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OSTTIROLER
NUMMER 7-8/2006
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HEIMATBLÄTTER
Kartitscher Lehrer Franz Föger 1923 aus
dem Nordtiroler Nassereith in die Lesach-
taler Gemeinde
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; auch Dominik Vallazza,
wie er selbst angibt seit 25.10.1910 Schul-
leiter, erblickte nicht in Iselsberg, sondern
in Colle St. Lucia, im ehemals Südtiroler
Gericht Ampezzo, welches heute zur italie-
nischen Provinz Belluno gehört, das Licht
der Welt. Gerade Lehrer Vallazza war sich
dieser Problematik offenbar bewusst, und
hielt deshalb, obwohl er schon 20 Jahre im
Dorf integriert war, mit dem Altbürger-
meister Josef Obersteiner und dem da-
maligen Bürgermeister-Stellvertreter Josef
Wallensteiner Rücksprache.
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Dass haupt-
sächlich Männer die Fragen beantwor-
teten, wird aus dem zeitlichen Kontext
heraus verständlich.
3. Eine Probebefragung
Aus den Osttiroler Antworten sticht der
„Probefragebogen für Haus und Sachen“
aus Außervillgraten hervor. Das Manu-
skript wurde von Josef Obbrugger verfasst
– jenem Lehrer, welcher in Außervillgra-
ten geboren und aufgewachsen war, 1926
eine Lehrerstelle in Kals antrat und für
diese Gemeinde den dritten Fragebogen des
ADV beantwortete. Dem Verfasser dürfte
es einige Mühe gekostet haben, die auf-
schluss- und detailreichen Zeilen zu Papier
zu bringen, beendet er doch seine Ausfüh-
rungen mit einem erleichterten
„Deo Gra-
tias!“.
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Insgesamt neun Grundrisspläne
sowie detaillierte Konstruktionszeichnun-
gen und Skizzen machen die Seiten zu
einem wertvollen Dokument volkskund-
licher Haus- und Geräteforschung. Insbe-
sondere die Grundrissformen, die meisten
zeigen einen Mittelflur, zeugen von der
kulturellen Vielfalt im historischen Haus-
bau. Besonders bemerkenswert ist aller-
dings ein von ihm dokumentierter Stich-
flur. Diese Sonderform des Mittelflurhau-
ses ist dadurch gekennzeichnet, dass die
„Labe“ nicht durch das ganze Haus führt,
sondern stumpf endet, in diesem Fall in
einem entlang des Firsts verlaufenden Hof.
Diese seltene Anordnung der Räume fand
in einem etwas anderen Gefüge seine
Hauptverbreitung im zentralen Südtirol.
Tatsächlich gibt Obbrugger an, dass diese
Hausform in nur einem von 140 Häusern
Außervillgratens festzustellen war.
Elf dem Schreiben beigefügte Schwarz-
weißbilder dokumentieren das Erschei-
nungsbild von Kalkstein, Inner- und
Außervillgraten um 1930 und zeigen heute
bereits längst abgetragene Gebäude. Auf
„Lichtbild Nr. 11 und Nr. 12“
sind bei-
spielsweise bereits damals abgerissene
Wohnhäuser zu erkennen. Bei den vermut-
lich über einem Mittelflurgrundriss in
Blockbauweise errichteten Gebäuden soll
es sich, wie Obbrugger angibt, um die an-
geblich ältesten Häuser in Außer- bzw.
Innervillgraten handeln.
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Tatsächlich lassen
Fenstergröße (das Innervillgratner Haus
mit so genanntem Dreifaltigkeitsfenster)
und Kaminkonstruktion (aus Holz) darauf
schließen, dass beide Bauten um oder
sogar vor 1650 errichtet worden sein müs-
sen. Damals forderten landesfürstliche
Verordnungen den zwingenden Bau von
Kaminen. Der Rauch zog deshalb nicht
mehr durch den Hausgang, sondern durch
den Rauchfang ab, was zu einer großen
Verbesserung der Wohnqualität und Ver-
ringerung der Augenkrankheiten führte.
Durch den geordneten Abzug des Rauches
konnten auch Balkone und Söller effekti-
ver genützt werden, die seit dieser Zeit
immer populärer wurden.
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Ebenfalls im
17. Jahrhundert erließ die Obrigkeit Ver-
ordnungen, dass die Küchenwände gemau-
ert oder verputzt werden mussten. Beide
Gebäude zeigen jedoch einen reinen
Blockbau. Trotz dieser, aus Gründen des
Feuerschutzes erlassenen Bestimmungen
blieb der Holzbau für die regionale Bevöl-
kerung bedeutend, was beispielsweise
durch die von Obbrugger überlieferte
Redensart deutlich wird: „
Der Volksmund
sagt: Das ganze Haus ist hölzern, lei der
Kömat
[Anm. Kamin]
ist feichten.“
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Nicht minder aufschlussreich – auch und
gerade in Hinblick der Bildgebärden – ist
Fotografie Nr. 9. Sie zeigt die Rautkaser
(Rautalm) im Winkeltal, vor der sich
Knechte, Mägde und Kinder zu einem
Gruppenbild zusammen gefunden haben.
Ihre Arbeitsgeräte in den Händen haltend,
tragen die Abgelichteten die damals ver-
wendete Alltags- und Arbeitskleidung.
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Die Frauen tragen das schwarze
„Bäuri-
sche Gewand“
, welches bereits im 19.
Jahrhundert in Mode kam und schnell die
älteren Trachtenformen verdrängte. Man-
che Männer haben sich um die Hüften eine
Arbeitsschürze gebunden, eine damals im
bäuerlichen Bereich (und heute teilweise
noch in Südtirol) übliche Art, die eigene
Kleidung bei der Arbeit zu schützen.
4. Ein Zeitfenster
Nach dem zufrieden stellenden Verlauf
der Probebefragung wurde im Frühjahr
1930 der erste Fragebogen des ADV in die
Gemeinden verschickt. Die im Original
länglichen Fragebögen wurden mit einem
Zahlencode versehen. Diese Nummern-
kombination (siehe Überblick über Be-
arbeiter) ermöglichte anhand der ADV-
Einhof in Innervillgraten, um 1929, 17. Jahrhundert.
Wohnhaus in Außervillgraten, vor 1929 abgerissen, 17./18.
Jahrhundert.