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O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
70. Jahrgang – Nummer 6
mich zunächst so verhalten, dass die Vor-
gesetzten zufrieden mit mir waren. Nach
der Ausbildung bin ich nach Finnland ver-
setzt worden, als Kraftfahrer an die Eis-
meerfront. Mit der Politik (Pause) … Da
waren schon die Eltern so und ich war
gleichgesinnt wie meine Eltern, wir
waren christlich erzogen. Schon vom Ein-
marsch haben wir nichts wissen wollen
und dann haben die Kreuze in der Schule
keinen Platz mehr gehabt. Da ist in einem
ein gewisser Widerstand gewachsen. Und
dann habe ich beim Militär allerhand ge-
sehen, das mir nicht gepasst hat, der rabi-
ate Umgang mit den Gefangenen, die Un-
menschlichkeit. Da ist man auf den Ge-
danken gekommen, da machen wir nicht
mehr mit. Wir wollen noch einmal ein
freies Österreich, das war unser Ding.
Während eines Heimaturlaubes im Juni
1943 trifft er seinen Freund Franz Stolz-
lechner. Nächtens beginnen sie unter
einem Felsvorsprung im Kraßgraben mit
dem Bau eines Unterschlupfes. David Hol-
zer lacht.
Er hat das gleiche vorgehabt wie
ich, er hat gesagt: Ich rücke auch nicht
mehr ein. Wir haben uns verabredet, dass
wir miteinander in den Untergrund gehen.
Statt wieder zur Wehrmacht zurückzu-
kehren, beziehen die Beiden nacheinander
ihr Versteck. Die Eltern David Holzers
wissen zu diesem Zeitpunkt nichts von der
Desertion. Im Spätsommer kommt auch
sein Bruder Alois dazu. Die einzigen Kon-
taktpersonen nach außen sind zu dieser
Zeit ein Jäger und der Vater Franz Stolz-
lechners. Von ihnen werden die drei Bur-
schen über den Kriegsverlauf und das po-
litische Geschehen informiert. Als David
und Alois hören, dass sich die Eltern Sor-
gen um ihre Söhne machen, die nicht mehr
bei der Wehrmacht aufgetaucht sind, stat-
ten sie dem Holzerhof im Herbst einen Be-
such ab. Der Winter naht.
Wir haben uns verkalkuliert. Das müs-
sen wir einfach zugeben. Die Amerikaner
sind 1943 schon gelandet in Sizilien und
wir haben uns halt vorgestellt, ein halbes
Jahr noch und dann sind sie da. Aber das
hat sich nicht bewahrheitet.
Die drei Deserteure beginnen daher mit
dem Bau eines winterfesten Bunkers.
Franz Stolzlechner hat ein kleines E-Werk
konstruiert, das das Lager mit elektrischem
Licht versorgt. Gekocht und geheizt wird
mit einem Sparherd, den die drei mühevoll
in den Graben schleppen. Die Einrichtung
des Bunkers ist „tadellos“, wie die Gend-
armerie später in ihrer Anzeige schreiben
wird, ausgestattet „mit allen erdenklichen
Bequemlichkeiten“.
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Das mag übertrieben
sein, wenn von einem Erdloch die Rede
ist. Neben Lebensmittelreserven verfügen
die Deserteure über Werkzeug, Küchen-
geräte und auch über eine Ziehharmonika.
David Holzer erzählt behutsam und be-
dächtig. Er ist der Hüter seiner Geschichte,
in der es nicht nur um ihn geht, sondern um
das Schicksal der gesamten Familie, um
seinen Bruder Alois und seine Eltern, um
alle, die den Hof damals bewohnt haben. In
jedem Wort ist hörbar, dass es um Leben
und Tod geht. Nach dem von den Natio-
nalsozialisten erlassenen Kriegssonder-
strafrecht konnte ja nicht nur die Desertion,
sondern auch Wehrkraftzersetzung und die
Beihilfe zur Fahnenflucht mit der Todes-
strafe geahndet werden.
Für die Volksgemeinschaft war die De-
sertion ein Fanal, sie griff die „totale völ-
kische Einsatzbereitschaft“ an.
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Deserteure
zeigten, dass das Verlassen der national-
sozialistischen Volksgemeinschaft und
ihrer Armee möglich ist – wenn auch unter
großem Risiko. Den lokalen NS-Funktio-
nären galt der Deserteur daher als beson-
deres Schandmal in ihrem Verantwor-
tungsbereich. Daraus mag sich der große
Eifer erklären, mit denen Deserteure ver-
folgt und ihre Angehörigen unter Druck
gesetzt wurden.
