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O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
70. Jahrgang – Nummer 2-3
Barocke Volksfrömmigkeit als
geistiger Hintergrund
Das religiöse Leben in der Stadt Lienz
nahm im 17. Jahrhundert einen ungeheu-
ren Aufschwung
6
. Die Impulse zur Glau-
benserneuerung, die das Konzil von
Trient gesetzt hatte, waren hier auf
fruchtbaren Boden gefallen. Im Jahr 1614
wurde die erste Kirchenvisitation durch-
geführt. Anhand der Protokolle lässt sich
bis zum Ende des 17. Jahrhunderts ein
tiefer Wandel feststellen. Im Jahr 1671
wurde im Pfarrsprengel von St. Andrä, der
weit über das Stadtgebiet hinausreichte,
niemand mehr als „Häretiker“ oder „Un-
gehorsamer“ erkannt. Das Pfarrvolk
wurde als religiös, gottgetreu und fromm
beschrieben. Und der Visitator schloss mit
den Worten:
„... es gebe Gott und seine
Mutter, dass es auf ewige Zeiten so bleibe
und noch weiter voranschreite!“
Bis in das 18. Jahrhundert hinein lässt
sich der gleich hohe religiöse und sittliche
Stand der Lienzer Bevölkerung verfolgen.
In diesem Jahrhundert wurden überdies die
Volksmissionen der Jesuiten durchgeführt,
die allgemein positiven Einfluss auf Kin-
der, heranwachsende Jugend, Eltern und
Vorgesetzte zu nehmen, Bußgeist und den
Geist christlicher Nächstenliebe und Ge-
rechtigkeit zu wecken, Aberglauben und
Ketzerei auszurotten suchten. Diese
Volksmissionen, die in Lienz in den Jah-
ren 1721, 1736, 1744, 1754 und 1767
unter großer Beteiligung der Bevölkerung
aus Stadt und Umgebung abgehalten wur-
den, konnten dem religiösen Leben noch
einen weiteren Aufschwung vermitteln.
Der religiöse Eifer zeigte sich in einer
Fülle barocker Glaubensäußerungen.
Dazu zählte die Gründung von Bruder-
schaften, losen religiösen Vereinigungen,
an deren Gebetsübungen und Feierlichkei-
ten die Bevölkerung regen Anteil nahm. Im
Jahr 1715 rief Dekan und Stadtpfarrer Karl
Cyriak Troyer, Freiherr von Anshaimb und
Gremsen, die Bruderschaft von der Todes-
angst Christi ins Leben und wies ihr den
Kreuzaltar in der Pfarrkirche St. Andrä zu.
Am selben Altar errichtete er 1727 den
geistlichen Verein der christlichen Liebe,
ein „Messen-Bündnis“, bestehend aus
100 Mitgliedern, die sich verpflichteten,
beim Tod eines Mitgliedes je eine heilige
Messe lesen zu lassen, so dass jedes Mit-
glied nach seinem Tod in den Genuss von
99 Messen kam. Karl Cyriak Troyer,
Dekan seit 1698, resignierte noch im sel-
ben Jahr 1727 auf die Pfarre St. Andrä,
doch behielt er bis zu seinem Tod im Jahr
1732 das Amt des Lienzer Dekans bei.
Im 17. und 18. Jahrhundert war die
Pfarre Lienz durchwegs mit glaubenseifri-
gen und gebildeten Pfarrherren besetzt.
Auf Troyer folgte Karl Nikolaus Hiltprandt
von Reinegg (1727 – 1763) als Pfarrer und
ab 1732 auch als Dekan. Ausgebildet in
Innsbruck und am Germanicum in Rom,
war er ein Mann hoher Wissenschaft,
zeichnete sich aber ebenso durch Pflicht-
eifer, Güte und ein frommes Leben aus.
Eine wichtige Form religiöser Feiern
waren die Prozessionen, die an Festtagen
oder aus Anlass von Bruderschaftsfeiern
durchgeführt wurden. Mehrfach war St.
Andrä Ausgangspunkt oder Zielort von
Prozessionen. In Lienz und Umgebung
fehlte es nicht an Stätten der Verehrung.
Gerne aufgesucht wurden ein überlebens-
großer Schmerzensmann in der Gruft der
Pfarrkirche St. Andrä, eine hochgotische
Pietà bei den Karmeliten, wo auch ein
„Prager Jesukindlein“ verehrt wurde. Bei
den Dominikanerinnen befand sich ein
wundertätiges Kreuz und auf Schloß
Bruck eine alte Heiltumssammlung, eine
Sammlung von Reliquien, deren Entste-
hung noch in die Görzer Zeit zurück-
reichte. Wallfahrten führten die Lienzer Be-
völkerung zu verschiedenen lokal bedeu-
tenden Gnadenstätten der Umgebung, be-
sonders nach Lavant, auf den Ulrichsbühel,
nach St. Ottilia in Amlach, St. Chrysan-
then, St. Helene, zur Kapelle Maria Trost
und nach St. Wolfgang in Glanz.
Seit dem 16. Jahrhundert sind für Lienz
Aufführungen geistlicher Spiele belegt
7
.
Dem Usus der Zeit entsprechend, flossen
vielfach Prozession und Spiel ineinander.
Von den Umgangsspielen ist in diesem Zu-
sammenhang die Karfreitagsprozession
bemerkenswert. – Die städtischen Zünfte
waren in das Prozessionsspiel insofern voll
eingebunden, als sie die einzelnen Figuren-
gruppen zusammenstellen mussten. Pfarrer
Hiltprandt setzte sich dafür ein, dass die
vorkommende „Juden-ungezimlichkheit“
bei der Karfreitagsprozession unterbleibe.
Ihm ging es natürlich um Verinnerlichung
des Passionsgeschehens. In seiner Amtszeit
kam auch das prunkvolle Heilige Grab der
Stadtpfarrkirche St. Andrä zustande, das
demselben Zweck dienen konnte.
Ein einfaches Heiliges Grab in der bis
dahin üblichen Schrein- oder Katafalk-
Form – vielleicht wie heute noch in St. He-
lene (Oberlienz) – dürfte freilich schon
längst bestanden haben. Im Jahr 1722 hört
man erstmals von der Neuerrichtung
eines Heiligen Grabes für St. Andrä. Mit
22. Oktober ließ Pfarrer Troyer dem Ma-
gistrat der Stadt vortragen, es sei notwen-
dig, ein Heiliges Grab verfertigen zu las-
sen
8
. Der geistliche Herr Josef Lederer
würde 150 Gulden spendieren, weitere 50
Gulden habe er bereits in Händen und 150
Gulden sollten mit Zustimmung der Stadt
vom Kapital der Pfarrkirche verwendet
werden. Wie auch immer der Beschluss
ausgefallen ist, der nicht überliefert ist, es
kam zu diesem Zeitpunkt jedenfalls noch
nicht zur Errichtung eines Heiligen Grabes.
Bemalung der Flachkuppel der Pfarrkirche von Telfes im Stubaital als Beispiel
der Beherrschung der Perspektive durch Anton Zoller, 1757.
Foto: Tiroler Kunstkataster (B. Kraft)
Kupferstich aus dem weit verbreiteten Werk des Andrea Pozzo mit Lehrbei-
spielen zum Studium von perspektivischer und illusionistischer Malerei.
(Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum)