Seite 1 - H_2006_02

Basic HTML-Version

Aus der Sicht der Lienzer gelten unter
den „Oberländern“ die Kartitscher als
besonders bildungswillig. Im Vergleich mit
anderen Gemeinden des Bezirks und ge-
messen an der jeweiligen Bevölkerungs-
zahl, weist Kartitsch einen sehr hohen Pro-
zentsatz an Akademikern auf. Einer von
jenen, die es „zu etwas gebracht“ haben,
ist Dr. Lois Ebner. Wie er in seinen im Jahr
1995 unter dem Titel „Wiese“
2
veröffent-
lichten Kindheitserinnerungen schrieb,
war es zunächst der Priesterberuf, der ihn
– so wie auch andere Buben aus dem Dorf
– faszinierte und zum Studium motivierte.
Der Vater hat sich zur Anerkennung des
Wunsches seines Sohnes erst durchringen
müssen, bedeutete sein Weggehen doch
auch eine finanzielle Belastung. Lois –
diese Namensform bevorzugte er gegen-
über „Alois“ oder den gekünstelt wirken-
den Varianten „Luis“ und „Louis“ – war
das neunte von elf Kindern. Er kam am
8. August 1941 am „Außerwiese“-Hof in
Kartitsch zur Welt.
Es ist nicht leicht nachzuvollziehen, was
in einem Zwölfjährigen vor sich geht, der
seinen bisherigen vertrauten kleinen Akti-
onsradius um den väterlichen Hof und das
heimatliche Dorf verlässt und in eine völ-
lig unbekannte Welt, in die „Fremde“ zieht.
Dass der Abschied etwas besonderes be-
deutet, das hat der Bub erfasst, wenn in
den Kindheitserinnerungen rückblickend
berichtet wird:
3
„Milde, sonnige Septembertage zogen
ins Land. Man ging bald auf ‚Mariae
Geburt‘ zu. Die Schwalben schickten sich
bereits an, sich vor dem großen Flug zu
sammeln. Das Jahr hatte seinen Reichtum
längst dargetan. Nun galt es, den letzten
Teil in die sichere Scheuer zu bringen.
Die Mutter hatte mich noch einmal nach
Hollbruck mitgenommen, um mich dem
Schutz der Muttergottes anzuempfehlen.
Es wurde ein langer, stiller Gang durch die
Felder und ein Abschied von unserem klei-
nen Tal.
Den andern Tag in aller Herrgottsfrühe
rüsteten wir zum Aufbruch. Im Hause
NUMMER 2/2006
74. JAHRGANG
OSTTIROLER
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
Meinrad Pizzinini
Von der „Wiese“ auf die Burg
Zum Gedenken an Dr. Lois Ebner, Kustos im Museum der Stadt Lienz Schloß Bruck
1
Dr. Lois Ebner beim Signieren seines neu erschienenen Buches „Lienz in historischen
Ansichten“ im Jahr 2000.
Foto: Archiv
schliefen noch alle, nur die Eltern waren
mit mir aufgestanden. Gegen 4 Uhr mor-
gens war es soweit, daß wir losmarschier-
ten. Der Vater hatte sich noch die große,
schön gemaserte, schwarzlederne Brief-
tasche in den Rock geschoben, die er sonst
nur zu Stadtfahrten nach Lienz aus dem
Kasten hervorholte, und den Paß, denn da
wären die Walischen, die uns streng
kontrollierten, wenn wir im Triebwagen
durch Südtirol führen; dann streifte er sich
den Schnurfsack über die Schultern und
nahm den Koffer in die Rechte, sagte zur
Mutter ein paar gute Worte und ein ‚in
Gott’s Nam!’, und trat in die Weite. Die
Mutter malte mir mit Weihwasser ein paar
Kreuzzeichen auf die Stirne, strich, so zart
sie es nur konnte, über mein Haar, gab mit
noch ‚Lehr und Weis’, daß ich brav blei-
ben und nicht aufs Beten vergessen möge,
und mit einem wehmütigen Blick aus gerö-
teten Augen, der ihren Trennungsschmerz
zu meinem machte, ..., gab sie mich frei.
Sie war uns bis vors Haus gefolgt, wo wir
sie im matten Lichtschein, der aus dem
Labentor fiel, noch sehen konnten, bis wir
die Straße erreichten und uns hinter dem
Futterhaus talauswärts wandten.
Der Vater schritt kräftig aus. Ich hatte
Mühe mitzuhalten. Es sollte das letzte Mal
sein, daß er mich an der Hand nahm und
führte. Auf unserem schweigsamen Trott,
bei dem wir die Nacht und die Straße für
uns hatten, hätte er mir nichts Lieberes tun
können.“
Lois Ebner besuchte die Gymnasien in
Innsbruck und Hall und maturierte 1962.
An der Universität setzte er seine Ausbil-
dung fort. Von dem als Kind ins Auge
gefassten Priesterberuf war keine Rede
mehr; inzwischen hatte er seine Liebe zur
Volkskunde entdeckt, was für sein weiteres