Und dann kommt der 11. Jänner.
Ein
Datum, dass David Holzer mehrmals
wiederholt. Es markiert das Ende der
Desertion. Franz Stolzlechner wird von
einem Gendarmen gestellt, als er vom
Haus seines Vaters mit frischer Verpfle-
gung in den Bunker zurückkehren will.
Der Gendarm schießt den Deserteur an.
Als er den Rucksack durchsucht, findet er
den Namen Alois Holzer an der Innenseite
eingeschrieben. Das Rätsel um die ver-
schwundenen Holzer-Söhne ist für die
Gendarmerie damit gelöst.
Am nächsten Tag steht die GESTAPO
bereits im Hause der Holzers.
Wo habt Ihr
Eure Buben? Mein Vater hat gesagt, er
wisse nichts. Die GESTAPO erwiderte,
wir wissen schon, wo sie sind, die sind da
oben in einer Höhle.
Die Beamten zwin-
gen den Vater, sich an der Suche nach dem
Versteck zu beteiligen, die aber ergebnis-
los abgebrochen wird.
Da haben sie zu
meinem Vater gesagt: Du bringst uns die
Buben, sonst fahren wir mit euch ab.
David Holzer klopft auf den Tisch.
Sie
haben ihn ultimativ aufgefordert!
Am fol-
genden Tag sucht der Vater seine Söhne
im Kraßgraben auf und bittet sie, sich zu
stellen. David und Alois waren über die
dramatischen Ereignisse bereits von dem
Jäger informiert worden. David Holzer
blickt uns an.
Für den Vater war es hart,
er musste praktisch seine Buben freigeben.
Wir haben das sofort eingesehen.
Die beiden
räumen noch alle Gegenstände aus dem
Bunker, die eine Unterstützung durch die
Eltern beweisen hätten können. Dann
gehen sie hinunter auf den Hof. Dort
spricht sich die Familie für die zu erwar-
tenden Verhöre ab.
Gegangen ist es ja
darum, dass man den Eltern nicht bewei-
sen kann, dass sie uns zur Fahnenflucht
verholfen haben, oder dass sie uns sonst
irgendwie behilflich waren.
Schließlich
stellen sich die Söhne mit dem Vater der
Gendarmerie in Ainet. David Holzer
stockt. Nach einer Pause sagt er:
Ich bin
damals von zu Hause weggegangen und
habe genau gewusst, dass ich nicht mehr
komme, das habe ich genau gewusst.
Am
nächsten Tag werden David und Alois
nach Lienz gebracht und den Nazi-Behör-
den übergeben.
Ich habe keine Chance ge-
habt zum Weiterleben. Ich habe auf der
Welt keine Aussicht mehr gehabt, außer
dem Bruder irgendwie noch einmal behilf-
lich zu sein, dass er davon kommt. Ich habe
gesagt, der Bruder wäre wieder einge-
rückt, wenn er nicht mein Vorbild gehabt
hätte. Da haben sie mir zur Fahnenflucht
noch Zersetzung der Wehrkraft vorgewor-
fen. Ich habe mich damit abgefunden, ich
stelle mein Leben zur Verfügung, wenn der
Bruder und die Eltern davon kommen.
Die nächste Station: GESTAPO-Haft in
Klagenfurt. Mehrmals werden die Brüder
einvernommen. Bei der Hauptverhandlung
vor dem Divisionsgericht werden sie von
einem Verteidiger vertreten, erinnert sich
David Holzer. Er überbringt den Brüdern
auch die Urteile. Sie lauten Todesstrafe für
David Holzer und sieben Jahre Zuchthaus
mit Frontbewährung für Alois Holzer. Der
Verteidiger schreibt sofort ein Gnadenge-
such für David. In den folgenden zwei
Monaten sitzt er als Todeskandidat in der
Gefängniszelle.
In der Früh haben drau-
ßen am Gang die Schlüssel geklappert. Du
hast nie gewusst, ob sie nicht deine Türe
aufsperren. Das waren harte Zeiten.
Aber ich habe sie gemeistert. Anfang Mai
holt mich dann ein Justizbeamter aus der
Zelle und führt mich hinauf in die
Schreibstube. Dort hat er mir die Begna-
digung vorgelesen: Wegen Ihrer Führung
beim Militär und auch in Zivil kann von
Die Reste des Bunkers im Kraßgraben. Elektrisches Licht für ihren Unterschlupf be-
zogen die Deserteure aus einem provisorischen E-Werk.