Seite 8 - HB_2013_02

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Scharen die Kirche, Italiener und Slowe-
nen sangen, seufzten und weinten, rutsch-
ten auf den Knien rund um den Altar und
erdrückten sich schier an den Beichtstüh-
len. Slowenen und Italiener blieben, wenn
die Unterkunft nicht mehr reichte, auch
wohl die ganze Nacht in der Kirche,
schlummerten ein paar Stunden auf einer
Bank, in einem Beichtstuhl oder in einem
Winkel am Boden. Um 3 Uhr morgens
schon ertönte die große Ave-Glocke; wie-
der strömten die Pilger herbei und füllten
die Kirche, bald auch begannen die heili-
gen Messen, das Austeilen der heiligen
Kommunion und um 6 Uhr wurde das
Allerheiligste ausgesetzt.
Um 8 Uhr begann der Festgottesdienst,
dessen Glanzpunkt die Prozession bildete.
Das Luggauer Wallfahrtsspiel „Das
Bildstöckl im Lesachtal“
21
Das Luggauer Wallfahrtsspiel „Das Bild-
stöckl im Lesachtal“ ist ein geschichtliches
Weihespiel in vier Aufzügen und drei
lebenden Bildern, verfasst von Thomas
Tiefenbacher (1892-1970) im Winter
1927/28 und mit Bewilligung der Kärntner
Landesregierung vom 3. Juli 1928 am 28.
Oktober 1928 erstmals in Luggau beim Pa-
ternwirt aufgeführt. Das Stück erwies sich
als großer Erfolg. Bis heute wurde es rund
250 mal gespielt. Tiefenbacher hat nicht nur
dieses Theaterstück geschrieben, sondern ist
durch zahlreiche schriftstellerische und fun-
dierte heimatkundliche Arbeiten an die
Öffentlichkeit getreten. Er war übrigens
auch ein fleißiger Mitarbeiter der „Ost-
tiroler Heimatblätter“.
Das Spiel stellt die Entstehung der Wall-
fahrt Maria Luggau im zweiten Jahrzehnt
des 16. Jahrhunderts in einemWeizenacker
an der Stelle, wo heute die Kirche steht, dar.
Die Handlung ist auf geschichtlicher
Grundlage aufgebaut. Als Quellen bei der
Bearbeitung dienten die diesbezüglichen
Urkunden und Urbare im Luggauer Klos-
terarchiv sowie hauptsächlich das Protokoll
des Matthias an der Wiese, die unter Eid
gestellte, gerichtliche Aussage eines Au-
genzeugen, über die Ereignisse, die zum
Bau eines Bildstockes im Weizenacker,
zum Bau der ersten und, fünf Jahre später,
der zweiten, jetzigen Luggauer Wallfahrts-
kirche, führten. Einige Male musste freilich
vom rein geschichtlichen Standpunkt etwas
abgewichen werden, um das Ganze zweck-
entsprechend für die Bühne formen zu kön-
nen. So fällt zum Beispiel das Eindringen
von Luthers Lehre ins Gail- und Lesachtal
zwar zeitlich mit dem Ursprung der Wall-
fahrt nicht zusammen, wurde aber dennoch
eingebaut, weil sie die Voraussetzung zur
Berufung der Franziskaner nach Luggau,
zum Klosterbau und zur Neubelebung der
Wallfahrt war.
