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OSTTIROLER
NUMMER 8-9/2009
8
HEIMATBLÄTTER
Der erste Name ist eher bekannt,
der zweite wohl kaum. Die sehr
harte, schwarzbraune Dauerform
(
Secale
cornutum
)
mancher
Schlauchpilze in Roggenähren hat
die erste, die Krankheit nach dem
Verzehr damit verseuchten Brotes
die zweite Bezeichnung. Die Abbil-
dung zeigt das Stadium dieses Pilzes
(
Claviceps purpurea
) an einer Ähre
aus Asch bei Anras vom 13.8.1995.
Durch den stark verringerten Anbau
dieses Brotgetreides und die schon
lange geübte Beizung des Saatguts
ist dieser Pilz wohl ausgestorben,
obwohl er auch Wildgräser befallen
kann. – Roggen stammt vermutlich
aus dem Kaukasusgebiet und wurde
um 1000 v. Chr. „in Kultur genom-
men“. Weltweit ist dieses Getreide
erst an fünfter Stelle nach Weizen,
Reis, Mais, Gerste, Hirse und Hafer
gereiht in Bezug auf die Anbau-
fläche und Produktion (F
RANKE
1981), in neuerer Zeit gilt vielleicht
eine andere Statistik.
An sich ist dieser Parasit der Rog-
genblüten auffallend, berüchtigt und
berühmt wegen seiner Inhaltsstoffe:
mehrere Alkaloide mit verschiedens-
ter Wirkung. Im Mittelalter waren
Vergiftungen mit Resten dieses Pilzes
im Mehl oft häufig: Ergotismus. Die
Ursache war nicht bekannt, daher
blieb der Name Kribbel-Krankheit,
St. Antonius-Feuer, ignis sacer (Hei-
liges Feuer). Symptome dazu sind
z. B. Taubheitsgefühl, Blutgefäß-Krämpfe,
Störungen der Muskeltätigkeit, Kopf-
schmerzen, Schwindel, Änderungen des
Bewusstseins, Krämpfe u. a. mit verschie-
denen Spätfolgen. (P
SCHYREMBEL
2002). –
Das Überdauerungsstadium fällt von den
Gräsern zu Boden und im Frühjahr entste-
hen Fruchtkörper, regelmäßig gegliedert in
Stiel und Kopf bis 3 mm lang:
Claviceps
(= Keulenkopf), daraus werden die Sporen
gestreut, die wieder auf Grasblüten gelan-
gen müssen, unsere wichtigsten Getreide-
sorten gehören ja zu den Gräsern (B
REITEN
-
BACH
& K
RÄNZLIN
1984).
Das Mutterkorn als ehemalige Liebes-
droge (Aphrodisiakum) erfuhr nach 1943
neue Wirkungsweise durch die Entdeckung
und Weiterentwicklung von LSD (Lyserg-
säurediäthylamid) aus dem Pilz durch den
Chemiker Dr. A. Hofmann in Basel, mit
seiner eher zufällig entdeckten Wirkung auf
das menschliche Bewusstsein. Nur 25 bis
250 Mikrogramm lösen Visionen und
„transpersonale Erfahrungen“ aus. Forscher
in Harvard formulierten später, dass LSD
unter bestimmten Umständen das „stärkste
Aphrodisiakum der Welt“ sein kann. Der
Name wurde abgeleitet von der Pflanze
Meerträubel (
Ephedra
, wenige Arten im
Mittelmeerraum, E
NCKE
et al. 1994). Natür-
liche und künstliche Drogen dieser Art
kennt man mehrfach (R
ÄTZSCH
1990).
Die Assyrer um 600 v. Chr. nannten
diese Form „eine schädliche Pustel in der
des Hahnes, in Deutschland soll es
62 Namen für das Mutterkorn, 21 in
Holland, 14 in Italien usw. geben.
Die Wichtigkeit wird schon dadurch
unterstrichen. Der Name Antonius-
Feuer kam vom brennenden Gefühl
in Händen und Füßen, mit Geschwü-
ren und Tod. Der Hl. Antonius, Abt,
Einsiedler, Antonius der Große
(nicht A. v. Padua, 1195 bis 1231)
starb 356 n. Chr. mit 105 Jahren in
Alexandria. Er ist der Schutzheilige
der Haustiere (besonders der
Schweine, wegen seines Kampfes
gegen dämonische Gestalten, in
Tirol daher unfein „Fackentoni“ ge-
nannt, Gedenktag 17. Jänner), zahl-
reicher Berufsgruppen, auch Feuer,
Epilepsie und Infektionskrankheiten.
