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Eine große Katastrophe für das
Messingwerk
Der Betrieb erfuhr immer wieder Um-
strukturierungen und Veränderungen.
Einen schwarzen Tag für das Messingwerk
und die Familie Wolkenstein-Rodenegg be-
deutete der 8. April 1609, der Tag des kata-
strophalen Stadtbrandes, der den größten Teil
von Lienz in Schutt und Asche legte.
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Nicht
nur der neu errichtete Ansitz Liebburg und
noch mehrere den Wolkensteinern gehörende
Häuser wurden zerstört, sondern auch das
Messingwerk, was einen großen Schaden be-
deutete. Nicht nur, dass der Wiederaufbau
viel Geld kostete, es war auch die Produktion
für einige Zeit stark eingeschränkt. Von der
Regierung in Innsbruck wurde eine Kom-
mission nach Lienz entsandt, um die Schä-
den aufzunehmen. In der Abhandlung
scheint auf, dass die „schön- und wohler-
baute Messinghütten“, die Hammer-
schmiede, die Schabhütte samt allemVorrat,
Proviant und allen Schriften, „zu der Buech-
halterei gehörig“, vernichtet worden seien.
Eine der Beilagen zum Bericht ist eine groß-
formatige Federzeichnung auf Papier, dar-
stellend „die außgeprunne Statt Lienz“.
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Durch das angelegte „Verzaichnus was lai-
der Got erbarms alhie zu Lienz den 8. Aprilli
1609. Jahr für Khürchen, Feur- und Fueter-
behausungen, auch Mühl und … Badstuben
verprunnen ist“
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kennt man die einzelnen
Hausbesitzer in dieser Gasse im Jahr 1609:
Messinggasse Nr. 2 (Bauparzelle 171)
Christoph Ebenberger, Tuchscherer, Be-
hausung mit dahinter liegendem Futterhaus
(Im Kamin dieses Hauses war der Brand
ausgebrochen.) – Nr. 4 (BP 170) Joseph
Kranz’ Erben, Behausung mit großem Fut-
terhaus – Nr. 6 (BP 164) Wolf Aichorn, Be-
hausung mit großem Futterhaus und Stall –
Nr. 8 (BP 163) Erben von Hanns Bauern-
feind, Behausung und Holzhütte – Nr. 10,
10a (BP 162) Vinzenz Winkler, „Stuben-
und Stallbehausung samt Padstuben“ – Nr.
12 (BP 161) Erben des Hans Kurz, Behau-
sung, Stall und Badstube – Nr. 14 (BP 160)
Christian Knoll, Behausung – Nr. 16 (BP
158) „Saillerisch Behausung“ mit Stallung
und Badstube – Nr. 18 (BP 157) „Das Haf-
fen Haus“ (Messingwerk-Hafnerei) und
Georg Reuter, Huter, Behausung mit Stall
und Heuhütte – Nr. 20 (BP 156) Heinrich
Mayr, Behausung, Stallung und Holzhütte –
Nr. 22 (BP 153) Haus gehört zum Mes-
singhandel.
Auf der anderen Seite der Meranergasse
wurden zerstört:
Nr. 1 (BP 126) Andrä Bauernfeind, Be-
hausung samt Schmiede, Futterhaus und
Stallung – Nr. 3 (BP 127) – Nr. 5 (BP 128)
Thomas Hasslacher, Behausung, Futterhaus,
Stallung, Badstube – Nr. 7 (BP 129) – Nr. 9
(BP 135) Erben von Andrä Kranz, Behau-
sung, Futterhaus, Stallung, Holzhütte – Nr.
13, 15 (BP 137) „Pinnzerisch Behausung“,
zum Messinghandel gehörig – Mühlgasse
Nr. 10 (BP 138) Badstube – Nr. 19 (BP 150-
152) Brennhütte – Tiroler Straße Nr. 50 (BP
146-147), Andreas Hofer-Straße 2 (BP 148-
149) 2 Hammerhäuser, Kohlebarrenhaus,
Schabhaus, Schleifmühle, Galmeimühle,
Holzhütte – Messinggasse 27 (BP 141) –
(später Schabhütte) – Messinggasse Nr. 29
(BP 145) Hans Schrannk, Behausung, zum
Messinghandel gehörend – Nebenhaus (BP
144) Hans Kerner, Bader, Behausung.
So wie die Einwohner von Lienz nun ver-
schiedene Begünstigungen erhielten, um mit
den erlittenen großen Schäden leichter fertig
zu werden, so wurde auch den Freiherren
von Wolkenstein der Messingzoll, eigentlich
eine Einnahme für den Landesfürsten, auf
fünf Jahre erlassen. Eine grobe Berech-
nung
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ergab, dass der Schaden allein am
Messingwerk mit 13.700 Gulden berechnet
wurde. Der Schaden am gerade fertig ge-
stellten Stadtansitz, der Liebburg, betrug
7.300 Gulden. Dazu kam noch weiterer Be-
sitz. Alles zusammen machte der finanzielle
Gesamtschaden für die Wolkensteiner die
beträchtliche Summe von 25.750 Gulden
aus. Im Zuge des Wiederaufbaus der Mes-
singhütte und der Reorganisierung der Pro-
duktion kaufte man auf der Nordseite der
Meranergasse fünf Brandstätten auf, um sie
für verschiedene Zwecke zu adaptieren.
