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OSTTIROLER
NUMMER 7/2010
2
HEIMATBLÄTTER
Felsuntergrund aus, er transpor-
tierte Steine und Sand talwärts,
an seiner „Stirn“ bildete sich
ein Möränenwall. Nachdem der
Gletscher allmählich abge-
schmolzen war, entstand hinter
dieser natürlichen „Mauer“ ein
See. Die Frostverwitterung ging
aber weiter, das Seebecken
füllte sich allmählich mit fei-
nem und grobem Geröll und
trocknete aus. – Die Eiszeit
fand vor zirka 14.000 Jahren ihr
Ende, so war etwa das Mittelge-
birge um Innsbruck vor 13.000
Jahren eisfrei. Bereits vor ca.
10.000 Jahren waren die Glet-
scher der Ostalpen auf die neu-
zeitliche Größe geschmolzen.
2
Zeiträume, die unsere Vorstel-
lungskraft bei weitem überfor-
dern.
Auf dem Blatt X/1 des „Atlas
Tyrolensis“ von Peter Anich und
Blasius Hueber (1774) stieß der
Verfasser im Juli 2002 zufällig
auf
Soyet B
. = Berg, wohl der
älteste Hinweis auf Sajat. In die-
ser Tirol-Karte ist auf Sajat kein
See mehr eingezeichnet. Für die
ersten Menschen, die hier herauf
kamen, war aber sicher der Kar-
see das markante Merkmal, das
der Örtlichkeit den Namen gab.
Die Nachsilben -
et
oder -
at
in
Soyet
oder Sajat bezeichnen einen Platz. –
Soyet
oder Sajat ist also sehr wahrschein-
lich eine Örtlichkeit mit einem See (wir
können ja die Vorfahren der „Prädinga“
nicht befragen). Der Vergleich mit dem
oberbayrischen
Soien
liegt nahe, das aus
dem alten deutschen Wort (8. Jh.)
seo
,
sewes
„See“ , gotisch
saiws
, abzuleiten ist
3
– es taucht im Namen der seenreichen Soi-
erngruppe im Karwendel auf – nordöstlich
von Mittenwald (in altem Deutsch
zè sêwe
„beim See“, bei den „Sewern“ oder
„Suiern“). Dieses
Soien
ist ebenso bei Fin-
kenberg (Zillertal) im Flurnamen
Soiling
anzutreffen, 1607
Seoling
geschrieben; im
Zillertal und in Tux heißt der See
s
ą
ije
, Ver-
kleinerungsform
s
ą
ijal
.
4
Nun, wie ist
Soien
aus Oberbayern über das Zillertal ins Prä-
graten gelangt? – Die ersten bairischen
Siedler werden wohl nicht über den Felber-
tauern aus dem Pinzgau ins hintere Virgen-
tal gelangt sein, sondern entweder aus dem
Zillertal über die Hundskehle oder das Hei-
lig-Geist-Jöchl oder aus dem Oberpinzgau
über den Krimmler Tauern in die Prettau
(Ahrntal) und von dort über das Vordere
Umbaltörl ins Tal der Isel.
In der Umgebung von Sajat hinterließen
Baiern beispielsweise diese Namen: Im
„Atlas Tyrolensis“ steht Wunwand B. (=
Berg), in altem Deutsch (9. Jh.)
winna
„Weideland“, umgewandelt in
wunna
. Der
Name ist also von der „Wun“ (Wunalm)
auf die gleichnamige Wand und Spitze hin-
aufgerutscht (irgendwann war
wunna
nicht mehr geläufig – und an den Begriff
für „Weideland“ wurde zum Verständnis
Alm darangehängt). Notabene: Für „Wun“
kann auch ein slawischer Begriff Pate ge-
standen sein. Im Slowenischen bedeutet
volna,
gesprochen
w(o)una
, „Wolle“ (spe-
ziell „Schafwolle“). Wunalm oder
„W(o)una“-Alm könnte auch „Schafalm“
heißen.
5
Josef Schatz, der „Vater der Tiroler
Mundartforschung“, erwähnte für die Ge-
gend von Imst den Geländenamen „Nelle“,
abgeleitet vom alten Deutsch
hnel
„Hinter-
haupt“, später
nël
„Spitze, Scheitel“. Ob
hier beim Großen und Kleinen-Nilltal (AV-
Karte) ein Lautwandel von e zu i stattgefun-
den hat? – Der Begriff passt gut zu diesem
Berg (Säulspitz, 3.137 m, in der Tirolkarte
von 1774
Groß Nill Kogl B.
). Der Name ist
dann zur Alm, zum Bach und Joch und zu
den beiden Tälern heruntergerutscht, beim
benachbarten „Wun“ ging es umgekehrt
vonstatten.
6
„Rote Saile“ heißt das säulen-
förmige Felsgebilde, das im Nordwesten
der Sajathütte aufragt – in altem Deutsch
sûl
oder
siule
„Pfosten, Pfeiler, Stütze“, mund-
artlich
saul
oder
saile
.
