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Es gibt im Grunde genommen keinen vor-
auseilenden Hinweis darauf, in welchen Bah-
nen sich das Leben eines jungen Menschen,
mehr oder weniger abhängig von seinen Fami-
lienbanden, entwickeln wird und welche Rich-
tungskorrekturen maßgeblich für Erfolg oder
unerfüllte Erwartungen verantwortlich sind.
„Hat man einmal im eigenen Inneren jenes
immer werdende Geschehen erblickt, so wird
man sich auch unmittelbar bewusst sein, dass
diese eigentliche, vorhandene Substanz der
Welt sich in ihrer eigenen Natur, in ihrer Fülle
und in ihrem Reichtum nicht zur fassbaren
Form emporbilden und dieser an das Tages-
licht des erkennenden Bewusstseins herauf-
bringen lässt …“
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, sieht Conrad Fiedler am
Ende des 19. Jahrhunderts die Aufmerksam-
keit in der Unausweichlichkeit der Lebensab-
läufe gegeben. Es war in der Zwischenkriegs-
zeit, als Leopold Ganzer 1929 in Innichen in
Südtirol als Jüngster in eine kinderreiche Fa-
milie hineingeboren wurde, die dann 1933
nach Lienz umzog. Obwohl es auch dort vor
der allgemeinen wirtschaftlichen Notlage in
den angespannten Jahren vor Ausbruch des
Zweiten Weltkriegs beinahe keinen Ausweg
gab und die Familie in eher kargen Verhält-
nissen leben musste, erfolgte die Schulausbil-
dung des Kindes in Lienz trotzdem in ge-
regelter Abfolge. Nicht von ungefährem Be-
dürfnis nach Verwirklichung seiner Vorstel-
lung vom Leben eines Künstlers war dann
auch die Entscheidung Leo Ganzers, im
Herbst 1943 – imAlter von 14 Jahren – an die
Kunstgewerbeschule nach Innsbruck zu
gehen. Die Auswahl der Klasse für Bildhaue-
rei bei Hans Pontiller ging vielmehr auf den
Umstand zurück, dass zu dieser Zeit keine
Klasse mehr für Malerei angeboten wurde
bzw. eingerichtet war, der junge Mann aber
unter allen Umständen eine künstlerische Aus-
bildung absolvieren wollte. Nach dem Bom-
bardement von Innsbruck im Dezember 1943
konnte Leopold Ganzer aus dieser Kriegs-
situation heraus die Ausbildung an der Kunst-
gewerbeschule nicht mehr fortführen und
kehrte nach Lienz zu seiner Familie zurück,
wo er zuerst mit der Lehre als kaufmännischer
Angestellter begann und sie später als Maler
und Anstreicher abschloss. Um dem wirt-
schaftlichen Aufschwung in den Nachkriegs-
jahren ein Stück näher zu gelangen und den
ausgesprochen schwierigen Aufbauverhält-
nissen im Bezirk Lienz zu entkommen, be-
NUMMER 5/2014
82. JAHRGANG
OSTTIROLER
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
Eleonora Bliem-Scolari
Leopold Ganzer – Eine Retrospektive
Zum 85. Geburtstag des Malers und Grafikers (1929-2008)
1956: Leopold Ganzer steht vor seinem Selbstporträt aus dem Jahr
1955, das er mit 19 weiteren Bildern im Rahmen der Gründungsaus-
stellung des „Akademischen Künstlerbundes Osttirol“ in der Spitals-
kirche in Lienz präsentierte, wo seine kubistisch-assoziierten Werke
großes Aufsehen erlangten. Auch Franz Walchegger, Josef Manfreda
und Adrian Egger war die Resonanz sicher. (Privatbesitz)
1992: Abstraktion; 90 x 110 cm, Acryl auf Leinen. (Privatbesitz)