Seite 4 - H_2002_09-10

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O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
70. Jahrgang – Nummer 9-10
Die mündliche Überlieferung über den
Ablauf der Katastrophentage hat Josef
Manfreda in den OHBl 1, 2/1936 aufge-
schrieben. Seine Gewährsleute waren die
Altbauern Ignaz Huber vom Wahler und
Anton Rohracher vom Kammerlander in
Thurn/Oberdorf.
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Den anschaulichen Darstellungen fol-
gend, fand das erste Unwetter zur Zeit des
Roggenschnitts 1874, das zweite 1879
(ohne Angabe von Monat und Tag) und
das dritte am Johannistag 1881 statt.
Die Unwetter 1882 im Pustertal seien in
Thurn spurlos vorüber gegangen.
Manfreda beschreibt besonders ausführ-
lich Ablauf und Schäden von 1881. Die
Orts- und Geländenamen sind gut darge-
stellt und lassen daraus schließen, dass
sich der Autor intensiv mit den Informan-
ten unterhalten hat.
Von 1881 übernehme ich gekürzt die
Darstellungen über die Ursachen und das
Ausmaß der Verwüstungen. Auslöser der
Muren aus dem Marodus- und Zauchen-
bach waren anhaltende Regengüsse am
Vorabend des 24. Juni. Am Johannistag
um 4 Uhr nachmittags begann es zu schau-
ern, fast ohne Unterbrechung bis Mitter-
nacht. Im Schleinitzgebiet hätten sich bis
Mitternacht zwölf Gewitter entladen. In
Thurn seien die ganze Kornernte vernich-
tet und die Obst- und Nutzbäume entlaubt
worden. Der Zauchenbach brach unterhalb
der Säge aus und hatte an der Ausbruch-
stelle eine Vertiefung von zwei bis drei
Metern. Die Wasser-, Geröll- und
Schlammmassen wälzten sich durch die
Geländemulde oberhalb Stoffen und
Wahler an Petterer und Moar vorbei, teil-
weise in die Felder und über den Kirch-
weg, der beidseitig von Trockenmauern
eingefasst war, in Schneiderle Feld (die
Häuser Innerkofler und Kurzthaler stehen
heute auf dem Schuttfächer), aber auch
durch die Moar Eprachten und die Hofer-
felder (heute Weberfeld). Manfreda wört-
lich: „…mit der Ausbreitung des Murlau-
fes nahm auch die Ablagerung zu. Die be-
troffenen Felder bis zur Thurner Kirche
wurden in ziemlich breiten Flächen ver-
wüstet und auch unterhalb der Kirche
kamen noch namentlich die Besitzungen
des Jager- und Zenzelerbauern arg zu
Schaden. Namentlich die sogenannte
Hoferegarte des Feldwablhofes und das
Mesnerfleckl als Kirchengrund sollten am
meisten vermurt worden sein und die
Steinriegel in den Feldern zwischen
Oberthurn und Kirche wurden durch die
Schuttaufräumung mehrfach vergrö-
ßert …“ (Bewachsene Erdhügel südwest-
lich der Moar Eprachte und nordöstlich im
Schneiderle Feld wurden vergraben bzw.
beim Schulhausbau zum Obstgarten. – An-
merkung des Verfassers).
Das Stallvieh bei Petterer und Moar sei
bis zu den Bäuchen im Murschutt gestan-
den, die Stall- und Haustüren waren durch
das Geröll blockiert. Beim Moar sei ein
80-jähriger kranker Mann und bei Petterer
eine alte, gebrechliche Bäuerin über den
Söller ins Freie gebracht worden.
1879 erfolgte der Austritt des Thurner-
baches (Zauchenbach) oberhalb der
Thurner Säge. Von dort nahm sein Verlauf
den grabenartigen Fahrweg zum Stoff-
bauer und weiter den Moosweg entlang
zum Feldwabl.
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Das Geröll habe sich dort
abgesondert und das verbliebene Murwas-
ser fand dann im bestehenden Kanal sei-
nen Abfluss, der wieder in den Moosweg
mündete und schließlich beim Zenzeler in
das Gerinne des Großbaches gelangte.
