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OSTTIROLER
NUMMER 12/2010
4
HEIMATBLÄTTER
Bildebenen Inhalt und Emotion verein-
baren. Abgesehen von seinen grafschen
Blättern, die als mehrfärbige Ätz- oder
Kaltnadelradierungen ganz eindeutig dem
zeichnerischen Duktus verhaftet sind,
existiert auf seinen gemalten Bildoberfä-
chen keine Homogenität im Sinn von ein-
heitlicher Textur, denn collagierte Areale
wechseln sich zwar ab mit grafsch einge-
fassten Farbmodulen, variieren jedoch in
ihrer Farb- und Dichteintensität und wer-
den schließlich durch besagte Übermalun-
gen weiter moduliert. Infolgedessen be-
stimmt jede Schicht einer konstruierten
Bildebene die Relativierung des rein
zweidimensionalen Charakters seiner
Bildarbeiten. Die Wahl der Kolorierung ist
eine fast ausschließlich impulsiv gesteuerte
Aktion des Malers, die genauso wie der
eigentliche Malakt fuktuierend erfolgt und
im Spannungsbereich desselbigen liegt:
immerhin können vehement farbintensive
Schichten ausgesprochen zurückgenom-
menen und erdigen bis weißen Farbtönun-
gen unterlagert werden, ohne dabei unbe-
dingt als „Notationen“ wieder aufzu-
brechen.
Linie und Schrift
Nicht nur der Titel der Arbeit fasst den
Inhalt in ein gewisses Gefüge, auch die
wiederholt erkennbare grafsche Einfas-
sung oder eine starke farbakzentuierte
Konturierung verhindert ein Ausfießen
über den imaginären Rand hinaus. Der
englische Maler und Illustrator Walter
Crane (1845 bis 1915) schrieb 1900 zum
Thema Linie unter anderem
, „… daß die
Linie nicht allein imstande ist, in der Natur
Gegebenes darzustellen und in seiner
Eigenart festzuhalten, sondern auch die
Vorstellung von Bewegung und Kraft, von
Tätigkeit und Ruhe erwecken und nicht
minder zu unserem Empfnden und Denken
durch gewisse Abänderungen (…) in ihrer
Richtung (…) sprechen kann.“
8
Die Linienstruktur bzw. der lineare An-
teil, den wir in den Bildwerken entdecken
können, wird vom Zeichner Michael
Unterluggauer demnach nicht nur in einem
auszumachenden Grenzbereich seiner
malerischen Konstruktionen paraphra-
siert, sondern beansprucht den Stellenwert
als begleitende Attitüde für Form, Gestalt
und Inhalt im Bild. Der Linie folgt die
Schrift im Bild. Man stellt sich nun un-
weigerlich die Frage nach dem Inhalt der
Textpassagen, Schriftzeichen, Signets oder
zum Teil überarbeiteten Wortchiffren: Ist
es Text, Poesie oder Grafk? Unsere
Adaptionsbereitschaft für Schriftliches ist
stetig darum bemüht, Inhalte auszu-
machen, zu interpretieren und damit ein-
hergehend, mit dem Verständnis die Sinn-
haftigkeit zu entdecken. Siegfried
J. Schmidt schreibt zum Thema „Sehen
oder Lesen“ 1990 in einem Aufsatz tref-
fend:
„Entgegen unserer Alltagsintuition
entnehmen wir Texten nicht etwa Bedeu-
tungen, sondern wir ordnen ihnen Bedeu-
tungen zu. Wir konstruieren Bedeutungen
lesend im Kopf …“
, und weiter
„Erwar-
tungen, Gefühle, Dispositionen, Wissen und
Werte beeinfussen diesen höchst komple-
xen und bis heute fast undurchschauten
Prozess der Bedeutungskonstruktion aus
Anlass der Wahrnehmung eines Textes …“
9
Die Bedeutung des Bausteines Text im
Bild ist offensichtlich, nur werden wir
nicht unbedingt die Aufösung erfahren,
denn
Text
kann bei Michael Unterluggauer
je nach seinem Zugeständnis inhaltlich
preisgegeben oder eben einem schriftlich
notierten Gedankensprung gleich, imVer-
borgenen behalten werden. In der Aus-
richtung können auch die Frage und die
Suche nach poetisch motivierten Kürzeln
berechtigt sein, die durchaus einfießen,
um wieder lavierend zu verblassen.
Jedenfalls werden wir mit der Intensität
der Auseinandersetzung mit den Bildwer-
ken von Michael Unterluggauer in ein
spannungsreiches Gerüst mit aufgenom-
men, das je nach eigener Stimmungssitua-
tion auch gedeutet, interpretiert oder viel-
leicht nur in ihrer Farbigkeit verstanden
werden möchte – fest steht nur, dass man
sich, wie erwähnt, situationsbedingt dazu
entscheiden kann und vermutlich damit
ganz im Sinn der Lebensentscheidung des
Malers d‘accord geht!
Anmerkungen:
1 Conrad Fiedler, Über die Beurteilung von Werken der
bildenden Kunst, 1876, in: Schriften über Kunst, Hans
Marbach (Hg.), Leipzig 1896, Seite 1-79, S. 3.
2 Ebenda, S. 4.
3 Zitiert in: Eleonora Bliem-Scolari, Michael Unterlug-
gauer: Mit der Kraft der Intuition, in: Vernissage, das
Magazin für aktuelles Ausstellungsgeschehen, Nr. 245,
Jg. 25, Juni 2005, S. 72-77, S. 74.
4 Hans Belting, Das Werk im Kontext, in: Kunstge-
schichte. Eine Einführung, Hans Belting, Heinrich Dilly
u.a. (Hg.), Berlin
5
1996, S. 223-240, S. 224.
5 Vgl. Anm. 3, S. 76.
6 Michael Unterluggauer in einem Gespräch mit der Au-
torin im Oktober 2010.
7 Conrad Fiedler, Der Ursprung der Künstlerischen Thä-
tigkeit, 1887, in: Schriften über Kunst, Hans Marbach
(Hg.), Leipzig 1896, S. 183-367, S. 201 f.
8 Walter Crane, Linie und Form, Hermann Seemann (Hg.),
dt. Übersetzung Paul Seliger, Leipzig o. J., S. 24.
9 Siegfried J. Schmidt, Sehen oder Lesen? Vom Umgang
mit Texten, die keine Bilder sind, und umgekehrt, in:
Kunst und Sprache. Beiträge des Heinz-Gappmayr-Sym-
posions 1990, Günther Dankl, Andreas Hapkemeyer
(Hgg.), Innsbruck 1990, S. 38-44, S. 39.
Sämtliches Bildmaterial: Eleonora
Bliem-Scolari
2004: „Vermählung“, 120 x 80 cm, Acryl
auf Leinen.
2003: „Let‘s stand together“, 30 x 40 cm, Acryl, Mischtechnik auf Leinen.
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzi-
nini. Für den Inhalt der Beiträge sind die
Autoren verantwortlich.
Anschrift der Autorin dieser Nummer:
Mag. phil. Eleonora Bliem-Scolari, A-6020
Innsbruck, Dr.-Stumpf-Straße 45a; E-Mail:
el.bliem-scolari@gmx.at.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimat-
blätter“ sind einzusenden an die Redaktion
des „Osttiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad
Pizzinini, A-6176 Völs, Albertistraße 2 a.