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OSTTIROLER
NUMMER 12/2013
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HEIMATBLÄTTER
herantrug, äußerte er in einem Brief an
Dominikus Stadler mit der nicht ganz ernst
gemeinten Befürchtung, er werde auf diese
Weise noch zum Heiligenmaler mutieren,
einen deutlichen Hinweis, dass sich das
Fach bei der damals tonangebenden
Künstlergeneration nicht mehr allzu großer
Beliebtheit erfreute.
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Die zu Beginn des
19. Jahrhunderts um religiöse Erneuerung
bemühte, am Vorbild der Renaissance
orientierte Kunst der Nazarener hatte
mittlerweile ihre dritte Auflage erlebt und
war zur inhaltsarmen, nicht selten sogar
unverhohlen kitschigen Formel geronnen.
Ein zeitgenössischer Kritiker, der das Al-
tarbild in noch halb fertigem Zustand und
Defreggers Mühe mit dem sakralen Thema
beschreibt, weiß sich im Besitz einer Er-
klärung, die erneut auf den Ökonomen ab-
zielt:
„Diese Art religiöser Bilder zu malen
hat auch darin sein
[sic!]
Übel, daß die
Modelle, welche ein Genremaler braucht,
nicht viel weniger kosten, als der Preis be-
trägt, den ein religiöser Historienmaler
fordert. Denn daß diese geweihte Künst-
lerkaste gerade so glänzend wie Dorf-
schullehrer bezahlt werden
[sic!]
, ist seit
einiger Zeit eine unbestrittene Tatsache.“
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Defregger, der zum Zeitpunkt der Auf-
tragserteilung 1869 noch bei Karl von
Piloty in München studierte, war in seiner
Heimat bereits als Porträtist populär und
hatte soeben mit dem historischen Genre-
bild „Speckbacher und sein Sohn Anderl“
den Grundstein zu internationaler Be-
rühmtheit gelegt. Das Altarbild war sein
erster und – sieht man von einem 1885
gemalten und in mehreren Fassungen
variierten Madonnenbild ab – bis zu dem
späten Altarbild der Pfarrkirche St. Josef in
Frangart bei Bozen (1896) auch sein letz-
ter Versuch in diesem Metier.
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Wie
Defregger in seinen Lebenserinnerungen
berichtet, hat er die Arbeit noch im selben
Jahr aufgenommen. Aufgrund einer hart-
näckigen Erkrankung, eines Gelenks-
rheumatismus, der ihn infolge einer Ver-
kühlung befallen und zeitweise sogar an
den Rollstuhl gefesselt hatte, sowie durch
Übersiedelungen zu diversen Kuraufent-
halten zog sich die Fertigstellung des Bil-
des bis 1872 hin.
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Ob die Interpretation
des Stoffes für einen Marienaltar vomAuf-
traggeber oder vom Maler selbst bestimmt
wurde, lässt sich aus dem vorhandenen
Quellen nicht eruieren.
Lob und Kritik
Obwohl das Thema der Heiligen Familie
dem in der Genremalerei beheimateten
Defregger eine Reihe von szenischen Ge-
staltungsmöglichkeiten – „Die Flucht nach
Ägypten“, „Ruhe auf der Flucht“, „Die Auf-
findung im Tempel“, „Die Heilige Familie
amWerktag“ – bot, griff er auf den nazare-
nischen Typus der „Sacra Conversazione“
zurück, der die Andacht nicht auf eine Er-
zählung, sondern ganz auf die heiligen Per-
sonen konzentriert. Gerade dieser Aspekt
aber gab, als die historische Distanz zur
frühen Begeisterung über Defreggers Werk
genug Raum für dessen nüchterne (und
manchmal auch ernüchternde) Betrachtung
geschaffen hatte, den konkretesten Anlass
sowohl für Lob als auch für Kritik.
