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OSTTIROLER
NUMMER 8-9/2009
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HEIMATBLÄTTER
Zum Kennwort Galle wäre viel zu berich-
ten. Einmal über die gelbliche bis dunkel-
grüne Absonderung der Leberzellen und ihre
Speicherung in der Gallenblase, wichtig zur
Emulgierung der Fette im Blut (Tröpfchen-
bildung), Aktivierung der Bauchspeichel-
und Darmenzyme, Ausscheidung von
Fremdstoffen, mit mehrfachen Erkrankungen
mit und ohne Gallensteinen usw. Näheres
dazu in den Medizinbüchern. – Dann die
Sprichwörter des täglichen Lebens: die Galle
läuft (ihm, ihr) über: in Zorn geraten; Galle
als Sinnbild für Bitteres, Unangenehmes;
Gift und Galle spucken: in Wut geraten, sehr
schlechter Laune sein; voller Galle sein:
missgelaunt sein; Galle mit Honig überzie-
hen: schlechte Laune mit Süßem vertreiben;
aber Galle bleibt Galle: auch wenn man sie
mit Honig bestreicht. Diese zwei gegensetz-
lichen Stoffe wörtlich und übertragen kennt
der Lateiner als Wahlspruch von Kaiser
Lothar: „ubi mel, ibi fel“ (wo Honig, dort
[auch] Galle); Honig im Munde, Galle im
Herzen (Walter von der Vogelweide): sehr
ungute Grundhaltung für Gespräch und Le-
bensform; „wer nit galle versucht hat, weiss
nit wie süß der Honig schmeckt“ (Geiler von
Kaysersberg) (R
ÖHRICH
1994). – Schließlich
die zahlreichen Gallen als natürliche Ausbil-
dung: verschiedentlich geformte Wucherun-
gen und abnorme Bildungen an Pflanzen fast
aller Art, verursacht durch andere Organis-
men.
Über verschiedene Missbildungen an
Pflanzen konnte in dieser Beilage 1994 bis
2007 berichtet werden: Hexenbesen, Gallen,
Schlafäpfel, Gallwespen, Gallmücken, Blatt-
flöhe. Die Beobachtungen darüber nehmen
immer mehr zu. Bisher wurde sicherlich nur
ein kleiner Teil erkannt, die Literatur dazu ist
umfangreich, die systematische Zuordnung
ist z. B. bei Gallmücken schwierig. Die Ver-
ursacher sind verschiedenste Pflanzen und
Tiere:
Neue Untersuchungen in den Julischen
Alpen ergaben folgende Artenzahlen als
Verursacher: 200 Pilze, 150 Gallmücken,
122 Milben, 60 Käfer, 61 Blatt- und Schild-
läuse, 36 Gallwespen, 20 Blattflöhe, 10
Schmetterlinge, dazu einzelne Fadenwür-
mer, Wanzen, Bakterien (S
EDLAG
2008).
Dieses geografische Gebiet mag mit insge-
samt 705 Arten besonders gut erforscht sein,
im alpinen Bereich sind dazu viel beschei-
denere Zahlen zu erwarten.
Seit Jahren wurden leichter erkennbare
Gallen an Sträuchern und Bäumen, vor allem
der Eichen genauer registriert und zugeord-
net. Ganz unerwartet war im Sommer 2008
das Auffinden von Gallen der
Eichenknoppern-Gallwespe
(
Andricus quercuscalicis
)
beim Schloss Bruck am 28.8.2008 und in
Oberlienz/Oberdrum, jeweils an den Früch-
ten der Stieleiche (
Quercus robur
). In diesem
Falle handelt es sich offensichtlich um eine
erst kurz eingewanderte Art, dazu noch in
auffallender Zahl.
