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Dieser Lebensraumverlust ist die Haupt-
ursache für den fortschreitenden Rückgang
der Schnepfen und anderer Watvögel. Er
war Anlass, die Bekassine
Gallinago gal-
linago
zum Vogel des Jahres 2013 zu er-
klären. Sie wird hier mit ihren Nachweisen
in Osttirol vorgestellt.
Grundlage dieser Darstellung sind Be-
obachtungen, die zufällig gesammelt wur-
den. Sie werden hier ausgewertet, obwohl
Zufallsdaten mit vielen Fehlern behaftet
sind: Sie sind unvollständig, und es liegt
ihnen keine planvolle Erhebung zugrunde,
bestimmte Gebiete werden bevorzugt von
den Beobachtern aufgesucht, und bei der
Seltenheit der Schnepfenvögel und ihrer
oft verborgenen Lebensweise sind sie vie-
len Beobachtern nicht genügend bekannt.
Dank geht an alle Beobachter, die ihre
Daten zur Verfügung stellten und an alle
Fotoautoren, deren anschauliche Abbil-
dungen dem Leser die in Osttirol seltene
Bekassine vorstellen. Dank auch an das
Haus der Natur in Salzburg, dessen Biodi-
versitätsdatenbank des Nationalparks Hohe
Tauern ihre Daten zur Verfügung stellte.
Helmut Kudrnovsky lieferte Informationen
zur Fließgewässerökologie. Matthias Gat-
termayr sah das Manuskript kritisch durch.
Beiden gilt großer Dank. Die meisten
Vogelkundler, deren Daten hier verwendet
werden, sind Mitglieder der Naturkundli-
chen Arbeitsgemeinschaft Osttirol NAGO.
Die folgenden Abkürzungen der Namen
der Beobachter werden verwendet:
BA – Bachler Annemarie; GF – Goller
Franz; HA – Heinricher Alois; HG – Hof-
mann Gustav; KL – Kranebitter Leo; MA
– Mattersberger Alois; MD – Moritz Die-
ter; MP – Mattersberger Peter; MR – Mat-
tersberger Ralph; Rc – Ragger christian.
Die Bekassine
Gallinago gallinago
ist
ein Watvogel von der Größe einer Sing-
drossel oder Amsel, Gewicht um 100 bis
150 g. Er lebt sehr heimlich und bei Gefahr
drückt er sich an den Boden. Der Kopf hat
hellbraune Längsstreifen, die auch über
den rotbraunen Rücken verlaufen, und so
dem Vogel eine gute Tarnfärbung geben.
Der Hinterrand des Armflügels ist im
Unterschied zur sehr ähnlichen Doppel-
schnepfe weiß gesäumt. Der Schnabel ist
lang und gerade und in Seitenansicht mehr
als zweimal so lang wie der Kopf. Er ist ein
empfindliches Tastwerkzeug und kann bei
geschlossener Schnabelbasis an der Spitze
geöffnet werden. So wirkt er bei einem im
Erdboden stochernden Vogel wie eine Pin-
zette, die Beute ergreifen und halten kann.
Die Beine sind blass grünlich bis blaugrau
und für eine Schnepfe sehr kurz.
Nach ihrem Balzflug wurde sie früher
„Himmelsziege“ genannt. Über ihrem
Revier fliegend, spreizt sie die beiden äu-
ßeren Schwanzfedern, diese vibrieren und
dadurch entsteht ein „Meckern“. Das
Vibrieren der Steuerfedern ist also keine
Lautäußerung. Es dürfte der Reviermar-
kierung dienen.
In Osttirol „nistete sie bei der kalten
Lake im Nikolsdorfermoos“ (M
AyR
1869).
Das ist die einzige Angabe zu einem früher
möglichen Brutvorkommen. Das war da-
mals eher denkbar als heute, da das Ange-
bot an Mooren und anderen Flachwasser-
bereichen viel größer war.
Dieser Auswertung liegen aus den Jah-
ren 1975 bis 31. Mai 2013 insgesamt 29
Datensätze mit 39 Individuen zugrunde
(Beobachter: BA, GF, HA, HG, KL, MA,
MD, MP, MR, Rc).
Heute ist die Bekassine in Osttirol
Durchzügler und sogar Wintergast. Als
Durchzügler wird sie meist nur zufällig be-
obachtet. Dazu zwei Beispiele:
24. August 2008 in der Bürgerau/Lienz
duckt sich auf einem Schotterweg eine Be-
kassine regungslos in einer Regenlacke. Erst
als der Beobachter nur etwa 1 m entfernt ist,
fliegt sie im Zickzackflug davon (KL).
27. August 2000 Grünbichl 1.900 m /
St. Jakob i. D.: Ein im Wacholder rasten-
der Vogel flüchtet vor den Beobachtern,
ruft mehrfach, verstreicht in flachem
Fluge und gerät außer Sichtweite (BA,
MD).
Das sind typische Verhaltensweisen ras-
tender Bekassinen. Sie verlassen sich auf
ihre Tarnfärbung und drücken sich in die
Vegetation. Erst wenn sie sich entdeckt füh-
len, flüchten sie in schnellem, wendigem
Flug und rufen wiederholt ihr rätschendes
einsilbiges: „kätsch“ oder „ätsch“.
