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Nummer 2 –– 68. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i m a t b l ä t t e r
Der europäische Krieg ist nun durch die
finsteren Mächte zum Weltkrieg im buch-
stäblichen Sinne des Wortes geworden.
Das Schlachten und Morden wird weiter-
gehen, ja wird vielleicht im kommenden
Jahre einen gewissen Höhepunkt erreichen.
Aus meiner Heimat (Österreich) meldet
man mir bitterste, seelische Not. Hitler
kennt kein Erbarmen mit seinem Volk. Er
glaubt berechtigt zu sein, ganz Europa mit
sich in den Abgrund zu reißen. Aus der
Klosterwelt schreibt man mir, daß viele
Äbte sterben. Die einen im KZ-Lager, an-
dere in fernen Krankenhäusern. Alte Or-
densleute werden als unproduktiv getötet
und verbrannt. Ihre Asche kann man für
vier Mark erhalten. Die Abteikirchen und
Klöster werden buchstäblich ausgeraubt.
Mir dagegen hat Gott bisher ein ,siche-
res Plätzchen‘ verschafft. Wie habe ich das
verdient? Womit soll ich danken?“
Den Höhepunkt des Briefes bilden aber
zweifellos die Worte gegen Hitler: „Stalin
hat, wie berichtet wird, wenigstens jetzt,
während des Krieges, seine Christenver-
folgung eingestellt. Hitler aber treibt den
Kampf gegen die Kirche gerade jetzt auf
die Spitze. Da gibt es noch Katholiken, so-
gar katholische Priester, die diesem Nero
auf deutschem Thron Weihrauch streuen,
ihn verteidigen und seine Christenverfol-
gung als harmlos hinstellen möchten.“
Zwei Jahre später stand P. Edmund
wegen dieser „Greuelhetze“ und anderer
Beschuldigungen vor dem berüchtigten
Richter Dr. Freisler.
In dieses „sichere Plätzchen“, wie P. Ed-
mund in seinem Weihnachtsbrief trügerisch
gemeint hatte, kamen Anfang Mai 1944
GESTAPO-Beamte, um den Menschenraub
an einem dem Regime missliebigen Priester
durchzuführen, der um die Aufenthalts-
genehmigung der ungarischen Regierung
ersucht und sie auch erhalten hatte.
Am 20. Mai 1944 wurde P. Edmund an
das Landesgericht Wien überstellt und mit
13. Oktober 1944 wegen „Wehrkraftzer-
setzung und Feindbegünstigung“ ange-
klagt. Nach dem ersten großen Bomben-
angriff auf Wien hatte man P. Edmund an
das Landesgericht Salzburg überstellt. Die
„Da Ungarn schon zur Zeit des Briefes
[Dezember 1942] als ,verbündetes Volk an
unserer Seite kämpfte‘, sei Ersatzöffent-
lichkeit vorhanden.“
Bei der Verhandlung wurden zwei wei-
tere Anschuldigungen, ohne in der An-
klageschrift enthalten zu sein, nämlich
„Devisenschiebung und Homosexualität“,
vorgebracht. Da sich dafür aber nicht ein-
mal der Schatten eines Beweises ergab,
wurden diese Vorwürfe nur nebenbei
erwähnt. Zur Devisenschiebung hatte
Freisler gemeint, dass der Pater „während
seiner Emigration die deutschen Devisen-
bestimmungen“ fortgesetzt und vorsätzlich
verletzt habe, indem er sich „Messstipen-
dien zum Persolvieren, im ganzen, wie er
jetzt sagte, 700 bis 800, wie er früher zu-
gab, für 5.000 bis 6.000 Pengö“, habe über-
weisen lassen. Dann der Satz: „Welch
widerlicher Handel mit Seelennöten!“
Als sich ergab, dass die Anschuldigung
der Devisenschiebung zuwenig stichhaltig
sei, änderte Freisler diesen Punkt auf Va-
lutenschiebung ab und begründete dies mit
der Behauptung, beim Pater wären von
GESTAPO-Beamten 50.000 RM be-
schlagnahmt worden. Das Verlangen,
den zur Einvernahme von Wien nach Salz-
burg geladenen GESTAPO-Beamten zu
hören, wurde von Freisler schroff abge-
lehnt. Durch die Aussage dieses Beamten
wäre an den Tag gekommen, dass P. Ed-
mund niemals über einen RM-Betrag ver-
fügt hatte. Sein gesamtes Barvermögen bei
der Verhaftung hatte aus 50 Pengö be-
standen. Freisler hatte dieser Zahl
während der Verhandlung kaltblütig
„drei Nullen“ angehängt. Als man den un-
glückseligen Pater abführte, bat ihn der
GESTAPO-Beamte, der ihn verhaftet hatte,
um Verzeihung, weil er für die „Fälschung
des Protokolles“ nicht verantwortlich sei.