Die Gallen sind sehr leicht zu erkennen: an
den Zweigenden der Eiche oder am Boden
liegend im Spätsommer, bis 2 cm Durchmes-
ser, meistens ist auch noch die Frucht mit
Becher sichtbar, nach oben ziehen auffällige
Längsrippen, im Sommer grün, etwas kleb-
rig, im Herbst braun und holzig. Im Zentrum
findet man die recht kleine rundliche Innen-
galle, in der die Larve lebt und durch ihr
Speichelsekret die artspezifische Gallenform
verursachte. Nach der Überwinterung am
Boden schlüpfen daraus kleine Wespen und
fliegen auf die männlichen Blütenstände der
Zerreiche (
Quercus cerris
), dort entstehen
Männchen und Weibchen in sehr kleinen
Gallen. Diese fliegen wieder zurück zur
Stieleiche. Dieser Generationswechsel wurde
bereits 1896 entdeckt (R
IEDEL
1910). Auch
einWirtswechsel ist bei diesenWespen meis-
tens obligatorisch. In Osttirol fehlt die Zerr-
eiche als Zwischenwirt. Die einheimischen
Arten Stieleiche
(Quercus robur)
und Trau-
beneiche
(Quercus petraea)
sieht man im
Lienzer Talboden, seltener im Iseltal oder
Drautal (P
OLATSCHEK
2000). Sie werden er-
gänzt durch die vereinzelt angepflanzte Rot-
eiche
(Quercus rubra).
Bei Fehlen des Zwi-
schenwirts kommt es nur zu ungeschlecht-
lichen Generationen (nur Weibchen), bekannt
bei einigen anderen Gallwespen-Arten.
Im Jahre 2008 wurde die Knoppern-Wespe
(Knoppern heißen die „Galläpfel an grünen
Eichelkelchen“, laut Duden) nicht nur in
Osttirol sondern sehr zahlreich auch in Kärn-
ten (Millstatt, persönliche Mitteilung Dr.
Hellrigl, Brixen) und in Südkärnten (Mit-
teilung Dr. H. Zwander, Wurdach) und in
Salzburg (Mitteilung Dr. W. Schedl, Inns-
bruck) gefunden. Daher ist weiterhin mit
diesen Gallbildungen nur durch Weibchen zu
rechnen. Beobachtungen dazu sind wegen
der Ausbreitung dieser offenbar neu einge-
wanderten Art sehr willkommen. – In der
Kleinen Zeitung findet sich dazu ein erster
Bericht vom 9.8.2008 (22): „Rätsel um gift-
grüne Eicheln. Wespe verursacht ungewöhn-
liche Wucherungen an heimischem Baum“.
Zur genaueren Abklärung des Genera-
tions- bzw. Wirtswechsels wurde wegen des
Fehlens der Zerreiche in allen drei genannten
Ländern eine Anfrage an den Spezialisten
dieser Wespen-Familie Hr. E. Kwast im Nie-
derlausitzer Heidemuseum, Schloss Sprem-
berg, gerichtet. In einem ausführlichen
Schreiben vom 12.1.2009 ergab sich kurz-
gefasst folgender Sachverhalt:
Ihre Vermutung liegt nahe, dass beim Feh-
len des Zwischenwirtes eine parthenogeneti-
sche, ungeschlechtliche Generation vor-
kommt. Dazu liegt ein Beitrag von Weidner
(1960) bei. Dort wird die nur ungeschlecht-
liche Generation dieser Gallwespe zwar
nicht dezidiert ausgeschlossen, aber auch
nicht bestätigt. Es gibt Fälle, wo man die zu-
gehörige Eiche erst später oder weit entfernt
Alois Kofler
Neue Eichen-Gallwespe in Lienz
Knopperngallwespe: Schloss Bruck.
Foto: Alois Kofler
Blatt- und Fruchtformen einheimischer
Eichenarten: Stieleiche (unten), Trauben-
eiche (oben) (Unterschied: Blattbasis);
(Schiechtl & Gärtner 2000).
Blatt- und Fruchtformen: Roteiche (impor-
tiert) rechts – Zerreiche: Fruchtbecher!
links; (Raff et al. 1990).