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Nummer 3/2003
71. Jahrgang
OSTTIROLER
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
Aufgrund der Bezirksgerichte-Verord-
nung Tirol vom 20. Juni 2002, BGBl.-
Nr. 240/2002, ist das Bezirksgericht Matrei
i. O. mit Wirksamkeit vom 1. Juli 2002 mit
dem Bezirksgericht Lienz als aufnehmen-
des Gericht zusammenzulegen.
Damit erlischt eine seit einhundertzwei-
undfünfzig Jahren in Matrei i. O. beste-
hende Institution. Es waren im Matreier
Raum zwar auch schon vor 1850 Gerichte
vorhanden, doch können diese nicht mit
der Gerichtsorganisation des Jahres 1849
verglichen werden, die als gewaltiges und
damals modernes Reformwerk zu werten
ist. So trat Graf Heinrich von Lechsge-
münd die Burg Matrei im 12. Jahrhundert
an das Hochstift Salzburg ab. Dieses nahm
in der Folge die sogenannte „Hohe- oder
Blutsgerichtsbarkeit“ in Anspruch. Damit
waren die Görzer Grafen und später die Ti-
roler Landesfürsten nicht einverstanden.
Dem Hochstift sollte nämlich nur die „nie-
dere Gerichtsbarkeit“ (= Behandlung von
Unzucht und Frevel, nicht aber Malefiz-
taten) zukommen. Geregelt wurde dies
schließlich in einem Vertrag (1533).
Demnach konnte das Gericht Matrei zwar
Todesurteile aussprechen, durfte diese aber
nicht vollstrecken. Der Delinquent war
daher an der Sprengelgrenze beim Gos-
senbach (auch Diebsbach genannt) den
Lienzer Amtsleuten samt dem Vorschuss
für die Vollzugskosten zu übergeben. Die
Vollstreckung oblag sodann dem Lienzer
Gericht. Der Matreier Landrichter resi-
dierte zunächst auf der Burg Weißenstein
und ab dem 17. Jahrhundert im Pfleghaus
(heutiges Gerichtsgebäude).
Das landesfürstliche Landgericht Win-
disch-Matrei wurde aufgrund des Justiz-
Organisationspatentes von 1817 bei
gleichzeitiger Einverleibung der Sprengel
der ehemaligen Gerichte Virgen, Defereg-
gen und Kals gebildet.
Im Jahr 1849 gelang eine mustergültige
Neuordnung des zersplitterten und un-
überschaubaren Justizwesens der Monar-
chie. Seither war bis zum Jahre 2002 in
Matrei i. O. ein Bezirksgericht nach dem
heutigen Verständnis eingerichtet.
Die Gerichtsverfassung 1849
Kaiserliche Entschließung vom 14.
Juni 1849 (RGBl. Nr. 278):
Auftrag an
den Justizminister, „die neue Gerichtsver-
fassung zu bewerkstelligen“ anhand fol-
gender Grundzüge: Die Gebiete der
Kronländer sind in Bezirke einzuteilen,
deren Umfang mit Rücksicht auf die Orts-
und Bevölkerungsverhältnisse festgestellt
wird. Ferner: In jedem Bezirk hat ein Be-
zirksgericht zu bestehen. Diese werden
nach „Verschiedenheit des Umfanges
und des Bezirkes in Classen eingeteilt“.
Kaiserliche Verordnung vom 26. Juni
1849 (RGBl. Nr. 292),
„womit die Orga-
nisation der Gerichte in dem Kronlande
Tirol und Vorarlberg genehmigt wird“.
Auszug aus dem „alleruntertänigsten Vor-
trag des treugehorsamsten Ministers der
Justiz Freiherr von Bach“: „Die hohen Ge-
birgszüge mit ihren ewigen Eismassen und
schroffen Felsenwänden, welche das
ganze Land durchziehen und die oft engen
und lang gestreckten Täler strenge vonein-
ander scheiden, die in manchen Tälern
dichtgedrängte, in den engen Gebirgstälern
hingegen dünne und in weiten Zwischen-
räumen wohnende Bevölkerung, welche
selbst auf hohen Bergesrücken bis nahe an
die Schneeregion in einsamen Hütten lebt,
konnten bei der Gerichtsorganisation
nicht ohne Einfluß bleiben, indem sie die
Bezirksabgrenzung an vielen Orten mit un-
abweisbarer Notwendigkeit vorzeichneten.
Nur der geringste Teil der Bevölkerung ge-
hört der Klasse der Städtebewohner an und
selbst unter diesen findet die Industrie nur
wenige Vertreter; die in kleineren Zweigen
sich entfaltende Gewerbstätigkeit der Tiro-
ler und der Unternehmensgeist, welcher sie
zum Handel in die entferntesten Länder
treibt, haben jedoch dem einfachen und
treuen Gebirgsbewohner auch die Klugheit
des Handelsmannes verliehen. In gericht-
licher Beziehung genoß das Kronland be-
reits seit einer Reihe von Jahren den Vor-
teil, daß auch in der untersten Instanz die
Justiz nur von landesfürstlichen Gerichten
ausgeübt wurde. Es bestanden nämlich
nebst dem Stadt- und Landrechte zu Inns-
bruck und den Collegialgerichten zu
Lambert Grünauer
Bezirksgericht Matrei i. O.
Eingang zum Bezirksgericht Matrei i. O., das im Jahre 2002 aufgelöst worden ist.
Alle Fotos: L. Grünauer