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OSTTIROLER
NUMMER 8/2008
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HEIMATBLÄTTER
benannt und beschrieben zu haben, die als
visuelle Codierung bildnerischen Denkens
die Kunst jenseits ihrer Verpflichtung be-
stimmen, den äußeren Schein abzubilden.
Dieselben Prinzipien aber zwingen auch
den ungeübten Zeichner, sobald er sich mit
der äußerenWirklichkeit misst, zu Fehlern,
weshalb ihm seine Zweifel an ihrer
Kunstwürdigkeit nicht zu verübeln sind.
Bildnerisches Denken scheint also nicht,
wie Kläger annimmt, im Laufe eines intel-
lektuellen Reifungsprozesses allmählich
abhanden zu kommen. Ohne dass man es
will, macht es zu den unpassendsten An-
lässen seine Ansprüche geltend. Allein der
Künstler und der künstlerisch eingestellte
Betrachter wissen mit ihm umzugehen und
ästhetischen Nutzen aus ihm zu ziehen –
der von Kläger untersuchte Personenkreis
gar in einer Reinheit, die man unbefangen,
naturbelassen oder mit dem gelernten
Weinhändler Jean Dubuffet „brut“ nennen
könnte.
Das engere Umfeld Jean Dubuffets pola-
risierte hinsichtlich der Aneignung von
Wirklichkeit durch die Kunst zwischen
zwei bildnerischen Verhaltensweisen, jener
nämlich des leidenschaftlichen Menschen
(„homme passioné“), dem der aperspekti-
vische „espace brut“ entspricht und die
Alternative zum „espace perspectif“ des
rational veranlagten Beckmessers dar-
stellt
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. Auf die künstlerische Praxis be-
zogen lässt sich vielleicht sagen, dass der
Rezeptionsaufwand zentralperspektivi-
scher Bilder sich umgekehrt proportional
zum Aufwand ihrer Herstellung verhält.
Mit anderen Worten, man glaubt, sie leicht
zu verstehen, hält ihre Produktion aber für
schwierig – und verwechselt Kunst mit
Kunstfertigkeit.
Noch vor etwa fünfzehn Jahren hätte
man Thomas Baumgartners Gemälde ohne
Bedenken der Art brut zugewiesen, erfüll-
ten sie neben formalen Aspekten doch auch
die Vorstellung, ohne äußere Einflüsse
allein aus unbewusst bildnerischem Emp-
finden ihres Autors hervorgegangen zu
sein. Ganz zu befriedigen aber vermochten
sie nicht, hatte die noch junge Beschäfti-
gung mit dem Medium doch noch zu kei-
ner originellen Lösung geführt. Um seine
Malerei zu verbessern, wählte Baumgart-
ner den schwierigen Weg: Er orientierte
sich an Vorbildern, zuerst an Cezanne und
Matisse, später am optischen Angebot sei-
ner Umgebung, und erlernte, bis zu dem
für sein Ausdrucksbedürfnis nötigen Maß,
sogar perspektivische Regeln – mit dem
Erfolg, dass seine Synthese rationaler und
irrationaler Momente von den Puristen der
Art brut und jenen der Art culturel gleich-
zeitig angreifbar ist. Ihr Anklang beim
Publikum aber spricht eine andere Sprache.
In einem vorläufigen Resümee 25-jähri-
gen Lehrens und Forschens fordert Max
Kläger die Unteilbarkeit der Kunst und
verzichtet folglich auf den Begriff „Art
brut“ und dessen angelsächsisches Äquiva-
lent „Outsider Art“, das ihre Exponenten
außerhalb von Kultur und Gesellschaft an-
siedelt. Er listet zehn maßgebliche Ord-
nungsprinzipien auf und illustriert sie u. a.
auch an Werken von Künstlern der Kunst-
werkstatt Lienz. So findet er in einem Ge-
mälde Dietmar Gepperts mindestens sechs
von ihnen bestätigt, in einer Zeichnung
Elfriede Skramovskys lediglich eines
11
.
„Reihungs-, Wiederholungs- und addi-
tive Fügungstendenzen, die einem rhyth-
misch bestimmten Bewegungstrieb fol-
gen“ sind stilistische Merkmale, die Skra-
movskys Kunst zu Beständigkeit und
zugleich einer Entwicklungsdynamik ver-
helfen, die immer wieder überraschende
Wendungen aufweist. Spontan konturierte
Formen werden in einem von Fleiß und
Geduld motivierten Prozess mit Binnen-
mustern befüllt, deren Repertoire zwar be-
grenzt ist, zur Interpretation der unmittel-
baren Niederschrift jeder neuen Bildidee
jedoch für ein ganzes Künstlerleben aus-
reichend sein wird – aber eben nur des-
halb, weil sie nicht bloß schematisch
einem Bewegungstrieb, sondern dem kal-
kulierten Gestaltungswillen der Künstlerin
folgen. Umrisse, deren Bandbreite sich
von abstrakten Figuren bis zu Projektionen
realer Gegenständlichkeit ausdehnt, und
ein über Jahre entwickelter Vorrat an Mus-
tern, garantieren der Arbeit Skramovskys
ihre Anpassungsfähigkeit an eigene Vor-
stellungen ebenso wie an von außen heran-
getragene Gestaltungsaufgaben. Sie haben
sich nicht nur auf dem Papier, sondern
auch an Kunst-am-Bau-Projekten und in
der Zusammenarbeit mit anderen Künst-
lern bewährt
12
.
IMPRESSUM
DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-
Doz. Dr. Meinrad Pizzi-
nini. Für den Inhalt der
Beiträge sind die Auto-
ren verantwortlich.
Anschrift des Autors
dieser Nummer: Mag.
Rudolf Ingruber, Rue-
fenfeldweg 2b, A-9900
Lienz.
Manuskripte für die
„Osttiroler Heimatblät-
ter“ sind einzusenden
an die Redaktion des
„Osttiroler Bote“ oder
an Dr. Meinrad Pizzi-
nini, A-6176 Völs, Al-
bertistraße 2 a.
Elfriede
Skramovsky, 2007.
Fotos:
Kunstwerkstatt Lienz
Elfriede
Skramovsky, Elmar
Trenkwalder,
Wandgestaltung in
der HTL Lienz,
1997.