An dieser Stelle sei mir ein Hinweis er-
laubt: In den Hochwassertagen des Sep-
tember 1965 floss über den Moosweg zum
Feldwabl ein „Mühlbach“, der sich aus den
abfließenden Wassern entlang der Hang-
leiste gebildet hatte – der Zauchenbach war
in seinem Bett geblieben. Wie würde es im
Bereich Feldwabl aussehen, wenn – nach
der „Schotteraktion 2001“ – sich die
Situation von 1965 wiederholen würde?
1874 zur Zeit des Roggenschnittes war
es, als in einer Nacht schauerhafte Wol-
kenbrüche im Schleinitzgebiet niedergin-
gen. Der Schauer sei noch Tage in den
Almfluren liegen geblieben.
„Flachsriffel“; die Riffel diente zum Abreißen der Samenkapseln.
Die Zeit des Roggenschnittes dürfte die
erste Julihälfte gewesen sein. Sein Bericht
verflacht sich ins allgemeine und bringt für
Thurn ausführliche Bächebeschreibun-
gen, die ja bekannt sind.
Vom Geld
Ja, das liebe Geld! Es spielte schon zu
Bibelzeiten eine wichtige Rolle und ist
heute ins Zentrum der globalen Welt ge-
langt, wo es die Gesellschaft steuert und
wieder zum „Tanz um das Goldene Kalb“
geworden ist. Zu Kaiserszeiten – damit
meine ich das Jahrhundert vor dem Ersten
Weltkrieg – war das Geld eine kompli-
zierte Sache und nicht für jedermann so
ohne weiters durchschaubar, wie wir
gleich lesen werden.
Man zahlte mit Gulden (fl), Kreuzern
(x), Kronen (Kr), Heller (h). Die unter-
schiedlichen Wertungen (Währung)
machten das Handhaben auch nicht leich-
ter. In den Urkunden vor 1858 ist die Rede
von Reichswährung (R. W.), Tirol Wäh-
rung (T. W.) und Wiener Währung (W.
W.). Der Gulden war in 60 Kreuzer unter-
teilt. Nach der Reform von 1858 hat der
Gulden 100 Kreuzer. Gerechnet wird
weiterhin mit W. W. (W. W. ist nun Ös-
terreich Währung), Conventionsmünze
(C. M.) und gelegentlich noch in T. W.
100 fl C. M. entsprachen 105 fl österrei-
chischer Währung.
C. M. ist R. W., wenn man den fünften
Teil dazuzählt, T. W. ist R. W., wenn man
den siebten Teil dazuzählt, T. W. ist C. M.,
wenn man den 21. Teil zwanzigmal nimmt
und 1 fl T. W. = 60 x = 240 Vierer (vr) –
(nach Fritz Kirchmair).
Ab 1892 wird der Gulden (fl) unterteilt
in 2 Kronen (Kr), 1 Kr = 100 Heller (h)
Goldmünze.
Papiergeld war nicht im Umlauf. Der
einfache Mann hat sich mehrheitlich
wohl auf die Ehrlichkeit der Geldverleiher,
Beamten bei Gericht und Verwaltung ver-
lassen müssen. In Schuldscheinen, Quit-
tungen, Rechnungen u. dgl. ist immer die
Währung angegeben, z. B. 200 fl Öst. W.
oder C. M., R. W. usw.
Die Frage, wie viel ein Gulden heute
wert sei, wird immer wieder gestellt. Es
gibt keine direkte Antwort. Vom Institut
für Numismatik an der Universität Wien
(Dr. H. Emmerich) erhielt ich folgende
kurzgefasste Antwort: Eine Umrechnung
von Gulden in Schilling (€) sei nicht
möglich und auch nicht sinnvoll, weil die
Wertrelationen von damals und heute
unterschiedlich seien. Auf Basis der Pro-
duktpreise ergäbe sich die Umrechnung
anderer Werte als auf Basis der Arbeits-
preise. An drei Beispielen soll dies be-
greiflich gemacht werden:
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A) Vergleich über Produktpreis:
1865 kostet ein Paar Frauenschuhe 2 fl
Österr. W.,
1999 müsste ein Schuster bei gleichen
Herstellungsmethoden dafür 6.000 bis
7.000 S (= rd. 450 €) verlangen, man
bekommt sie aber um etwa 1.500 S
(109 €), daher ist ein Gulden 750 S
(54,50 €) wert.
B) Vergleich über Materialpreis:
1879 kostete ein Fassl Portlandzement
(rd. 50 kg) 13 fl 72 x, das entsprach