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OSTTIROLER
NUMMER 4-5/2008
8
HEIMATBLÄTTER
Gespräche mit Zeitzeugen, die ich vor
einigen Jahren geführt habe, ermöglichen
diesen Bericht zu einem Ereignis, das in
Vergessenheit gerät. Es gehört zur Vergan-
genheit „700 Jahre Thurn“, der wir in die-
sem Jahr 2008 gedenken wollen.
Ich kenne keine Hinweise auf das Alter
dieses Gelöbnisses. Es könnte vor den ver-
heerenden Unwettern der Jahre 1879 und
1882, aber auch als deren Folge seinen An-
fang genommen haben. Die verlobten Kreuz-
gänge auf St. Helena reichen weit zurück und
galten auch der Bitte um gute Witterung und
den Sonntagsbittgängen um 12 Uhr Mittags
fehlte es nicht an Schweißtropfen.
An der Pfarrkirche zur Hlst. Dreifaltigkeit in
Assling ist eine sogenannte „Dreifaltigkeitsbru-
derschaft“ installiert. Die Mitglieder der Bru-
derschaft und die Gläubigen, welche die vorge-
gebenen Bedingungen am Feste und in der
Oktav des Patroziniums zur Hlst. Dreifaltigkeit
– am Sonntag nach Christi Himmelfahrt – er-
füllen, gewinnen einen „Vollkommenen Ab-
lass“, der die Seele von den Strafen des Fege-
feuers befreit. Der sündhafte Mensch kann neu
beginnen! Die Bedingungen für den Ablass
waren: gültige Beichte, Erfüllung des Nüch-
ternheitsgebotes vor dem Kommunionempfang
und nachher das Beten von fünf Vaterunser,
Gegrüßt seist du Maria und Ehre sei dem Vater.
Die Gewährsleute sagten, dass dieser Kreuz-
gang der Bitte um günstige Witterung gegolten
habe: Verschonung vor Hagelschlag, langen
Regenzeiten, Murabgängen, aber sie wussten
nicht mehr, ob dieser Ablass inbegriffen war.
Nach der Darstellung des Mesners
Heinrich Walder kamen die Bittgänge
in der Reihenfolge:
Bannberg und Lienz/St. Andrä am
Freitag nach Christi Himmelfahrt,
Abfaltersbach am Pfingstsamstag,
Anras am Pfingstmontag,
Heiligenblut am Dreifaltigkeitssonntag,
Kartitsch am Abend des
Fronleichnamstages und
Rittersdorf/Irschen zu Mariä Geburt
am 8. September.
Die Messe begann nach Eintreffen der
Bittgänger. Nach 1938 hätten diese Bitt-
gänge aufgehört und seien nach 1945 ein-
gestellt worden. Für Thurn wurden sie aber
nicht ersatzlos gestrichen. Laut Protokoll
der Gemeinde- und Ortsschulratssitzung
vom 11. September 1955 ging man am 3.,
5., und 6. Sonntag nach Ostern mit dem
Kreuz von Thurn zur Messe in die Pfarrkir-
che St. Andrä und an Christi Himmelfahrt
nach Maria Trost. Das hatte Bestand bis
Ende der sechziger Jahre des 20. Jahrhun-
derts, dann entschlummerte dieses Brauch-
tum wie so Vieles aus vergangener Zeit.
Zum Verlauf des Gelöbnisses:
Am Freitag nach Christi Himmelfahrt,
um vier Uhr früh, war in St. Andrä Auf-
bruch. Thurner, Patriasdorfer, Oberlienzer
(?) machten sich ohne Geistlichkeit auf
den Weg durch das Drautal. Viele Rosen-
kränze wurden gebetet. Der Roaner (Josef
Rainer, gestorben 1931, um die Jahrhun-
dertwende auch Gemeindevorsteher in
Thurn) war Vorbeter und Mußhausers,
wenn sie das Mesneramt inne hatten.
In Thal/Aue habe man bei einer Harpfe
gerastet und gejausnet (Nüchternheitsge-
bot? Dispens?). Die Harpfe stand im Feld
oberhalb des heutigen Postamtes am alten
Weg nach Oberthal/Assling. (Anmerkung
des Verfassers)
In der Kirche zum Hl. Ulrich in Oberthal
wurde noch ein Rosenkranz gebetet und
gegen neun Uhr traf die Pilgerschar in Ass-
ling ein. Nun gab es eine Balgerei unter den
Halbwüchsigen, wer läuten durfte. Die
Messe zelebrierte der Asslinger Pfarrer. An-
schließend ging es zum Wirt, wer Geld
hatte, während die anderen außerhalb raste-
ten und die Jause verzehrten: Käse mit Brot,
denn an Freitagen galt das Fleischfasten.
Wie vereinbart, traf man sich dann in der
St. Korbinian-Kirche. Mit dem Beten des
Glaubensbekenntnisses startete der Rück-
weg nach Thurn. Das Vortragskreuz der
Oberlienzer (?) hatte unterhalb des Kreuz-
chens ein weißes Kittelchen, etwa zwei
Spannen lang. Als einmal der Kreuzträger
stolperte und hinplatschte – das Kreuzchen
an der langen Stange steckte im Rasen –
war es mit dem Beten für eine Weile vor-
bei; es war zu komisch! Ab dem Luggauer
Brüggele ging man den Weg über Burg-
frieden. Nach einer kurzen Andacht in der
Kapelle war das Gelöbnis beendet. Die
„Bemittelten“ kehrten noch in der Braue-
rei Falkenstein ein. Der Großteil erreichte
am späteren Nachmittag wieder Thurn.
In der Mehrzahl bestritten die Teilnahme
jüngere Leute – männlich wie weiblich –
und so war es kein sehr bußfertiges Unter-
nehmen, sondern auch ein unterhaltsames.
Die „großen Mädchen“ gingen gerne mit,
weil es eine Gelegenheit war, mit Gleich-
altrigen zu reden und zu lachen, was sonst
nur selten möglich gewesen sei.
Bemerkung:
Die Wegstrecke von Thurn
nach Assling beträgt 16,5 Straßenkilo-
meter, der Höhenunterschied Thal/Aue –
Assling 300 m!
Gewährsleute:
Mathilde Lublasser, geboren 1913, gestorben
2004;
Peter Mußhauser, geboren 1912, gestorben
2002 (vermittelt von Raimund Mußhauser);
Heinrich Walder, Mesner in Assling seit 1936,
Nachfolger seines Vaters, der das Amt von 1922
bis 1936 inne hatte. Das Gesprächsprotokoll
stammt vom April 1998.
Hans Kurzthaler
Kreuz- und Bittgang der Thurner
nach Assling/St. Korbinian
Thurn-
Dorf mit
der
Kirche St.
Nikolaus
und dem
Schulhaus
in einer
Aufnahme
von 1955.
Alle
Fotos:
Hans
Kurz-
thaler
Die Wallfahrtskirche St. Korbinian in
Thal, ehemals Ziel eines von Thurn aus-
gehenden Kreuz- und Bittgangs.
Pfarrkirche zur Heiligsten
Dreifaltigkeit in Assling.