Wie der Verfasser einer Würdigung zum
70. Geburtstag des Künstlers feststellt, sei
dieser, obwohl für das religiöse Bild durch
„ein naives, gottesfürchtiges Gemüt“
prä-
destiniert,
„nicht imstande, diesen ruhig
und bieder erfaßten Figuren den Stempel
besonderer Eigenart aufzudrücken.“
Er
stünde hier
„im Banne der einzelnen Figur
und des Althergebrachten“
und könne sich
„nicht recht erwärmen, kann die heiligen
Figuren nicht recht beleben.“
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Die von
Defreggers bekanntesten und charakteris-
tischsten Werken genährte Erwartung,
eine breite Skala psychischer Regungen
vermittelst der Vielfalt an milieutypischen
Interaktionen des Bildpersonals geschil-
dert zu bekommen, wurde offenbar weni-
ger durch die Figuren selbst als durch
ihre Zusammenschau im Typus der Sacra
Conversazione und damit in einer weit-
gehend neutralen Umgebung enttäuscht.
Ganz anders erkennt Albin Egger-
Lienz, der das Gemälde schon als Drei-
zehnjähriger zu kopieren und noch 1892
im Sinne einer Genreszene zu interpre-
tieren versucht hatte, die Vorzüge von
Defreggers Altarbild:
„So ein Bild muß auf
den ersten Blick allein durch die Verteilung
des Raumes, den Zug der Linien und durch
den Stil der Farbe die Ebenbürtigkeit von
Gegenstand und Maler offenbaren. Die
Eindringung in das ‚Reinmenschliche‘,
losgelöst vom Milieu, allein gewährt den
Weg zur monumentalen Form“,
und wei-
ter:
„Wer sein Bild ‚Heilige Familie‘ kennt,
wird zugeben müssen, daß Defregger trotz
des epigonenhaften Einschlages auch ein
großer Maler war. Weit mehr ‚Maler‘ als
viele der besten von heute, welche das rein
Malerische für sich gepachtet haben.“
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Egger-Lienz, der die Qualität des Älteren
selbstverständlich auch am eigenen Kunst-
wollen misst, sieht den schärfsten Kontrast
dazu in Defreggers „Letztem Aufgebot“
definiert. Vergleicht man dieses jedoch
nicht, wie Egger es tut, mit seinem
„Totentanz“, sondern mit dem zehn Jahre
früher entstandenen „Kreuz“, das im
Gegensatz zum „Letzten Aufgebot“ ganz
ohne innerbildliche Resonanz die Affekte
nicht von den Protagonisten, sondern
vom Betrachter selber beantwortet wissen
will
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, kann man erahnen, dass nicht
zuletzt die ausgesprochene Betrachter-
bezüglichkeit von Defreggers Altarbild die
unterschiedlichen Haltungen versöhnt hat.
Die Rezeptionsbedingungen
Es wird daher notwendig sein, die
ursprünglichen Rezeptionsvorgaben in
die Betrachtung mit aufzunehmen, um das
Gemälde, das im Laufe seiner Geschichte
nur ausnahmsweise in seinem genuinen
Kontext wahrgenommen wurde und
welcher spätestens 1961 unwiderruflich
verloren war, angemessen zu würdigen.
Dass es nicht – wie etwa ein Fresko – vor
Ort ausgeführt und daher nie als Immobi-
lie gehandelt wurde, ist dabei nebensäch-
lich. Defreggers Briefverkehr mit Stadler
spricht dafür, dass er das Bild von Anfang
an als Teil eines größeren Ganzen, zumin-
Innenraum der Pfarrkirche St. Martin in Dölsach, um 1925.
Foto: F. Schilcher; Aufnahme zur Verfügung gestellt von TAP (Sammlung Oliva Lukasser)
Franz von Defregger, Studie zum Altarbild
der Kirche in Dölsach; Öl auf Holz, 34,5 x
21,5 cm, bezeichnet re. u.: Defregger.
(Schweinfurt, Museum Georg Schäfer, Inv.-
Nr. MGS 2951) Foto: G. Schäfer-Museum