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Der gebürtige Außervillgrater Lehrer Josef
OBBRUGGER (1898 bis 1985) ist zweifel-
los ein bedeutender Sohn Osttirols. Als einer
der Pioniere des Tourismus in dieser Region
und als langjähriger Mitarbeiter der
Osttiro-
ler Heimatblätter
hat er sich ebenso Ruhm
und Ehre erworben wie durch mehr als 70-
jährige Organistentätigkeit und Chorleitung,
die ihm 1974 den päpstlichen Orden Pro
ecclesia et pontifice eintrug. OBBRUGGERS
Verdienste in diesen Belangen mögen als be-
kannt vorausgesetzt werden.
*
Anders verhält es sich mit einer Frage-
bogenbeantwortung für das „Wörterbuch der
bairischen Mundarten in Österreich (WBÖ)“,
das vom Institut für Österreichische Dia-
lekt- und Namenlexika der Österreichischen
Akademie der Wissenschaften in Wien seit
1963 herausgegeben wird.
Eine Sammlung entsteht:
Geschichte und Material
1911 wurde die Kommission zur Schaf-
fung des „Österreichisch-Bayerischen Wör-
terbuches“ und zur Erforschung unserer
Mundarten in Wien gegründet. 1913 setzte
eine rege Sammeltätigkeit ein, um Beleg-
material für das geplante Wörterbuch zusam-
menzutragen. Von den rund vier Millionen
Unikaten im Zettelarchiv des heutigen Insti-
tuts für Österreichische Dialekt- und Namen-
lexika entfallen rund 10 % auf Exzerpte aus
Regionalwörterbüchern, Mundartdichtun-
gen, einschlägigen Dissertationen, dialekto-
logischen Abhandlungen, Sprachatlanten,
historischen Quellen und ähnlicher, gedruck-
ter und ungedruckter, Literatur. Der Großteil
des Materials, rund 55 %, wurde von Dialek-
tologen in direkter Befragung vor Ort er-
hoben und in Lautschrift notiert. Es wäre je-
doch ein Ding der Unmöglichkeit gewesen,
alle Orte zu bereisen und direkte Befragun-
gen durchzuführen. Um das Wörterbuch auf
eine solide Basis zu stellen, erschien es aller-
dings notwendig, vergleichbares Material
aus möglichst vielen Orten zu sammeln und
ein dichtes Netz über das gesamte Untersu-
chungsgebiet zu spannen. Aus diesem
Grunde wurden in der Zeit von 1913 bis
1935 109 sachorientierte Fragebogen und
Ergänzungsfragebogen mit rund 25.000
Detailfragen ausgeschickt. Auf diese Weise
wurden rund 35 % des Materials von über
2.300 Sammlern zusammengetragen, vor-
nehmlich von Lehrern, Priestern und Ärzten.
J. Obbrugger und das WBÖ
OBBRUGGER, der von 1929 bis 1932
Schulleiter in Kals war, beantwortete in die-
ser Zeit den dritten Ergänzungsfragebogen
für diese Ortschaft. Auf dem dritten Ergän-
zungsfragebogen wird einleitend festgehal-
ten, dass „die Wörter bei einem eingesesse-
nen Gemeindemitglied abzufragen“ sind,
sollte man selbst „die Mundart des der-
zeitigen Wohnortes nicht beherrschen“.
OBBRUGGER wählte als so genannte Ge-
währsperson seine damals dreißigjährige
Lehrerkollegin Hedwig WEINGARTNER
(1900 bis 1992), die Tante des ehemaligen
Tiroler Landeshauptmanns Dr. Wendelin
WEINGARTNER, die als gebürtige Leisa-
cherin streng genommen nicht den Vorga-
ben der Wörterbuchkommission entsprach,
jedoch wohl mit der Kalser Mundart ent-
sprechend vertraut gewesen sein dürfte.
Der dritte von insgesamt neun Ergän-
zungsfragbogen sollte dialektgeographische
Fragen klären und bestimmen helfen, „wie
weit gewisse Ausdrücke und Lautformen
reichen“. Fünfzig Einzelwörter und Wen-
dungen (z. B.: klein, den Zug versäumen)
werden gleichsam zur Übersetzung in die
Mundart angeboten. Die Bereiche ,Leben
im Kirchenjahr‘ (z. B.: Feiertag/Werktag,
glauben, Braut, Sterbeglöcklein), ,(Zwi-
schen-)Menschliches‘ (z. B.: der ist kleiner,
Traum, fremd, Knie, frieren), ,Landwirt-
NUMMER 1/2006
74. JAHRGANG
OSTTIROLER
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
Eveline Wandl-Vogt
Josef Obbruggers
unbekannte Seite
Ein Sammler für das „Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich (WBÖ)“
Josef Obbrugger (2. 4. 1898 bis 16. 10.
1984).
Foto: Baptist, Lienz
ERGÄNZUNGSFRAGEBOGEN: Ausschnitt aus dem Original mit den handschriftlichen
Einträgen von Josef OBBRUGGER.