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Lebzeiten und posthum genauso eine ausge-
sprochen rege internationale und nationale
Ausstellungpräsenz, die von öffentlichen Bild-
ankäufen nicht minder begleitet wurde und
wird: u. a. Albertina, Akademie der bildenden
Künste/Kupferstichkabinett, Bundesministe-
rium für Unterricht, Kunst und Kultur (Wien);
Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, 13.
Österreichischer Grafikwettbewerb (Inns-
bruck); Stadt Lienz; Bank der Niederlande
(Amsterdam).
Natur und Abstraktion –
Eine Symbiose
Wie verhält es sich nun mit seinem Zugang
zur eigenen Malerei, die rund sechs Jahr-
zehnte permanente Auseinandersetzung mit
diesem Genre, selbstkritisches Reflektieren
bis hin zur euphorischen Selbsterkenntnis
beinhaltet? Die Zeit der mit dem Kubismus
assoziierten Malsequenzen beschränkt sich
auf seine Studienjahre in den 1950er-Jahren.
Die eigentliche Erkenntnis in Bezug auf seine
Motivwahl fand aber definitiv 1958 statt, wo
sich der 29-Jährige nach der Akademie auf
einen Bauernhof in Thal bei Lienz zurückzog,
um einer Besinnung gleich, sich in seinem
künstlerischen Ausdruck und v. a. theoretisch
zu formieren. Vorwegnehmend kann man
festhalten, dass die Natur im Mittelpunkt sei-
nes formalen Zugangs zum Motiv bzw. seiner
Bildsprache steht – über die Jahrzehnte seiner
Schaffensphasen hinweg. Die Natur als
Kunstbegriff und aus der Sichtweise eines
Menschen, der sich zeitlebens damit befasst
hat, sie rational, philosophisch und nicht
wenig emotional zu erkunden. Es ist die Nah-
sicht des Künstlers auf eine augenblickliche
Erscheinung, auf ein Kompartiment, auf jenen
meist verborgenen Teil einer Wiese, auf einen
Bachabschnitt oder auf die Wildheit des Was-
sers oder eines Bergmassivs. Und diesen Akt
der Visualisierung des Themas Natur können
wir in seiner Malerei in deren abstrahierten
Form wiederfinden und erleben sie schließ-
lich als expressive Abstraktion. Diese Natur-
begrifflichkeit, die wir bei Leopold Ganzer in
seinen Bildwerken umgesetzt entdecken kön-
nen, entspricht nicht einem antiken Naturbild,
sondern dem neuzeitlich modernen Zugang
der Sichtweisen bzw. der Abhandlungen über
die Natur – und folglich kommt man dabei
auch als betrachtende Person nicht umhin,
sich mehr oder weniger unlösbare Fragen zu
stellen: Ist die Natur eine distanzierte Kon-
stante in unserem Leben? Ist sie das von uns
in einem gewissen Ausmaß manipulierbare
Gegenüber oder ist sie – die Natur – das nicht
wirklich Erfassbare für uns Menschen?
Wenn nun Leopold Ganzer den Vergleich an-
strebt, dass jede Felsstruktur als Einzelgestalt
erfahrbar wird und im Minimalismus das All-
umfassende steckt
6
, dann gewinnt der Natur-
begriff hier eine weitere Eigenschaft dazu.
Nämlich, die der universalen Einheit in der
Verbundenheit des Menschen mit der Natur.
Ein Zustand oder ein Umstand, der für keinen
von uns im Grunde genommen real fassbar ist
und gerade mit dem Stilmittel der Abstraktion
und in deren symbiotischen Annäherung,
vielleicht verständlicher gemacht werden
kann. Die Natur und das Naturale stehen im
Zentrum der Motivation von Leopold Ganzers
Bildfindung – die Natur aus der Sicht und
gleichzeitig der Entwicklung eines Forschen-
den und auch des Suchenden, für den die Ab-
straktion in seinem künstlerischen Schaffen
als Teil der Lösung steht.
