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Nummer 12 – 70. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i m a t b l ä t t e r
Freskos „Kreuzigung“ (um 1340) mit
Maria, Johannes Ev. und Bischof Nikolaus.
Ebenfalls als „Standbildtypus“ er-
scheint St. Georg seit dem 15. Jahrhundert
unter den 14 Nothelfern oder als Schrein-
wächter auf Altären, durchwegs als Sieger,
als Triumphator, den besiegten Drachen zu
seinen Füßen, meistens mit der Lanze töd-
lich durchbohrt. Auch dafür gibt es im Be-
reich des Bezirks Lienz einige Beispiele.
Szenisch wurden der Kampf mit dem
Drachen – zu Fuß, meistens zu Pferd – und
die Leiden des hl. Georg geschildert. In-
zwischen war das Motiv des Drachen zum
Allgemeingut der Georgslegende und ihrer
Darstellung geworden. Die symbolische
Bedeutung des Drachenkampfes liegt auf
der Hand: Widerstreit zwischen Gut und
Böse und Sieg des Christentums über Satan.
Das Motiv des Kampfes war zunächst in
die griechische Literatur eingeführt worden.
Im Abendland wurde Georgs Drachen-
kampf in erster Linie durch die „Legenda
aurea“ des Jacobus de Voragine
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vom Ende
des 13. Jahrhunderts verbreitet und zeitigte
somit auch eine starke Auswirkung auf die
künstlerische Gestaltung der Legende.
In der „Legenda aurea“ wird der Dra-
chenkampf in folgender Weise geschildert:
Ein furchtbares Untier bedrohte ständig die
Stadt Sylene in der Provinz Lybien. Um
seine Gier zu stillen und einem Angriff vor-
zubeugen, warf man ihm täglich zwei
Schafe vor. Als der Viehbestand schwand,
war man gezwungen, Kinder zu opfern, die
durch das Los bestimmt wurden. Eines
Tages war es auf des Königs Tochter ge-
fallen. Als sie bereits außerhalb der Stadt
ihr Schicksal erwartete, kam Georgius, Tri-
bun von Kappadozien, des Weges. Sie er-
zählte ihm vom Ungeheuer, klagte ihr Leid
und riet ihm, schnellstens die Flucht zu er-
greifen. Doch der edle christliche Ritter
stellte sich dem Drachen und verletzte ihn
schwer. Als Sieger zog er mit gerettetem
Mädchen und Untier in Sylene ein. Dort
wurde der Drache endgültig abgeschlachtet.
Georg vollbrachte, was niemand zu hoffen
gewagt hatte! Tief erschüttert, bekehrte sich
der König und mit ihm die ganze Stadtbe-
völkerung zum christlichen Glauben.
Ausführlich und mit nicht geringer
Grausamkeit wird das Martyrium des Hei-
ligen vielfach in mehreren Szenen aufge-
rollt. Ausgezeichnete Beispiele bieten
diesbezüglich die Freskenzyklen in St.
Georg in Schenna bei Meran
13
vom Ende
des 14. Jahrhunderts und des Meisters
Thomas von Villach aus den 70-er Jahren
des 15. Jahrhunderts in der Kirche St.
Georg in Gerlamoos
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im kärntnerischen
Drautal, wobei alle nur erdenklichen Grau-
samkeiten geschildert werden, die man
Georg angetan hat. Sein Leben wurde
schließlich mit der Enthauptung beendet.
Die Fragmente des St. Georg-Altars
von Kals
Bei der Rekonstruktion des Altars von
Kals spielen drei Objekte eine Rolle. Im
Jahr 1891 erwarb das Stadtmuseum von
Bozen einen Altarflügel aus Kals (Inv.-Nr.
SM 4506-P6), doppelseitig bemalt. Gleich
darauf wurde er in der Zeitschrift „Der
Kunstfreund“ ausführlich beschrieben
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,
wobei man die zwei dargestellten Szenen
der Georgslegende zuordnen konnte.
Auf der einen Seite ist die Szene darge-
stellt, wie Georgius zerfleischt wird. Die
Marterszene spielt sich vor einer niederen
Mauer ab, hinter der eine Landschaft mit
roten Felshügeln sichtbar ist. Die ausge-
streckten Arme des jungen Mannes sind mit
Stricken an einen Holzstamm gebunden, der
über zwei Baumstämme mit gabelförmigen
Enden quergelegt ist. Sein gelocktes
Haupt, bereits mit einem Nimbus versehen,
ist leicht zur Seite geneigt. Der Körper ist
bloß mit einem Schamtuch bedeckt. Den
Oberkörper zerfleischen zwei Henkers-
knechte mit eisernen Krallen, an langen
Stielen befestigt. Die Figuren sind sehr gut
durchgezeichnet. Mit ihrer Kleidung in eher
schreienden Farben ist ihr Berufsstand in
damals üblicher Weise charakterisiert.