* * *
Seit 378 Jahren ist der Servitenorden
Hüter des Marienheiligtums. In der Tat
sind die Servitenpatres, die nach der Regel
des hl. Augustinus leben, ein Marienorden,
dem besonders die Verehrung der Schmer-
zensmutter am Herzen liegt. Über 300
Jahre bezeugen, dass sie in Maria Luggau
in harter Arbeit zu verwirklichen suchten,
was ihre Ordenssatzungen wünschen. Der
hl. Philipp Benizi (gest. 1285) gilt als
zweiter Gründer, da er die Satzungen völ-
lig neu bearbeitete. Im Schlusskapitel der
Ordenssatzungen heißt es dazu
:
„Bei diesem Diensteinsatz soll die Gestalt
Mariens zu Füßen des Kreuzes unser Leit-
bild sein. Da der Menschensohn noch
immer in seinen Brüdern gekreuzigt ist,
wollen wir, die Diener seiner Mutter, mit ihr
zu Füßen der unzähligen Kreuze stehen, um
Trost und erlösende Mitarbeit zu bringen.“
Die Serviten überlebten in Luggau
bedrohliche Situationen. Das Kloster ent-
ging der Aufhebung sowohl unter Kaiser
Joseph II. als auch in den Jahren von 1938
bis 1945. Auch schwere wirtschaftliche
Krisen konnten immer wieder gemeistert
werden
.
Die Kirche von Maria Luggau bil-
det mit dem Servitenkloster auch heute
noch ein geistliches und kulturelles Zen-
trum mit enormer Ausstrahlung. Der
Wallfahrtsort zur Schmerzhaften Mutter-
gottes in Maria Luggau im Lesachtal ist
seit jeher Ziel der Wallfahrer aus Tirol,
Kärnten, Slowenien und Italien. Das Jubi-
läumsjahr 1513-2013 gibt Anlass, sich der
Bedeutung des besonderen Ortes zu be-
sinnen und auch auf die Jahrhunderte alten
Beziehungen zum Bereich des heutigen
Bezirks Lienz hinzuweisen.
Anmerkungen:
1
E[lisabeth] A
NGERLE
, Die Kirchfahrt Luggau, in: Ost-
tiroler Heimatblätter, 6. Jg., 7-8/1929, S. 65-104. – Diese
gründliche Untersuchung, verfasst von der noch vielen
Osttirolern bekannten Dominikanerin Schwester Elsbeth,
wird für die historischen Teile immer wieder herange-
zogen und im Einzelnen nicht mehr zitiert. – Viele ge-
schichtliche Angaben enthalten auch die Beiträge von
Thomas T
IEFENBACHER
, Die Geschichte von Maria
Luggau, in: Osttiroler Heimatblätter, 34. Jg., 9/1966,
unpag. [S. 3f.].
2
Für die Beschaffung des wichtigen und instruktiven
Bildmaterials sei Herrn Christoph Oberluggauer, PGR-
Obmann, herzlich gedankt. Ohne seine Mithilfe wäre es
nicht möglich gewesen, diese besondere Folge der „Ost-
tiroler Heimatblätter“ so reich und qualitätsvoll mit Ab-
bildungen auszustatten!
3
Zum Jubiläumsjahr erschien noch im Dezember 2012
eine reichhaltige und hervorragend bebilderte Fest-
schrift: WilhelmW
ADL
(Red.), Maria Luggau. 500 Jahre
Wallfahrt ins Lesachtal 1513-2013, Klagenfurt 2012.
4
Siehe besonders auch Elisabeth L
OBENWEIN
, Die ge-
schichtliche Entwicklung des Wallfahrtsortes Maria Luggau,
in: W
ADL
, Maria Luggau (wie Anm. 3), S. 15-31.
5
Thomas T
IEFENBACHER
, Maria Luggau, Salzburg 1958,
S. 2.
6
Beda W
EBER
, Das Land Tirol. Ein Handbuch für Rei-
sende, 3. Bd., Innsbruck 1838, S. 445.
7
Gabriel O
RTNER
, Das Gnadenbild, in: Osttiroler Hei-
matblätter, 54. Jg., 8-9/1986, unpag. [S. 4f.].
8
T
IEFENBACHER
, Maria Luggau (wie Anm. 5), S. 2, 5.
9
Thomas T
IEFENBACHER
, Die Franziskaner in Luggau, in:
Osttiroler Heimatblätter, 29. Jg., 11/1961, unpag. [S. 1f.]
– Florentin N
OTHEGGER
, 400 Jahre Tiroler Franziska-
nerprovinz. Luggau war die erste Klosterpfarre der Pro-
vinz, in: Osttiroler Heimatblätter, 48. Jg., 6/1980, unpag.
