings
ohne Adressenangabe. Erst bei der An-
kunft in Lienz durften sie Postkarten nach
Hause schicken, und nun hoffte jeder auf
baldige Post von seinen Angehörigen.
Paul Carcelle, ein ehemaliger Insasse des
Lagers, beschreibt die landschaftliche
Schönheit des Gebietes, die den Stachel-
draht manchmal vergessen ließ und der sich
doch bedrückend auf die Psyche der kriegs-
gefangenen Offiziere auswirkte. Von einer
ungewöhnlichen Härte war für die Franzo-
sen das Klima in Osttirol, wobei ihnen vor
allem das ‚Zusammenwirken‘ von Kälte und
Schnee zu schaffen machte. Immerhin konn-
ten die Gefangenen demWinter noch einiges
abgewinnen, und sie vergnügten sich mit der
Errichtung von Skulpturen und Gebäude-
nachbildungen aus Schnee, die schließlich
zu regelrechten Ausstellungen führten. Im
Sommer spielte der Sport eine wesentliche
Rolle im Leben der Kriegsgefangenen.“
Ein Ausbruch aus dem
Gefangenenlager
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Von den Gefangenen wurden mehrere Aus-
bruchsversuche unternommen. So wurde
beispielsweise in der 8er-Baracke, im äu-
ßersten Nordwesten gelegen, die Rückwand
um einen Meter vorgezogen. Im dahinter
entstandenen Raum begann dann ein ener-
gisches Buddeln. Die Erde wurde im Ge-
müsegarten verstreut. Einige Meter ging es
hinab in die Erde und dann 80 Meter
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unter
der Grafendorferstraße durch zum Ruefen-
feldweg. Der Stollen wurde mit den Bo-
denbrettern aus der Baracke abgesteift und
elektrisch beleuchtet. Am Ruefenfeldweg,
getarnt unter einem Ribiselstrauch, befand
sich die Öffnung in die Freiheit. Im Schacht
stand eine Leiter und das Ausstiegsloch war
am Morgen, nachdem an die 15 französi-
sche Offiziere entwichen waren, sorgfältig
mit Brettern und Rasen wieder abgedichtet
worden. Nach einemAufruf an die Lienzer
Bevölkerung konnten die entflohenen Ge-
fangenen wieder gefasst werden.
Auflösung des Gefangenenlagers
Laut einer Aussage des inzwischen ver-
storbenen RR Leopold Karre, der zu dieser
Zeit als Feldwebel tätig gewesen ist, wurde
das Oflag XVIII im Sommer 1943 aufge-
löst; die Gefangenen verlegte man in andere
Lager. Das Barackenlager wurde von der
Deutschen Wehrmacht jedoch bis zum
Kriegsende weiter verwendet. Es waren am
Grafenanger und in der Peggetz insgesamt
13 Kompanien stationiert, es handelte sich
um Ausbildungs- und Ersatzeinheiten.
Als dann beim Zusammenbruch die Ko-
saken, die gegen Stalin gekämpft hatten,
durch Lienz kamen, waren es 14-jährige
Kosakenkinder, die mit Handgranaten in
der Faust die Verpflegsmagazine plünder-
ten. Heimkehrende und versprengte Trup-
pen wurden als Kriegsgefangene interniert.
Die Baracken spendeten stets Freund und
Feind Unterkunft und Geborgenheit. Zu-
letzt wurde dann das Heimkehrerlazarett im
Barackenlager untergebracht. Ärzte waren
genug vorhanden, und Kranke kehrten aus
Stacheldraht
und Wach-
türme am
Nordende des
Lagers,
Blickrichtung
Osten, um
1940.
(Privatauf-
nahme im
Museum der
Stadt Lienz
Schloss
Bruck; zur
Verfügung
gestellt vom
TAP)
Das Gefangenenlager in Blickrichtung Thurn/Schleinitz, um 1940.
(Privataufnahme im Museum der Stadt Lienz Schloss Bruck;
zur Verfügung gestellt vom Tiroler Photo Archiv)