Der große Schaden, den die Familie der
Wolkenstein-Rodenegg, im Jahr 1630 in den
Grafenstand erhoben, erlitt, trug wesentlich
zu ihrem wirtschaftlichen Ruin bei. In diesem
Zusammenhang wurde die ihr im Jahr 1501
übertragene Herrschaft Lienz 1647 an den
Tiroler Landesfürsten Erzherzog Ferdinand
Karl zurückgegeben; dazu kam auch die Mes-
singhütte. Nach einigen Jahren tirolischer Ver-
waltung verkaufte der Landesfürst die Herr-
schaft Lienz 1653 an das Königliche Damen-
stift in Hall im Inntal. Die Messinghütte
erlebte nun einen mehrfachen Besitzerwech-
sel. Der Landesfürst verkaufte das Messing-
werk mit 23. November 1653 dem Brixner
Kaufmann Andrä von Winkelhofen zu Englöß
und Neidenstein. Es blieb jedoch nicht lange
in seinem Besitz. Inzwischen, in den Jahren
1648/49, hatten Karl Aschauer und Andreas
Pranger in Kramsach im Unterinntal ein Mes-
singwerk errichtet. Um die Konkurrenz in den
Griff zu bekommen, kauften sie dem Andrä
von Winkelhofen mit 2. Jänner 1660 sein
Lienzer Werk um 15.000 Gulden ab. Vorher
hatten sie es schon einige Jahre verwaltet und
auf seine Rentabilität hin prüfen können. Aus
einer Beschwerdeschrift an die Regierung in
Innsbruck geht hervor, dass sich nun die so-
zialen Verhältnisse der Mitarbeiter ver-
schlechterten. Es heißt darin sogar, dass nun
das Wirtschaftsleben der Stadt nicht mehr viel
aus dem Messingwerk profitieren könne. Die
Schwierigkeiten des Gesamtunternehmens
Aschauer und Pranger, die sich freilich auch
auf den Lienzer Betrieb auswirkten, dauerten
Jahrzehnte an. Um Arbeitsplätze und damit
auch Einnahmen zu sichern, übernahm der
Staat („Ärar“) im Jahr 1740 7 Neuntel des
Werks, während der Familie Aschauer noch
2 Neuntel als „Mitgewerken“ verblieben. Die
Verwaltung auch des Lienzer Werks ging nun
vom k. k. Faktoramt in Schwaz (Bergwerks-
Direktorat) aus. Nun setzte auch in Lienz eine
neuerliche Blütezeit für die Messingerzeu-
gung und den Handel mit den Produkten ein.
Bereits zehn Jahre nach dem Einkauf des
Staates wird von einer enormen finanziellen
Einträglichkeit der Messingwerke in Achen-
rain und Lienz berichtet. Besteller mussten
meistens drei bis sechs Monate warten, da
man mit der Produktion und damit der Ab-
fertigung der Aufträge nicht nachkam.
Höhepunkt der Lienzer Messinghütte
Über die Beschäftigtenzahl im Lienzer
Werk weiß man gerade für diese Blütezeit
sehr gut Bescheid; sie war ständig steigend:
1763 – 25 bis 27 Mann, 1767 – 46 Mann,
1768 – 68 Mann, 1773 – 49 bis 64 Mann.
Dazu kamen immer 40 bis 50 Leute in der
Holz- und Kohlearbeit. Aus dem Jahr 1787
z. B. gibt es eine genaue Übersicht über den
Personalstand: An der Spitze standen der
Verweser (Verwalter), der Hütt- oder
Gegenschreiber und der Akzessist, der
ebenfalls zu Schreibarbeiten und gleichsam
als „Laufbursche“ eingesetzt wurde. Im ei-
gentlichen Gießereibetrieb waren tätig: 1
Hutmann, zuständig für alle technischen
Belange, 1 Gießmeister, 4 Schmelzer, 2
Kohlmesser, 14 Hammermeister und 14
Gesellen, 8 Drahtzieher und 5 Gehilfen, 1
Beizmeister und 1 Gehilfe, 10 Messing-
schaber bzw. Polierer, 1 Schmiedmeister, 1
Hafnermeister, 1 Bindermeister für die Her-
OSTTIROLER
NUMMER 3/2012
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HEIMATBLÄTTER
Ausschnitt aus der Federzeichnung mit der Darstellung der am 8. April 1609 abge-
brannten Stadt Lienz; gezeigt wird der westliche Teil der Meranergasse mit dem zer-
störten Messingwerk, überschrieben mit „der freyherrn zu Wolckhenstain Messing /
Schabhüten vnd Hamerschmidten / alles verprunen“; über dem Bereich der Meraner-
gasse steht: „die Meraner gassen oder Vorstatt / ist durch aus verprunnen“.
(Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Bibliothek)
Foto: M. Pizzinini