Seite 1 - HB_2013_02

Basic HTML-Version

Die Debatte über Agrargemeinschaften
und Gemeinden, im Kern ein Rechtsstreit
um das Eigentum an Grund und Boden, um
Wald und (ehemalige) Weide, hält in Tirol
seit Jahren die Öffentlichkeit in Atem. Um
diese rechtliche und politisch heikle Aus-
einandersetzung dreht es sich hier nicht. Es
werden aber im öffentlichen Diskurs wie-
derholt historische Argumente herange-
zogen, da wie dort, um den eigenen juris-
tischen Standpunkt zu untermauern. Eine
historische Rückschau dürfte sich lohnen,
um einige herumschwirrende Überzeich-
nungen und Überhöhungen, was die Ge-
meinden und die Agrargemeinschaften
betrifft, zurechtzurücken. Die Frage des
Eigentums an den Wäldern hat in Tirol
schon das 19. Jahrhundert bewegt, und um
1850 ist durch politische Entscheidungen
und darauf beruhende gesetzliche Maß-
nahmen die Basis für die heutige Besitz-
struktur der Wälder gelegt worden, wobei
den politischen Gemeinden als Eigentü-
mern von Wäldern eine maßgebliche
Rolle zugesprochen wurde. Die Vorge-
schichte ist lang, verworren und führt tief
in das Mittelalter zurück, denn damals bil-
deten sich bei Wald und Weide unter den
Bauern der ländlichen Siedlungen ge-
meinschaftliche Nutzungsformen aus, die
lange nachwirkten, und das bis heute.
1
Eigentum?
Mit dem modernen römisch-rechtlich ge-
prägten Eigentumsbegriff, der beim Eigen-
tum die Nutzung einschließt, ausgenom-
men es werden vertragliche Vereinbarungen
wie Pacht und Miete vereinbart, kann das
Mittelalter wenig anfangen, nicht bei
Grund und Boden. Das Land und die Bau-
ern, die dieses Land bebauen und welche
die ihnen als Leihe überlassenen Höfe
selbstständig bewirtschaften, werden be-
herrscht von weltlichen Grundherren und
Machträgern – den Grafen von Görz, den
Grafen von Tirol, den Grafen von Lechs-
gemünde, dem Bischof von Brixen, dem
Erzbischof von Salzburg, dem Kloster
Innichen, um einige für unseren Raum
besonders wirkungsmächtige Beispiele zu
nennen. Dieses anfänglich der Grundherr-
schaft – besonders wenn sie mit der Leib-
herrschaft gekoppelt war – innewohnende
ausgeprägt herrschaftliche Moment, das die
Bauern rechtlich und wirtschaftlich abhän-
gig machte, ja selbst ihre persönliche Frei-
heit einschränkte, verflüchtigte sich in Tirol
im Laufe des Spätmittelalters. Leibeigen-
schaft war kein Thema mehr. Aus grund-
herrlichen Grundholden wurden landes-
fürstliche Untertanen, die wie die Bürger in
den Städten ihre „Freiheit“ genossen, also
die Leibeigenschaft abgestreift hatten. Zu-
gleich besserten sich massiv die anfänglich
prekären Besitzrechte der Bauern an ihren
Höfen, die ihnen die Grundherrschaften als
Leihe gegen Entrichtung einer jährlichen
fixen Abgabe (Grundzins) überließen, in
absolut sichere Besitzrechte. Grundherr-
schaftliche Leiheformen wie das in weiten
Teilen Tirols verbreitete Erbbaurecht, aber
auch das im südöstlichen Tirol sich hal-
tende Freistiftrecht sprachen den Bauern
weitgehende Verfügungsgewalt über ihre
Höfe zu, diese konnten mehr oder weniger
unbehelligt von der Grundherrschaft ver-
erbt und veräußert werden. Über den Kapi-
talwert, über die Substanz des Hofes ver-
fügte der Bauer, nicht die Grundherrschaft,
die sich damit begnügen musste, die ihr zu-
stehende jährliche Grundrente (Grundzins)
und bei Besitzerwechsel am Hof eine als
„Ehrung“ bezeichnete Gebühr zu beziehen.
Zu Recht haben die im römischen Recht
geschulten Juristen des 18. und frühen 19.
Jahrhunderts die rechtliche Beziehung
zwischen Grundherrschaft und Bauer ein
auf Verträgen (und eben nicht auf Herr-
schaft) beruhendes Verhältnis aufgefasst,
mit den Vertragspartnern Obereigentümer
NUMMER 8-9/2013
81. JAHRGANG
OSTTIROLER
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
Karte der Waldaufteilung der Nachbarschaft Sulzenbach in Kartitsch, 1784.
(Innsbruck, Tiroler Landesarchiv, Alte Forstakten 55/78)
Wilfried Beimrohr
Wem gehörte der Wald?
Zur Frage des Eigentums an den Wäldern am Beispiel Osttirols