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Nummer 9-10/2003
71. Jahrgang
OSTTIROLER
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
Sehr geehrte Festgäste!
Es ist mir eine große Freude
und durchaus symbolisch, dass so
viele ehemalige Zöglinge zum
heutigen Konviktsfest nach
Lienz gekommen sind. Gestatten
Sie, dass ich mich kurz vorstelle:
Maturajahrgang 1958 mit acht
Jahren Bundeskonvikt (wir
feiern heute das 45-jährige Jubi-
läum).
Unsere Klasse 1A des Jahrgan-
ges 1950/51 hatte ca. 35 Schüler
(ausschließlich Zöglinge des
Bundeskonviktes), von denen
wir nur zu zweit ohne Sitzenblei-
ben bzw. Schulwechsel die Ma-
tura am Lienzer BRG erreichten.
Konvikt und Gymnasium zählten
damals zu den strengsten Ausbil-
dungsstätten Österreichs. Eine
Generation später steckte ich
meinen älteren Sohn ins Lienzer
Konvikt, was mir recht interes-
sante Vergleichsmöglichkeiten
bot. Primär werde ich allerdings
auf die „alten“ Zeiten eingehen;
die jüngere Epoche kennen die
meisten von Ihnen ohnehin aus
eigener Erfahrung.
Der Konviktsbetrieb begann
am 10. November 1947 in einer
Bombenruine. Heimleiter war
der aus Kriegsgefangenschaft
zurückgekehrte Dr. Adolf Pap-
penscheller.
In einer vergilbten Werbeschrift um das
Jahr 1950 fand sich folgender „PR“-Text
über das junge Konvikt:
„Im von südlicher Sonne erfüllten Tal-
kessel, am frischen Flussrauschen der Isel
liegt das Konvikt. Die jugendfrische
Bergwelt deckt die dem im Aufbau befind-
lichen Hause noch anhaftende Einfachheit
und Dürftigkeit weitgehend zu. So erzieht
das Haus von selbst zu Einfachheit und
bescheidener Lebensführung. Aber das
unter ortskundiger Führung zu erobernde
Neuland mit seinen spielfrohen Rast-
plätzen übt an Freiluftnachmittagen und
Sonntagsausflügen im milden, gleichför-
migen Klima eine die Gesundheit stär-
kende und das Gemüt anregende Wirkung
auf den jungen Menschen aus. Denn die
uns anvertrauten Kinder sollen zu ge-
sundgewachsenen, für den Lebenskampf
abgehärteten Menschen erzogen werden.
Aufgenommen werden nur sittlich ein-
wandfreie und ihrer Gesundheit nach für
eine Heimerziehung geeignete Schüler. Er-
ziehung und Obsorge der Zöglinge ist die
Aufgabe des Konviktsleiters, der
Erzieher und Heimseelsorger,
natürlich im Einvernehmen mit
den Eltern (Erziehungsberechtig-
ten).“
Insgesamt dürften wohl mehr
als 2.000 Schüler und Schülerin-
nen das Heim in den 55 Be-
standsjahren in Anspruch ge-
nommen haben. Im Schuljahr
1947/48 bestanden erst zwei
Gruppen (50 Zöglinge); als erste
Erzieher wirkten der nachmalige
Gym.-Direktor Ernst Möst und
Prof. Hermann Gander (der
„Lateingander“).
Im
Jahre
1971/72 war das Maximum mit
16 Gruppen (312 Zöglinge) er-
reicht, und das Bundeskonvikt
Lienz bildete die zweitgrößte Er-
ziehungsanstalt Österreichs. Für
das Lienzer Gymnasium war das
Konvikt eine Art Lebensader, da
es auch von auswärts Schüler
anzog. Nicht alle hatten so eine
Kondition wie ein Greifenburger,
der täglich 33 km nach Lienz und
zurück radelte.
In den ersten Nachkriegsjahren
gab es Schlafsäle, in denen bis zu
30 Zöglinge in Stockbetten mit
Strohsäcken schliefen. Im Wasch-
raum war eine lange Rinne mon-
tiert, darüber alle 30 cm ein Was-
serhahn, der nur kaltes Wasser
lieferte. Einmal wöchentlich konnte man
gruppenweise eine warme Dusche ge-
nießen. Unser erster Studiensaal hatte
längsseitig nur Planken (als Folge eines
Bombentreffers), sodass wir im Winter
trotz eines kleinen Kanonenofens im Man-
tel beim Studium saßen.
Es war daher nicht verwunderlich,
wenn einzelne Zöglinge aus Heimweh ver-
suchten abzuhauen. Ich gehörte auch dazu.
Bei der Rückkehr gab es niemals eine
Strafe, sondern einfühlsame Bestrebungen
der Erzieher und des Ehepaares Pappen-
Heinz Brandl
Das Bundeskonvikt Lienz aus der
Sicht eines „Zöglings“
Festansprache anlässlich des Konviktsfestes in Lienz am 14. Juni 2003
Direktor Dr. Adolf Pappenscheller (1910 bis 1976) in seinem
Arbeitszimmer im Bundeskonvikt Lienz (um 1970).
Foto: Franz Girardelli