Weil P. Edmund als Erzieher und Präfekt
Schülern, Zöglingen und Lehrlingen be-
ruflich in die Nähe gerückt war, erhob
Freisler mit dem Hinweis, der Pater habe
„zwei deutsche Lehrjungen ,getutschelt‘
[getätschelt] und an sich gedrückt“, auch
den Vorwurf der Homosexualität. Da die-
se Anschuldigungen aber nicht zu bewei-
sen waren, wurde das Beweis-Manko von
Freisler mit einer zynisch-beleidigenden,
den Priester demoralisierenden Bemerkung
wettzumachen versucht. Mit der Erwäh-
nung, ein angebliches Ermittlungsverfah-
ren sei noch nicht abgeschlossen, war die-
ses Thema abgetan. Wie fadenscheinig die-
ser Vorwurf war, geht schon daraus
hervor, dass die GESTAPO seit der Emi-
gration des P. Edmund im Herbst 1938 Zeit
und Gelegenheit, ohne jede Verabredungs-
oder Verdunkelungsgefahr, genug gehabt
hätte, die Ermittlungen zu Ende zu führen.
In der Nazi-Zeit war es ein bevorzugtes
Vorgehen, unliebsame Kritiker, vor allem
auch aus dem Kreise der Ordenspriester,
mit solchen Vorwürfen, selbst ohne sie be-
weisen zu können, zu punzieren und zu
vernichten. Dass es in diesem Prozess, bei
dem sich die Anklage hauptsächlich nur
auf den Brief an den Erzabt stützte, über-
haupt nicht um „Wahrheitsfindung“, son-
dern nur um die Verurteilung eines Prie-
sters aus ideologischen Gründen ging, geht
aus dem Urteil klar hervor. So etwa: „Mit
diesen schwersten Beschimpfungen unse-
res Führers und der NSDAP, damit des
ganzen deutschen Volkes“, habe sich der
Pater „bei einem einflußreichen Ungarn
zum Propagandabüttel unserer Kriegsfein-
de gemacht (§ 91 b StGB.). Das ist höchst
gefährlich. Denn viele solche Informatio-
nen können die Stimmung führender
Kreise eines befreundeten und verbündeten
Staates [Ungarn] zu uns angreifen. Deshalb
gebietet der Schutz unseres kämpfenden
Reiches, daß wir solchen Verrat mit dem
Tode bestrafen. Das verlangt ebenso das
Sauberkeitsbedürfnis unseres Volkes, das
solche ,Verräter‘ nicht weiter in seiner
Mitte wissen will. Zugleich hat P. Pontiller
seine Ehre für immer verwirkt.“
Wie der Brief in die Hände der
GESTAPO geraten war, scheint in den
Chroniken nicht auf.
Die Verteidigung durch den Rechtsbei-
stand schien völlig nutzlos. P. Edmunds
Schlusswort wurde von Freisler donnernd
unterbrochen: „Sie müssen sterben, damit
das deutsche Volk leben kann!“
Verhandlung, die dreimal wegen Flieger-
alarms unterbrochen werden musste, fand
am 15. Dezember 1944 statt.
Die Richter des I. Senates des Volksge-
richtshofes mit Dr. Freisler als Vorsitzen-
dem und Landgerichtsdirektor Schle-
mann, Generalmajor a. D. und SA-Grup-
penführer Haas, SA-Standartenführer
Koch und Oberreichsleiter Fessmann als
Beisitzer – Landgerichtsdirektor Len-
hardt war Anklagevertreter –, verurteilten
den Pater wegen seiner „haßerfüllten
Greuelhetze“, ihn, den „emigrierten
Reichdeutschen in Ungarn“, der fortge-
setzt feindliche Hetzsender angehört und
das Gehörte zum Teil durch einen an den
Erzabt des Benediktinerordens, im ver-
bündeten Ungarn, gerichteten Brief
weiterverbreitet habe. In diesem Brief ha-
be er eine „haßerfüllte Greuelhetze gegen
das Deutsche Reich, insbesondere den
Führer“, getrieben und „Deutschlands so-
wie Europas sicheren Untergang durch die
Schuld des Führers“ vorausgesagt.
Weil dieser Brief im Ausland geschrie-
ben worden war, meinte der Gerichtshof:
P. Edmund im Kreise seiner Eltern und Geschwister mit Schwägerin Ida und Neffen
Franz; Aufnahme von 1926.