Die andere Seite des Tafelbildes zeigt die
Enthauptung St. Georgs. Der Heilige kniet
am Boden; seine Augen sind verhüllt und
die Hände am Rücken gebunden. Der
Scharfrichter zu seiner Linken holt gerade
mit dem Schwert zum entscheidenden Hieb
aus. Hinter dem Heiligen steht ein jugend-
licher Soldat mit grünem Wams, roter Hose
und roter Mütze, mit einer Helmbarte be-
waffnet. Ein älterer Mann mit grauem Bart-
und Kopfhaar, mit gestülpter Mütze und
rotem Mantel gekleidet, weist mit der linken
Hand auf St. Georg hin. Er ist wohl als der
Richter zu interpretieren, in dessen Gegen-
wart nun das Urteil vollstreckt wird. Weiter
dahinter sind noch zwei Zeugen in bunten
Kleidern zu sehen. Auf einem Hügel der
Landschaft im Hintergrund steht eine Burg
mit mehreren Türmen. Künstlerisch wurde
der Altarflügel besonders durch das Kolorit
der „Pusterthaler Schule“ zugeordnet,
„während die rothen Felspartien an die Por-
phirgebirge um Bozen erinnern“.
Ungefähr zur gleichen Zeit (ebenfalls
1891) kaufte das Ferdinandeum in Innsbruck
aus Bozner Privatbesitz um 160 Gulden
einen Altarschrein aus Zirbenholz mit der
plastischen Darstellung des Martyriums des
hl. Sebastian (Inv.-Nr. P 79), der ehemals in
der am 13. Oktober 1485 durch Bischof
Pietro von Caorle eingeweihten Burgkapelle
von Lengberg
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(Gemeinde Nikolsdorf)
aufgestellt war. Es besteht davon eine alte
Fotografie, die den Schrein noch in ur-
sprünglichem Zustand zeigt, d. h., mit einer
Fassung, die inzwischen abgelaugt worden
ist. Die Breite des Schreins beträgt 141 cm,
die Giebelhöhe 97 cm. Der Künstler, nach-
weislich inspiriert von zwei Druckgraphiken
des sogenannten Meisters E. S., wurde bald
schon im Pustertal vermutet und wird heute
mit dem Bildschnitzer Veit von Taisten in
Zusammenhang gebracht
17
.
Erstmals wurden die beiden Objekte, der
Altarflügel im Bozner Museum und der
Altarschrein aus Lengberg im Ferdinan-
deum, durch Joseph-Clemens von Bayern
in seiner Biographie über Friedrich Pacher
im „Thieme-Becker“
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(1931) in Zu-
sammenhang gebracht. Der Bayernprinz
ordnete die Bozner Tafel als rechten Flü-
gel des Sebastian-Altars Friedrich Pacher
als „letztes bekanntes Spätwerk“ zu.
Nicolò Rasmo befasste sich in der „Cul-
tura Atesina – Kultur des Etschlandes“ von
1949 ausführlich mit dem Bozner Altar-
flügel
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und konnte nachweisen, dass
Altarschrein und Altarflügel nichts mit-
einander zu tun haben. Thematisch bestehe
überhaupt kein Zusammenhang zwischen
St. Sebastian-Schrein und St. Georg-Al-
tarflügel. Unumstößlich sind aber die tech-
nischen Argumente: Die Ansätze der Flü-
gelscharniere, sowohl am Schrein als auch
am Flügel deutlich sichtbar, stimmen nicht
überein, sondern differieren um einige
Zentimeter! Auch die seitliche Schrein-
höhe stimmt nicht mit der etwas niedrige-
ren Höhe des Altarflügels zusammen. Die
Differenz beträgt 4 cm. Als wichtiges Ar-
gument für die Unvereinbarkeit von Se-
bastian-Schrein und Georg-Flügel galt für
Rasmo die Tatsache, dass der Flügel eben
aus Kals stammt, wo eine St. Georgskirche
besteht. Auf Grund von Vergleichen ord-
nete Nicolò Rasmo den Kalser-Bozner Al-
tarflügel der Werkstätte des Friedrich Pa-
cher zu, eventuell sogar dem Meister
selbst. Die Malereien werden allgemein in
engem Zusammenhang mit Friedrich Pa-
Schrein des St. Sebastian-Altars aus der Kapelle von Schloss Lengberg (Nikolsdorf) mit
dem später abgelaugten Relief, im Jahr 1891 vom Ferdinandeum in Innsbruck angekauft;
Aufnahme um 1880.
Unbekannter Fotograf, eventuell Georg Egger, Lienz