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Sind es Icons, die uns an eine vorgege-
bene Leserichtung unserer realitätsbezo-
genen Sichtweise erinnern sollen? Die pla-
kativen Kürzel verstehen sich nicht als be-
lehrende Denkhilfen für den Betrachter,
sondern sie sind tatsächlich Ausdrucks-
träger einer transformierten Botschaft.
„Das Wort oder ein Kürzel hat den glei-
chen Wert wie Linie oder Farbe auf dem
Bild und vermittelt daher genauso zwi-
schen den Ebenen…“
Die provozierte Mehrdeutigkeit der
Lesbarkeit, wie zum Beispiel bei den Bild-
serien „Transit“, „Gärten“ oder „Opfer“,
ermöglicht es jedem Einzelnen, sich dem
Inhalt der Aussage individuell zu nähern
bzw. eine Interpretationsvariante zu finden.
Die Auseinandersetzung mit
religiösen Motiven
Michael Hedwigs Zugang zu existenz-
immanenten Fragestellungen, die für den
Künstler an und für sich omnipräsent sind,
erlaubt ihm auch den uneingeschränkten
Diskurs mit religiösen Themen.
In der Ganzheitlichkeit des Seins erfüllt
sich der Wunsch und die Sehnsucht nach
Erkenntnis und Einsicht. Eine Reihe von
großformatigen Madonnenbildern, die
unter anderem am Beginn der 90er-Jahre
in ritualisierten Malakten entstanden
sind, weisen neben dem vertrauten Sujet
Mutter und Kind auch interkulturell bis
heidnisch zu verstehende Passagen auf.
Kali und Frau Holle als negativ zu deu-
O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
71. Jahrgang – Nummer 12
1993: „Nijinskij“, fünf Zeichnungen aus der zwölfteiligen Serie, Graphit mit Terpentin laviert und zum Teil collagiert, je 56 x 42 cm.
tende Gegenpole konterkarieren das lieb-
liche Bild und zeugen doch von deren Tra-
dition. 1993 folgten dazu die Ausstellun-
gen „Phänomen Maria“ im steirischen Stift
St. Lamprecht und „Kunstraum Kirche“ in
Innsbruck.
Beim Kunstpreis der Diözese Innsbruck
1999 zeichnete Michael Hedwig zum
Thema „Zeitenwende. Apocalypse now?“
zwanzig Blätter zum meditativ erarbeiteten
Apokalypsetext des Johannes.
In diesem Kontext erhielt Hedwig 2002
als besonders interessante Herausforderung
den Auftrag zur Ausführung des öster-
lichen Hochaltarbildes mit einer parallel
erstellten Radierungsedition für die
Pfarrkirche St. Martin in Vill bei Inns-
bruck. Neben der sogenannten „Totenge-
beinsvision“ des Propheten Ezechiel
kumuliert Hedwig noch weitere Textbot-
schaften, die den Auferstehungscharakter,
die Neubelebung durch Gott mit Geist und
neuem Herz beinhalten, in ein etagenhaf-
tes Gefüge aus transzendent leuchtenden
Farben und Körperkonturen.
Auch in religiös motivierten Komposi-
tionen markiert eine kontemplativ sinn-
liche Neigung des Künstlers die Themen-
aufarbeitung.
Michael Hedwigs internationale Aus-
stellungspräsenz beweist unter anderem
auch die Bereitschaft der Betrachter, sich
mit der kreativen Ausdrucksform des
Künstlers auseinander setzen zu wollen,
einerseits um mit dem Inhalt einer Arbeit
konform zu gehen und andererseits, um in
den Werken neue Erkenntnisse für sich
selbst zu finden.
Schließlich gelangt man zu der span-
nenden Erfahrung, dass die Arbeiten von
Michael Hedwig nicht nur visuell wahr-
genommen werden, bei deren Akzeptanz
wird man interaktiver Teil von ihnen.
Anmerkungen:
1 Die folgenden kursiv gehaltenen Zitate stammen aus
einem Briefwechsel mit Michael Hedwig im November
1999 und aus einem Interview im Mai 2003.
2 Ulrich Gansert, Überkörper – Zur Malerei von Michael
Hedwig, in: Das Fenster. Tiroler Kulturzeitschrift, Heft
68, 33. Jg., Innsbruck Herbst 1999, Seite 6440.
3 Vgl. Eleonora Bliem-Scolari, Mit Körperpräferenz, in:
Tiroler Tageszeitung, Nr. 45, 24. 02. 2000-L, Seite 12.
4 Vgl. Günther Dankl, Zu Michael Hedwigs Radierungen
„Über Körper“, in: Kat. Ausst. „Über Körper“, 12 Radie-
rungen, Katalog zum Theodor Körner Preis, Wien 2002.
Die Reproduktionen der Abbildungen stammen aus fol-
genden Katalogen: Nijinskij. Zeichnungen von Michael
Hedwig, 1993; Realismusprojekt 1994-1996, Gisela
Breitling, Ulrike Turin, Michael Hedwig, Galerie Schloss
Neuhaus, Salzburg 1995; Michael Hedwig: Gärten, Anton
Petz: Portraits-Neue Arbeiten, Galerie Norbert Blaeser,
Düsseldorf 1995; Michael Hedwig: Zelt-Körper, Druck-
graphik, Salzburg, Paris, Innsbruck, Wien, Lienz 2000;
Michael Hedwig: Über Körper, 12 Radierungen, Wien,
Istanbul 2002.
2000: „Über
Körper 4“,
zwei Kupferplat-
ten, 33 x 20 cm,
Edition
40 + 4 + 4 + X.
Das Motiv der
Radierung findet
sich im öster-
lichen Hochaltar-
bild der Pfarr-
kirche von St.
Martin in Vill bei
Innsbruck wieder.
Alle Repros:
Eleonora
Bliem-Scolari
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