Seite 5 - H_2006_07-08

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es sich, dass die Osttiroler Antworten nicht
immer ein einheitliches Bild zeichnen.
Während Christian Gasser für St. Veit an-
gibt, Erbsen und Kartoffeln würden bei
aufnehmendem Mond gepflanzt werden,
erklärt Paul Berger, dass die beiden
Früchte in Virgen bei abnehmendem
Schein gesetzt werden sollten; bei zuneh-
mendem würden Weizen, Roggen oder
Gerste besser wachsen.
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Freilich, die Mel-
dungen aus anderen Gemeinden würden
das teilweise vermuten lassen, kann sich
der Deferegger Lehrer schlichtweg geirrt
haben. Die anderen Antworten zeigen aber,
dass der Mondglaube in Osttirol des frü-
hen 20. Jahrhundert im Allgemeinen (nur
mehr) wenig ausgeprägt war. Insbesondere
bei den Antworten des Virgers Paul Berger
wird dies ersichtlich. Berger war der ein-
zige aus Osttirol, der die Frage nach der
Bedeutung des Mondes differenzierter und
detaillierter beantwortete, er schrieb:
„Bau
und Werkzeugholz schlagen bei Neumond
und die ersten Tage im Zunehmenden
[Mondschein].
Heu und Laub ernten bei
abnehmendem Monde.“
Jedoch relati-
vierte er seine Angaben über den Zusam-
menhang von Mond – Ernte indem er
meinte: „
Ganzjährlich wird auf das rich-
tige Wetter geachtet und auch die Reife der
Früchte.“
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Tatsächlich übergingen viele diese Frage
schnell und erklärten stattdessen einen Zu-
sammenhang zwischen Sternzeichen und
Aussaat. Diese Hinweise decken sich in
allen Bereichen, was wiederum wenig ver-
wundert, da es sich gleichsam um termin-
liche Angaben handelte: Kooperator Mai-
ser weist darauf hin, dass das in Anras
richtige Blumensetzen bei „Jungfrau“ ge-
schehen müsse, während
„Kraut und an-
deres Gemüse“
bei Waage, Zwilling oder
Jungfrau gepflanzt werden müsse und
führt eine Regel an, an die
„sich Leute
sichtlich der Erdäpfel“
halten würden:
„Setzt du ein im April,
komm ich wann ich will.
Setzt du ein im Mai, komm ich glei[ch]
Setzt du ein im Juni,
komm ich mit der Sonne“
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Christian Gasser ergänzt für St. Veit:
„Kartoffeln sollen womöglich bei ‚Löwe‘,
‚Widder‘, ‚Stier‘, ‚Steinbock‘, keinesfalls
aber bei ‚Fisch‘, ‚Wassermann‘ (Nässe!)
oder ‚Krebs‘ (Schwinden!) gesetzt wer-
den.“
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5. Eine reiche Quelle
Für ausführliche und weiterführende
Auskünfte ließ die Fragestellung des ADV
zumeist wenig Spielraum. In Hinblick auf
die spätere Erstellung von Verbreitungs-
karten formuliert, waren die Fragen auf
einen bestimmten Ausschnitt eines ohne-
dies schon eingeschränkten Kulturseg-
ments einer ländlich-bäuerlichen Bevölke-
rungsschicht ausgerichtet. Die Antworten
spiegeln in den angesprochenen Bereichen
der Kultur einen Ist-Zustand wider, insbe-
sondere da sich die Verantwortlichen des
ADV bemühten, auch gegenwärtige Ent-
wicklungen – etwa bei Musik, Tanz, dem
Vereinswesen oder dem Einsatz moderner
Maschinen – mit zu berücksichtigen. So
gesehen vermag der ADV ein Zeitfenster
in das frühe 20. Jahrhundert zu öffnen und
bietet beispielsweise in die Brauchland-
schaft Osttirols vor der großen Zäsur des
II. Weltkriegs einen vielleicht überraschen-
den Einblick. Bei der Durchsicht der Kar-
teikarten wird schnell ersichtlich, dass der
Adventkranz vor dem II. Weltkrieg, anders
als von regionalen Hobbyforschern
manchmal behauptet, in Osttirol noch
gänzlich unbekannt war. Auch der Christ-
baum entpuppt sich als junger Kultur-
import, soll in Kartitsch
„1898 oder 1899“
eingeführt worden sein und war 1932 in
Innervillgraten und Kals erst etwa
„seit 10
Jahren“
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bekannt. Kein einziger Hinweis
findet sich für das Aufstellen eines Mai-
baums in Osttirol. Auch die Frage, ob der
Muttertag gefeiert würde, wurde negativ
beantwortet, obwohl, wie aus Kals gemel-
det wurde, es Versuche in der Volksschule
gab, die aber
„ergebnislos“
geblieben
wären. Lediglich in Lienz sollen Mütter
seit
„4-5 Jahren“
(also etwa seit 1927/28)
durch das Aufsagen von Gedichten und
das Basteln von kleinen Geschenken
„ziemlich“
in allen Kreisen des Ortes ge-
ehrt worden sein.
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Sowohl Adventkranz
als auch Maibaum und Mutterehrung er-
fuhren durch das NS-Regime eine ideolo-
gische Förderung und wurden in Osttirol
nach 1945 als entpolitisierte Bräuche po-
pulär. Deutlich wird in diesem Zusammen-
hang der nachhaltige Einfluss des Natio-
nalsozialismus auf das gegenwärtige
Brauchgeschehen, eine maßgebliche Ent-
wicklung, die in vielen Darstellungen
leider unberücksichtigt bleibt. Diese im
Laufe der ersten Hälfte des 20. Jahrhun-
derts neu eingeführten Rituale stehen einer
Reihe von Bräuchen gegenüber, welche in
ebendieser Zeit aufgegeben wurden. Als
Beispiel kann das heute noch im Virgental
OSTTIROLER
NUMMER 7-8/2006
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HEIMATBLÄTTER
4. Fragebogen, Frage 198: Gibt es an bestimmten Tagen
des Jahres besondere Arten und Formen des Gebäcks? –
Antwort aus Virgen.
Detailzeichnung eines Dachstuhls in Villgraten, Zeichung
Obbrugger 1929.