Kurzbiografie
1929 Geboren am 7. Juni als jüngstes von acht
Geschwistern in Innichen (Südtirol)
1933 Übersiedlung mit der Familie nach
Lienz (Osttirol)
1943-1944 Besuch der Kunstgewerbeschule
in Innsbruck, Klasse für Bildhauerei
bei Hans Pontiller
1944 Kriegsbedingte Rückkehr nach Lienz
und Beginn einer Lehre als Maler und
Anstreicher
Nach 1945 Permanente Weiterbildung zum
Kunstschaffenden
1950-1952 Aufenthalt in der Schweiz, Kon-
takte zum zeitgenössischen Kunstge-
schehen
1952-1958 Studium an der Akademie der bil-
denden Künste in Wien, Meisterklasse für
Malerei bei Robin Christian Andersen
1956 Gründung des „Akademischen Künst-
lerbundes Osttirol“ gemeinsam mit
Franz Walchegger (1913-1965), Josef
Manfreda (1890-1967) und Adrian
Egger (1908-1978) – Gründungsaus-
stellung in der Spitalskirche in Lienz
(mit über 6.000 Besuchern!)
1958-1963 Rückkehr nach Osttirol und
Rückzug auf einen Bauernhof in Thal
bei Lienz – bildnerische Konzentration
auf die Natur im Detail
1961 Heirat mit der Kunsterzieherin Annema-
rie Zsak (Sohn Lovis wird 1963 geboren)
1964 Nach der Übersiedlung nach Lienz,
Gründung der Städtischen Galerie in
Lienz gemeinsam mit Franz Walcheg-
ger, Josef Manfreda und Hermann
Pedit (1933) – Leitung dieser Institu-
tion für einige Jahre
1966 Studienaufenthalt in Paris
1970-1971 Gastdozent an der Kunstschule
Mannheim
1971 Übersiedlung mit seiner Familie nach
Wien und Vertiefung der druckgrafi-
schen Arbeit an der Hochschule für an-
gewandte Kunst bei Franz Herbert
1974-1987 Neben der Arbeit als Kunst-
schaffender, Bildnerischer Erzieher an
der Kunstgewerbeschule Herbststraße
in Wien
1975 Herzinfarkt und daraus resultierende
fünfjährige Schaffenspause
1977 Präsident des Berufsverbandes der bil-
denden Künstler Österreichs
1980-1983 Almaufenthalte im Iseltal (Ost-
tirol) als Neubeginn für die Rückbe-
sinnung zur Malerei
1986 Rückzug aus den öffentlichen Ämtern
2008 Unerwarteter Tod während eines Auf-
enthaltes in Prägraten (Osttirol).
Gesamte Bilddokumentation:
©Eleonora Bliem-Scolari
Anmerkungen:
1
Conrad F
IEDLER
, Schriften über Kunst, hrsg. von Hans
M
ARBACH
, Leipzig 1896, S. 198f.
2
Die biografischen Details stammen von Aufzeichnungen
und dem Schriftverkehr Leopold Ganzers mit der Auto-
rin im April und Mai 2004, den Gesprächen mit Anne-
marie Ganzer im Herbst 2013.
3
Osttiroler Bote, 11. Jg. (1956), Nr. 30 (26. Juli), S. 4.
4
Siehe dazu: Eleonora B
LIEM
-S
COLARI
, 40 Jahre Städtische
Galerie Lienz. 1964 bis 2004 – Die Entstehungsgeschichte
einer Institution, OHBl, 72. Jg., 6-7/2004.
5
Eleonora B
LIEM
-S
COLARI
, Leopold Ganzer (1929-2008).
Natur und Abstraktion – Eine Symbiose, in: Lovis G
ANZER
(Hrsg.), Katalog der Ausstellung Leopold Ganzer, Museum
der Stadt Lienz Schloss Bruck (10. Mai bis 3. August
2014) und Galerie Artziwna, Wien (16. Juni bis 5. Juli
2014), Wien 2014, S. 7-10.
6
Leopold G
ANZER
, Kommentar im Briefwechsel mit der
Autorin im April 2004.
OSTTIROLER
NUMMER 5/2014
4
HEIMATBLÄTTER
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren
verantwortlich.
Anschrift der Autorin dieser Nummer: Mag.
phil. Eleonora Bliem-Scolari, A-6020 Inns-
bruck, Dr.-Stumpf-Straße 45a; E-Mail:
el.bliem-scolari@gmx.at.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimatblät-
ter“ sind einzusenden an die Redaktion des
„Osttiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad Pizzinini,
A-6176 Völs, Albertistraße 2 a.
2007: Abstraktion; 110 x 130 cm, Acryl auf Leinen.
(Privatbesitz)