Seite 1 - H_2007_11

Basic HTML-Version

NUMMER 11/2007
75. JAHRGANG
OSTTIROLER
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
Die Vorgeschichte:
Die Schuschniggs und Tirol
Unmittelbar nach der Ermordung von
Engelbert Dollfuß (25. Juli 1934) wurde der
damalige Justizminister Kurt von Schusch-
nigg von Bundespräsident Miklas zum
neuen Kanzler ernannt
1
. Schuschnigg ent-
stammte einer alten Kärntner Offiziersfami-
lie, die allerdings in beruflicher und priva-
ter Hinsicht eng mit Tirol verbunden war.
Seine Mutter, Anna Wopfner, war gebürtige
Innsbruckerin, und die Familie weilte
1897, im Geburtsjahr des Sohnes Kurt, in
Riva del Garda, „dem südlichsten Punkt des
damaligen Tirol“
2
. Kurt von Schuschnigg
studierte später in Innsbruck Jus und wirkte
dort jahrelang als Rechtsanwalt. Seine erste
Frau, Herma geb. Masera, stammte eben-
falls aus Tirol: Sie wurde 1901 als Tochter
eines Geschäftsmannes in Bozen geboren. –
Während des Zweiten Weltkriegs in Haft,
wurde Kurt von Schuschnigg Ende April
1945 am Pragser Wildsee, wohin er zusam-
men mit zahlreichen anderen Gefangenen
von der SS transportiert worden war, be-
freit
3
. Im Jahre 1947 emigrierte Schusch-
nigg nach Amerika, kehrte aber 1967 nach
Tirol zurück. Er lebte in Mutters bei Inns-
bruck, wo er 1977 verstarb.
Schuschniggs Besuch in
Osttirol (11. Juni 1935)
und die Ostmärkischen
Sturmscharen in Osttirol
Über den Besuch des Kanzlers hat sich
ein umfangreiches Album erhalten, das
sich heute im Chronikarchiv der Gemeinde
St. Veit in Defereggen befindet
4
. Die ein-
fach gestaltete Mappe aus Karton enthält
27 Blätter mit Zeitungsausschnitten über
den Kanzlerbesuch, neun weitere mit
Fotos von Schuschniggs Auftritt in Lienz
sowie mehrere maschinschriftliche Manu-
skripte über den Kanzlerbesuch in Kärnten
und Osttirol (10./11. Juni), die als Vorlage
für die verschiedenen Zeitungsberichte
dienten. Ferner enthält das Album eine
Einladung zum Festessen mit dem Kanzler
im Hotel Traube und ein Plakat, das die
Bevölkerung zur Teilnahme an der Kund-
gebung mit Schuschnigg in Lienz aufruft.
Angelegt wurde dieses „Album“ von
Rudolf Moser, dem Gauleiter der „Ostmär-
kischen Sturmscharen“ (OSS) in Osttirol.
Bei dieser Organisation handelt es sich um
einen am 7. Dezember 1930 in Innsbruck
gegründeten politischen Wehrverband,
der in Konkurrenz zur Heimwehr bzw. zur
Vaterländischen Front (V.F.) stand
5
. Die
OSS scheinen in Osttirol stark vertreten
gewesen zu sein. Ihr „Reichsführer“ war
übrigens Bundeskanzler Schuschnigg
selbst
6
, mit dem Rudolf Moser nach eige-
nen Angaben in engem Kontakt stand
7
.
Doch zurück zum Kanzlerbesuch in Ost-
tirol: Schuschnigg erreichte den Zeitungs-
berichten zufolge Lienz in der Nacht auf den
11. Juni (Pfingstdienstag). Am Morgen gab
es auf dem Kaiser-Josef-Platz (heute Haupt-
platz) eine Kundgebung mit Aufmarsch der
Wehrformationen, der Nationalschützen
sowie verschiedener Abordnungen aus den
Tälern
8
. Laut „Innsbrucker Zeitung“ kamen
allein aus dem Gerichtsbezirk Matrei an die
700 Leute nach Lienz
9
. Auf die Feldmesse,
zelebriert von Dekan Stemberger, folgten
Ansprachen verschiedener Politiker und
Verbandsfunktionäre, in deren Mittelpunkt
die Treue zur Heimat, aber auch die wirt-
schaftliche Notlage stand
10
. Im Anschluss
daran defilierten die Verbände am Johannes-
platz vor dem Kanzler, ehe „auf der Lend“
ein Appell der „Kanzlerverbände“ (also im
Wesentlichen der OSS) und der National-
schützen stattfand
11
. Dabei bezeichnete
Schuschnigg die Sturmscharen als eine „Eli-
tebewegung ganzer, junger Österreicher“.
Das Ehepaar Schuschnigg in
St. Veit in Defereggen
ImAnschluss nahmen Schuschnigg und
die Festgäste im Hotel Traube als Gäste
des Bauernbundes das Mittagessen ein.
Am Nachmittag fuhr der Kanzler auf den
Iselsberg und anschließend durch das Isel-
tal ins Defereggental. In den Orten Ainet
und Huben wurde Halt gemacht. In Hopf-
garten gab es (gegen 16.30 Uhr) ebenfalls
einen Aufenthalt, über den die Lienzer
Nachrichten schrieben
12
:
„Zum Empfang
des Bundeskanzlers am Pfingstdienstag
wurden die Häuser an der Straße festlich
geschmückt und beflaggt; die Musikka-
pelle, Jung-Sturmscharen, die Schulkinder
und eine große Menschenmenge hatten
sich zur Begrüßung eingefunden. Um halb
5 Uhr traf dann der Bundeskanzler hier
ein und wurde von H. H. Pfarrer und dem
Bürgermeister herzlich begrüßt. Nach kur-
zer Erwiderung ging dann die Fahrt wei-
ter zum Hauptempfang nach St. Veit.“
Über den Besuch in St. Veit berichtete
die „Amtliche Nachrichtenstelle“ in über-
schwänglichem Tonfall
13
:
„Einen unver-
geßlichen Eindruck mußte jedem Beobach-
Michael Huber
Bundeskanzler Kurt von
Schuschnigg in Osttirol
Der Besuch des Bundeskanzlers Dr. Schuschnigg im Bezirk Lienz (1935) und die Einweihung der
Herma-von-Schuschnigg-Kapelle vor 70 Jahren
Bundeskanzler Schuschnigg in Lienz (Foto
aus dem von R. Moser angelegten Album
über den Kanzlerbesuch; Chronikarchiv
St. Veit i. D.).