Kreuzritter brachten seine Reliquien
etwa 1000 n. Chr. nach Frankreich
und dort brach in der Dauphiné diese
Krankheit besonders stark aus. Erst
1491 wurden die Gebeine in Arles
beigesetzt. Die Verehrung wurde
durch die Ritter und den Antoniusor-
den (Antoniter) stark gefördert
(W
IMMER
& M
ELZER
1982).
Erst 1676 erkannte man die Ursache
der Krankheit und aß möglichst Brot
ohne Mutterkorn-Zusatz. Die Bäcker
verkauften aber reines Roggenmehl
an die Wohlhabenden, der „ge-
spornte Roggen“ ging an ärmere
Kunden. Umgekehrt ging es beim
geschälten Reis für die Reichen und
vitaminreicheren, ungeschälten bei
den Armen in Indien: Vitamin-Mangel-
krankheit: Beri-Beri. – In den Jahren
1926/1927 wird die letzte Ergotismus-
Epidemie in Südrussland registriert
(S
CHULTES
& H
OFMANN
1980).
Anlass dieser Mitteilung war einfach die
Durchsicht alter Fotos. Auch Erinnerungen
aus der Kindheit gibt es wahrscheinlich bei
manchen Einheimischen, vor allem bei
den Bauern, Müllern und Bäckern. Die
Durchsicht nur weniger Literaturangaben
führte weit zurück zum Thema und
konnte mit einigen Zitaten Erläuterung
bringen. Das Kapitel ist vor allem in der
Medizin wichtig durch die Anwendung
moderner synthetischer Medikamente aus
Mutterkornzüchtungen, in der Landwirt-
schaft praktisch nicht mehr interessant.
Das Foto hat daher eher Seltenheitswert.
Literatur:
B
REITENBACH
, J. & F. K
RÄNZLIN
(1984): Pilze der Schweiz.
Beitrag zur Kenntnis der Pilze der Schweiz. – Bd. 1 Ascomy-
ceten (Schlauchpilze). – Verl. Mykologia, Luzern.
E
NCKE
, F., G. B
UCHHEIM
& S. S
EYBOLD
: Zander, Hand-
wörterbuch der Pflanzennamen. – 15. Aufl., Verl. Ulmer
Stuttgart.
F
RANKE
, W. (1981): Nutzpflanzenkunde. Nutzbare Ge-
wächse der gemäßigten Breiten, Subtropen und Tropen. 2.
Aufl. – Verl. Thieme Stuttgart-NewYork.
P
SCHYREMBEL
(2002): Klinisches Wörterbuch. – 259.
Aufl., Verl. W. de Gruyter Berlin.
R
ÄTSCH
, Chr. (1990): Pflanzen der Liebe. Aphrodisiaka
in Mythos, Geschichte und Gegenwart. Verl. Hallwag Bern.
S
CHULTES
, R. E. & A. H
OFMANN
(1980). Pflanzen der
Götter. Die magischen Kräfte der Rausch- und Giftge-
wächse. – 2. Aufl., Verl. Hallwag. Bern-Stuttgart.
W
IMMER
, O. & H. M
ELZER
(1982): Lexikon der Namen
und Heiligen. – Verl. Tyrolia Innsbruck-Wien-München.
Ähre des Korns“. Die Griechen aßen des-
halb keinen Roggen aus Thrakien und
Mazedonien, wegen der „schwarzen, übel-
riechenden Frucht“. Bei den Altgrie-
chischen Eleusinischen Mysterien soll
Mutterkorn schon eine Rolle gespielt
haben. Im Mittelalter verseuchten ihre
Wirkstoffe ganze Landstriche durch die
Ergotismus-Krankheit, weil der Pilz ver-
sehentlich beim Mahlen des Korns ins
Roggenmehl gelangte. Diese Massenver-
giftung nannte man Antoniusfeuer. Damals
wurde es von Geburtshelferinnen schein-
bar oft verwendet, wegen der Kontraktion
unwillkürlicher Muskeln, daher der immer
noch gebrauchte Name Mutterkorn. Die
botanische Artbezeichnung „purpurea“
soll auf die Purpurfarbe (früher gewonnen
als sehr teurer Farbstoff aus den marinen
Purpurschnecken), diese wurde mit den
„Mächten der Unterwelt“ in Verbindung
gebracht. Der medizinische Name Ergotis-
mus stammt von „ergot“ (franz.), Sporn
Alois Kofler
Mutterkorn und Antoniusfeuer
Mutterkorn an Roggenähren: Asch bei Anras, 1995.
Foto: Alois Kofler
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Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren
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