Erst seit wenigen Jahren ist sie als Win-
tergast bekannt (M
ATTERSBERGER
et al.
2010). Das Osttiroler Wintergebiet liegt zwi-
schen Bichl und Seblas im Matreier Talbo-
den. Es sind wenige flache Aufweitungen
von Entwässerungsgräben, die in vielenWin-
tern frostfrei bleiben. Dort hielt sich vom 16.
November 2008 bis zum 26. März 2009 ein
Vogel auf, manchmal sogar zwei. Ein Vogel
wurde fast täglich beobachtet: stochernd, ru-
hend – oft sehr lange Ruhepausen (MP).
Diese Wintergäste bleiben bis Mitte April.
Der Herbstzug der Bekassine beginnt be-
reits um Mitte Juli: 10. Juli 2007 ein Vogel
verstreicht in der Feldflur von Nußdorf-
Debant (KL). Diese Wanderung erstreckt
sich bis Mitte November. Dann treten von
Dezember bis Feber Winterflüchter auf. Sie
verlassen ihr bisheriges Winterquartier
wegen beginnenden Frosts. Der Frühlings-
zug beginnt im März und endet im April.
Die Bekassine ist in Österreich ein sehr
spärlicher Brutvogel mit wenigen Haupt-
vorkommen, so etwa im Rheindelta/Vorarl-
berg und im Salzburger Flachgau, im See-
winkel nur in wenigen Paaren in sehr feuch-
ten Jahren (L
ABER
2003). In Südtirol war sie
noch Brutvogel in einem Paar am Kalterer
See (N
IEDERFRINIGER
et al. 1996), in Kärn-
ten ist sie ehemaliger Brutvogel und häufi-
ger Durchzügler (F
ELDNER
et al. 2008).
Die Bekassine bewohnt Gebiete, die der
Mensch selten aufsucht. Es sind die Verlan-
dungszonen stehender Gewässer, wie Seen,
Teiche, Tümpel und Altwässer, alle Flach-
wasserbereiche sowie tage- und perioden-
weise überschwemmte Wiesen. Daneben
auch moorige Sumpfgebiete. Daher war ihr
früherer Name Sumpfschnepfe sehr kenn-
zeichnend. Den Winter verbringt sie in allen
frostfreien Teilen ihres Brutgebietes. Auf
ihren Wanderungen muss sie sich oft mit
sehr bescheidenen Rastgebieten begnügen:
Grabenränder und Regenpfützen auf Wegen.
Hilfe für den Vogel des Jahres
Die Sumpfschnepfe braucht den oben
geschilderten Lebensraum: ungestörte stau-
nasse Wiesen. ImVerlauf der Isel und ihrer
Nebengewässer daher alle Feuchtgebiete
erhalten oder wiederherstellen, Moore
wieder vernässen, Wiesen wieder zu
Feuchtwiesen werden lassen und Entwäs-
serungsgerinne, Gräben und Lauen mit
kleinen Aufweitungen versehen und deren
steile Ufer deutlich abschrägen. Nur dann
können dort die Bekassine und andere Wat-
vögel auf Nahrungssuche gehen. Jede Ver-
rohrung von Lauen ist zurückzunehmen.
Durch menschliches Tun bei der Begra-
digung von Flüssen, etwa der Drau, gehen
die genannten Teillebensräume verloren.
Gibt der Mensch den Flüssen wieder ihr
Flussbett, so werden auch die Gefahren
durch Hochwasser verringert. Bei land-
wirtschaftlichen Eingriffen (Verlegung
von Drainage, Umbrechen von Feucht-
wiesen) und zunehmender industrieller
Nutzung gehen nasse Wiesen als Brut-
und Rastbiotope verloren.
Helfen kann ihm das Beenden der Drai-
nage von Feuchtgebieten, das Erhalten an-
derer Überschwemmungsflächen und
überall die Einstellung der Jagd. Und das
muss nicht nur im Brutgebiet, sondern
auch im ganzjährigen Lebensraum ge-
schehen. Letzten Endes geht es um eine
Verbesserung des ökologischen Zustandes
unserer Fließgewässer und Seen.
Literatur
E
UROPEAN
E
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A
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beständige und regelmäßige Bewohner, oder als zeit-
weilige und durchziehende Gäste, auftreten. Volks- und
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M
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, P. & M
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N
IEDERFRINIGER
, O., P. S
cHREINER
& L. U
NTERHOLZNER
(1996): Aus der Luft gegriffen. Atlas der Vogelwelt Süd-
tirols. Bozen.
OSTTIROLER
NUMMER 6/2013
4
HEIMATBLÄTTER
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren
verantwortlich.
Anschrift der Autoren dieser Nummer: HR
Mag. Dr. Alois Kofler, A-9900 Lienz, Meraner
Straße 3 – Annemarie Bachler und Dr. Dieter
Moritz, Kärntner Straße 7, A-9900 Lienz,
E-Mail: dieter.moritz@aon.at
Manuskripte für die „Osttiroler Heimatblät-
ter“ sind einzusenden an die Redaktion des
„Osttiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad Pizzinini,
A-6176 Völs, Albertistraße 2 a.
Bekassine auf Nahrungssuche in Feucht-
wiese. Fühlt sie sich schon beobachtet?
Foto: Leander Khil