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O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
68. Jahrgang –– Nummer 12
Reides (Ried/Anras) samt allem Zubehör
an Leibeigenen, Feldern und Wäldern,
Weiden und Fischereien, das sie alles in
Besitz gehabt hatte, an den Altar der hl.
Kirche zu Brixen in die Hände des Bi-
schofs Altwin. – Geschehen zu Stein.“
(Stein bei Laibach oder im Jauntal)
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Eine weitere Urkunde ist aus dem Jahre
1110 erhalten: „Ein freyer Mann, Herrent
mit Namen, gibt alle seine Ansprüche auf
zwei Landgüter zu Luenza und Dillach auf
den Altar der hl. Kassian und Ingenium in
die Hände des Bischofs Hugo von Brixen.“
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Das alte Schenkungsgebiet Herzog
Tassilos, zu dem ja auch Tilliach gehörte,
kam 816, um einen stärkeren Rückhalt zu
haben, durch Kaiser Ludwig an das Hoch-
stift Freising. Dadurch erhielt das Hoch-
stift auch die Immunität, d. h. die Befrei-
ung von der Amtsgewalt des Grafen.
Trotzdem brauchte das Hochstift einen
weltlichen Amtsträger, einen Vogt, um
durch ihn die grafschaftlichen Verwal-
tungsbefugnisse ausüben zu lassen.
Vögte für das Hochstift Freising seit Mitte
des 12. Jahrhunderts waren: die Grafen
von Greifenstein, die Grafen von Andechs
und Tirol und seit 1271 die Grafen von
Görz. Diesen gelang es, das Freigebiet
Innichen, außer der engeren Hofmark, in
ihre Gewalt zu bekommen. Aus diesen
neuen Gebieten wurden zwei görzische
Landgerichte mit hoher Gerichtsbarkeit:
Welsberg und Heinfels. Tilliach kam also
zum Landgericht Heinfels.
Um 1300 war der Ort bereits eine kleine
Siedlung, ein eng zusammengebautes
Haufendorf zum Schutz gegen die nahe
Grenze, die damals noch die Gail bildete.
Das Urbar der Grafen von Görz um
1300 nennt 16 Höfe, teils mit Namen der
Bauern. Nach brixnerischen Urbaren des
14. Jahrhunderts gab es in Tilliach bereits
26 brixnerische Schwaighöfe. Sie zinsten
dem brixnerischen Amt Anras, das bereits
1265 urkundlich erwähnt wird. Für die
görzischen Höfe bestand ein eigenes
„officium“ (Amt) in Tilliach.
Schwaigen sind eine ausgesprochene
bayerisch-alpine Wirtschaftsform.
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Es
sind landwirtschaftliche Gutsbetriebe, die
sich vorwiegend mit Viehzucht und Mol-
kerei befassten.
Infolge der Vermehrung der Bevölke-
rung im Haupttal kam es zu gesteigertem
Bedarf an Lebensmitteln und damit zur Er-
richtung von Schwaigen im Hintergrund
der Seitentäler und auf freien Berghängen
an der Waldgrenze.
Das Hochstift Brixen und etwas später
auch die Görzer Grafen errichteten
Schwaigen in Tilliach. Die Brixner
Schwaigen lieferten 50 Milchschafe, die
Görzer Schwaigen 18.
Daneben wurden auch Wolle, Loden,
Bock- und Ziegenfelle und vor allem Käse
geliefert.
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Unruhige Nachbarn
Durch die Vergrößerung des Ortes
Tilliach wuchsen auch die Grenzstreitig-
keiten um die Weidegebiete im Dorfertal
mit den Cadorinern. 1389 befahl der
Generalvikar des Patriarchen von Aquileia
den angrenzenden Gemeinden im Cadore,
von der Besetzung der dem Stift Innichen
gehörigen Almen im Frontal abzulassen.