7
Die Beifügung „rot“
bezieht sich auf kupferhältiges Gestein im
Kar oberhalb von Sajat. Die älteste Kunde
von einem Erzbergbau im benachbarten
Frosnitztal stammt aus dem Jahr 1518, er
erlosch etwa um 1650. (Der Talname leitet
sich von slowenisch
brusniki
,
brusnina
„Geröll aus harten Steinen“ her, zu
brus
„Wetzstein“. – Jeder harte Stein, der zum
Wetzen geeignet ist, braucht einen gewiss-
sen Quarzanteil.)
8
Während dieser Zeit-
spanne dürfte auch hier auf Kupfer ge-
schürft worden sein, ein Knappenloch ober-
halb der Hütte erinnert daran.
Älter sind slawische Namen in der
Gegend. Prägraten, als „Pregrad“ 1162
erstmals genannt, bedeutet „vor der Burg“
(
pre
„vor“, altslawisch
grad
„Burg, Stadt, Garten“). Auf
dem „Bichl“ befand sich dort,
wo heute die Hl. Geist-Kapelle
(„gebaut 1752“) steht, ein Stück
taleinwärts gelegen, ein Ring-
wall, dessen Reste noch zu er-
kennen sind (Pizzinini 1974).
9
Die häufigen Bachnamen
Zop-
sen
,
Zopenitz
und
Zopatnitzen
leiten sich vom slawischen
zo-
pot
ъ
mit der eigentlichen Be-
deutung „Rauschen fließenden
Wassers“ her, slowenisch
sopòt
(in der Tirolkarte von 1774
Zopel Ba
.,
Zopetnitz Ba
.).
10
Das slowenische
debèr
„Klamm, Schlucht“ hat sich im
Dabertal (Daberspitz, Daber-
lenke) erhalten, aber auch im
Begriff „Dabernitze“, der in
Schluchtwäldern wie im
Umbaltal wachsenden Alpen-
Johannisbeere,
Ribes alpinum
.
11
Im Lauf der Völkerwanderung
hatte sich Rom aus seiner Al-
penprovinz
Noricum
zurückge-
zogen. Im Gebiet von Kärnten
und Osttirol kam es gegen Ende
des 6. Jhs. zu ersten Kämpfen
zwischen Baiern (Bajuwaren)
und Slowenen (Karantanen).
Die Baiern wurden um 610 bei
Aguntum
besiegt, die Slowenen
stießen nach und drangen bis
zumAlpenhauptkamm vor. Sie besiedelten
das Lienzer Talbecken und die Iselregion,
sie ließen sich neben „Ureinwohnern“ und
Kelten nieder und betrieben so wie diese
Viehzucht.
12
In Kals z. B. lebten Slawen mit
diesen romanisierten Einheimischen zu-
sammen; die Namenkunde beweist, dass
die Ansässigen und die Zugewanderten ne-
beneinander gehaust und gewirtschaftet
haben. Von zwölf Siedlungsnamen sind
fünf slawischer Herkunft, gegenüber vier
mit romanischen und drei mit deutschen
Wurzeln. Nur so ist das „Überleben“ roma-
nischer und slawischer Namen bis in die
bairische Zeit zu erklären. Erst ab dem
9./10. Jh. begann die starke „Landnahme“
bairischer Bauern im heutigen Osttirol
(bajuwarisch-fränkische Kolonisation).
Namenforscher meinen, dass in Kals die
deutsche Sprache erst im 13. Jh. die Ober-
hand gewonnen hat.
13
Die Römer hatten die Kelten, die „um die
Drau“ (lateinisch
Dravus
) siedelten,
Ambi-
dravi
genannt, die an der oberen Salzach (la-
teinisch
Isonta
)
Ambisontes
- lateinisch
ambi
„beidseits, ringsum“. Apropos: In den alten
Gewässernamen
Isonta
und
Isala
(urkund-
lich 1065
Isala regio
„Gegend oder Tal
Isel“) steckt der indoeuropäische Begriff
i(dh)s
„kalt“ – eine treffende Bezeichnung:
beide „eiskalten“ werden von Gletschern der
Hohen Tauern gespeist. – Im 3. Jh. v. Chr.
waren Kelten von der Donau her ins heutige
Kärnten eingedrungen, wohl um 100 v. Chr.
gewannen sie im heutigen Osttirol die Ober-
hand. Keltische Stämme schlossen sich vor
170 v. Chr. zum
regnum Noricum
zusam-
men, das dann 16/15 v. Chr. friedlich in die
Herrschaft Roms eingebunden wurde (das
norische „Reich“ kontrollierte wichtige
Handelswege – und war reich mit Boden-
schätzen ausgestattet). Die
Ambidravi
wur-
Von Sajat begeistert (Ende Juli 1982):
Dr. Heinz Fischer, damals Präsident der
Naturfreunde Österreich und Klub-
obmann der SPÖ im Parlament, mit Frau
Margit und den Kindern Philipp und Lisa.
Foto: Friedl Kratzer