[S. 1-3].
10
Pfarre Maria Luggau. Festbroschüre 400 Jahre Pfarre
Maria Luggau 1594-1994, Lienz 1994, S. 10, 12.
11
Zur künstlerischen Ausstattung von Kirche und Kloster
siehe u. a. DEHIO-Handbuch Kärnten (= Die Kunst-
denkmäler Österreichs), Wien 1976, S. 370-373 – Wil-
helm D
EUER
, Maria Luggau – ein kunsthistorischer
Streifzug durch die Wallfahrtskirche, das Servitenklos-
ter und den Ort, in: W
ADL
, Maria Luggau (wie Anm. 3),
S. 47-88.
12
Gerhard W
ALDER
, Die Wallfahrtskirche von Maria
Luggau wird Basilika, in: Osttiroler Heimatblätter,
54. Jg., 8-9/1986, unpag. [S. 1].
13
Gabriel O
RTNER
, Die Wallfahrtskirche Maria Luggau.
Fachkundige und geglückte Gesamtinnenrenovierung,
in: Osttiroler Heimatblätter, 49. Jg., 10/1981, unpag.
[S. 1-4].
14
T
IEFENBACHER
, Maria Luggau (wie Anm. 5).
15
A
NGERLE
, Kirchfahrt Luggau (wie Anm. 1), S. 24.
16
Thomas T
IEFENBACHER
, Das Maria Luggauer Jubiläum
1963, in: Osttiroler Heimatblätter, 31. Jg., 11/1963,
unpag. [S. 4].
17
A
NGERLE
, Kirchfahrt Luggau (wie Anm. 1), S. 95f. – Eli-
sabeth L
OBENWEIN
, Die Mirakelbücher von Maria Lug-
gau, in: W
ADL
, Maria Luggau (wie Anm. 3), S. 33-46.
18
Alle Beispiele, auch die wörtlichen Zitate, entnommen
von A
NGERLE
, Kirchfahrt Luggau (wie Anm. 1), S. 91-94.
19
A
NGERLE
, Kirchfahrt Luggau (wie Anm. 1), S. 83f. – Jo-
hannes S
TEINRINGER
, Das Prozessionswesen in Osttirol,
theol. Diss., MS, Wien 1941, S. 92-97 und Register! –
Auf aktuellem Stand: Christoph O
BERLUGGAUER
, Auf
den Spuren der Wallfahrer. Eine Dokumentation aller re-
gelmäßig geübten Wallfahrten nach Luggau im Jahres-
lauf, in: W
ADL
, Maria Luggau (wie Anm. 3), S. 89-112
– Ders., Kurzbeschreibungen der Wallfahrerwege nach
Maria Luggau, in: W
ADL
, Maria Luggau (wie Anm. 3),
S. 113-116.
20
A
NGERLE
, Kirchfahrt Luggau (wie Anm. 1), S. 85f.
21
Thomas T
IEFENBACHER
, Das Luggauer Wallfahrtsspiel,
in: Osttiroler Heimatblätter, 44. Jg., 3/1976, unpag.
[S. 3f.] – Albert T
IEFENBACHER
, Thomas Tiefenbacher
und das Bildstöckl im Lesachtal, in: W
ADL
, Maria
Luggau (wie Anm. 3), S. 117-121.
OSTTIROLER
NUMMER 3/2013
8
HEIMATBLÄTTER
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren ver-
antwortlich.
Anschrift des Verfassers: HR Dr. Heinz Wieser,
A-6020 Innsbruck, Dr. Glatzstraße 2/II.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimatblätter“
sind einzusenden an die Redaktion des „Ost-
tiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad Pizzinini,
A-6176 Völs, Albertistraße 2 a.
Wallfahrtsspiel „Das Bildstöckl im Lesachtal“ von Thomas Tiefenbacher, Aufnahme von
der Aufführung des Jahres 2008, Gruppenfoto.
(Foto: Michael Meyer, www.michaelmeyer-foto.com)