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Um weitere Streitigkeiten zu vermeiden,
wurde 1448 in einem Vertrag zwischen Jo-
hann, Bischof von Brixen, und Heinrich
IV., Graf von Görz, im Namen der Insas-
sen von Tilliach und Kartitsch mit dem
Bevollmächtigten des Dogen von Venedig
als Anwalt der Einwohner von Cadore und
Comelico ein Vertrag geschlossen, der die
neue Grenze zwischen Tilliach und Cadore
von der Gail auf den Karnischen Kamm
verlegte. Doch auch dieser Vertrag
konnte die Ruhe nicht dauerhaft festigen,
obwohl auf dessen Störung schwere
Geld- und Leibesstrafen gesetzt waren:
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„So schlichtete der Dekan von Innichen
Augustin Platzoler von Sichelberg mehrere
Streitigkeiten wegen der Alpen von Tilli-
ach, die mit den Cadorinern ausgebrochen
waren.“
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(Dekan Platzoler starb 1468.)
Oft wurde weiterhin der Karnische
Kamm von den Italienern zu Raubzügen
überschritten. Zwei besonders gefährliche
werden urkundlich erwähnt:
„1512. Die kaiserlichen Truppen hatten
Anfang dieses Jahres den Venezianern in
Cadober großen Schaden zugefügt, sodass
man einen rächenden Gegenschlag be-
fürchten musste.
Der Bischof von Brixen ermahnte
daher seine Amtleute in Schöneck, St. Mi-
chelsburg, Bruneck, Heinfels und Anras,
auf guter Hut zu sein. (2. Jänner 1512)
Schon am 6. Jänner kam eine Streifpar-
tie von Wälschen durch das Tal Vallmereit
(Erlachtal) vor Tagesanbruch nach Tilliach
und fing an, das Dorf auszuplündern. Da
sie aber kaum sechs Häuser geplündert
hatten, sammelte sich die Dorfgemeinde,
eilte den nun fliehenden Räubern nach, er-
schlug 26 derselben, machte sechs Gefan-
gene und führte die Beute wieder zurück.“
Diese Nachricht schrieb der Vikar in
Tilliach Oswald Streicher aus Lienz ins
Messbuch ein. Zugleich wünschte er den
Erschlagenen die selige Ruhe.
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104 Jahre später wird von einem weite-
ren Überfall berichtet. „Diesmal wagten
die unruhigen Nachbarn einen Überfall ins
Dorfertal, wo auf Scheibrastl 300 Schafe
weideten, die sie raubten. Doch die Ein-
wohner von Obertilliach wurden durch die
Hilferufe der Hirten geweckt, erreichten
die Räuber mit ihrer Beute noch im Innern
des Dorfertales auf einem moosigen
Boden in Seeland unter der Rosskarspitze.
Im blutigen Kampf wurden viele erschla-
gen. Das geraubte Vieh konnte wieder zu-
rück geführt werden.
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Beschwerden der Tilliacher
Der große Bauernaufstand vom Jahre
1525 hat sich im Pustertal vor allem gegen
das Hochstift Brixen gerichtet, sodass der
Fürstbischof Sebastian Sprenz es vorzog,
die Flucht nach Venedig anzutreten. Bei
seiner Rückkehr verstarb er in Bruneck.
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Tilliach hatte deshalb seine Beschwer-
den mit Anras an den Tiroler Landes-
fürsten gerichtet.
Titelvignette und Ausschnitt aus der Landkarte des Cadore („IL CADORINO“) von Johannes
Janssonius, erschienen in Amsterdam um 1640. Im Norden greift die Karte über den Karnischen
Kamm hinüber in das Gailtal und führt die Orte „S. Maria da Lucau“ (Maria Luggau) und als
Besonderheit „Cercena“ für Obertilliach an.
(Original Archiv M. Pizzinini)
Wappen des auch für das brixnerische Til-
liach zuständigen Anraser Richters Jörg
Winkelhofer (Winckhlhoffer), 1498–1538.
(Wappensammlung von Josef
Oberforcher, Museum der Stadt Lienz
Schloß Bruck)