GZ_Kals_2020_09

96  FODN - 75/02/2020 FODN - 75/02/2020   97 EPILOG Von Vroni Riepler A uch in meiner Kindheit (und das stellt eine Besonderheit dieses Epi- logs dar: ich mache diesmal keine Plä- ne, keine Vorsätze, keine Vorhaben, nix dergleichen. Ich schwelge nur in Erinnerung, die- ses Jahr hat mich gelehrt, dass die Ver- gangenheit noch viel schöner und heiler ist, als wir ohnehin immer geglaubt ha- ben!) -also zurück zur Kindheit- da gab es auch noch Situationen in denen Pro- bleme einfach von allein verschwanden; zum Beispiel auf dem Schoß meines Vaters oder im Spiel mit der Cousine, in dem wir blitzartig aus dem Hoch- deutsch umdisponierten in unsere breite Mundart und jede Handlung anpassten mit Zwischensätzen wie „Sog ma, mia tatatn reich sein und mir tatatn oba nett sein ah“ , um nach diesen kurzen An- passungen wieder in unsere eigentliche Rolle zurück zu schlüpfen (in der wir übrigens meistens reich waren, wenn- gleich wir nicht einmal wussten worin sich das zu äußern hätte). Für mich bedeutete reich zu sein zur damaligen Zeit, dass man sich an jedem beliebigen Tag würde Extrawurst leis- ten können-dünn geschnitten aus der Feinkostabteilung- nicht nur als Stange oder Kranzlwurst. Das kam daher, dass ich damals nur ein einziges Geschäft mit Feinkostabteilung kannte und mei- ne Mutter behauptete, wer ständig in diesem einkaufen könne, müsste ja ei- nen „Geldscheißer“ besitzen. Und wir hätten aber keinen. Was das sein sollte, wusste ich natürlich auch nicht, aber ich stellte mir so eine Art Wurlitzer vor mit „Münzauswurf“ anstatt umgekehrt. Einer der ersten Sätze aus meiner Kindheit, an die ich mich auch erinne- re -neben „Du bleibst daheim!“ ; „Du sitzt hinten“; „Mit diesem Fetzen (ge- meint war damit ein modisches, textiles Accessoire -und nicht was man in Kals darunter versteht) gehst du aber nicht in die Kirche“ ; war nebst diversen anderen freiheitsberaubenden Aufforderungen der markante Satz: „Mach dich nütz- lich!“ Und dieser Befehl war ungefähr so klar und verständlich für mich, wie ei- ner in dem man von mir verlangt hätte, mich unsichtbar zu machen! Wie sollte ich mich denn in einen „Nützling“ ver- wandeln?- von denen hatte ich zwar im Sachunterricht gehört, aber ich brachte es eher mit Regenwürmern und ande- ren dort genannten Geschöpfen in Ver- bindung und es war mir unmöglich zu begreifen warum ich denn das eine Mal ich sein durfte und das andere Mal soll- te ich nützlich auch noch sein. Und wieder war der erste Lösungsan- satz erstmal abzuwarten, was passieren würde, wenn ich mich einfach nicht gleich in die Aufgabe des nützlich-seins stürzte. Aber das war am Ende meist auch nicht nützlich, weil es mir nichts nützte… Es hatte lediglich zur Folge das die Aufforderung etwas präziser formuliert wurde und zuletzt war ei- nes glasklar: Nützlich sein hatte defini- tiv was mit Arbeit zu tun! Warum die einen das nicht gleich sagten! Aber so sind die Erwachsenen; aus Feldstudien mit meinem eigenen Kind kann ich aber mein damaliges Verhalten durchaus wissenschaftlich erklären, wobei hier- bei (und das hätten wir uns früher ja nii- ie getraut) noch ein weiteres Phänomen auftritt: Der blanke Unwille, sich über- haupt nützlich zu machen! (Gut; das ist auch nicht ganz neu.) Aber das: Diesen Unwillen lautstark kund zu tun! Tja und gerade wenn man kontern will, kommt ernüchternd noch die kluge Gegenfrage, warum ich es denn nicht selber täte… Mein schlaues Kind scheint nämlich eines jetzt schon geknissen zu haben, wofür ich bis circa in die Mittzwanzi- ger gebraucht habe; Einer MUSS es ma- chen, es geht nicht von alleine weg- das tut es nie. Zumindest das nicht, was ich unter „nützlich“ verstehe. Übrigens, das ist mir auch im Zuge meiner geistigen Recherche zu diesem Begriff aufgefallen: Unter nützlich ver- steht bald jeder etwas anderes! Aber auffallend ist eine gewisse Ambiva- lenz in der Wechselwirkung zwischen „Grad der Nützlichkeit“ und „Bereit- schaft zur Tat“- sprich, fast jeder Zwei- jährige hilft gerne beim Geschirrspüler ausräumen und erweist sich dabei aber nicht als sonderlich nützlich, wenn man nicht aus Pappgeschirr essen will. Um- gekehrt wäre die Hilfe eines 12- Jähri- gen in diesem Fall sehr wohl von Nut- zen, jedoch hapert es gelegentlich an der Bereitschaft dazu. Das heißt mit zu- nehmendem Alter entsteht ein gewisser „Reibungsverlust der Begeisterung“ – da wird dann die Verklärung der Kindheit hinweg gespült und alles was man nun muss, macht bei weitem nicht mehr so viel Spaß wie früher im Spiel. (Vage er- innere ich mich, dass wir im Kindergar- tenalter sogar „Firma“ gespielt haben… das zu „Verklärung der Kindheit“) In diesem Zusammenhang wurde mir dann auch bewusst, dass die Grenze von „nützlich“ zu „notwendig“ oft flie- ßend ist. Wenn sich beispielsweise mei- ne Mitbewohner nicht nützlich gemacht und den Geschirrspüler ausgeräumt ha- ben, dann wird es für mich irgendwann dringend notwendig es selber zu tun- (strg.einf. wenn man nicht aus Pappge- schirr essen will  ). Also ich sehe es so: nützlich sein heißt, etwas zu tun, wenn man noch der Meinung ist, dass man es aus der Überzeugung der Pflicht vorge- griffen zu haben tut. UND, nützlich sein geht leichter mit Aussicht auf Beloh- nung! Das hat immer schon funktioniert und es funktioniert auch noch heute. Die Währung ist nur anders geworden. Extrawurst (dünn geschnitten aus der Feinkostabteilung) zieht heute nicht mehr; die war nur im Schilling-Zeitalter angesagt. Aber auf die erste selbstver- diente Kohle ist auch meine kleine Hel- ferin fürwahr stolz. Und ich sage dann: „Gib es halt we- nigstens für was Nützliches aus…“ Epilog Herbst 2020. Es wird Herbst und dieses sonderbare Jahr schwächelt so dem Ende entgegen und wir freuen uns alle, dass es ja wieder alles gut wird, wenn erst dieses Jahr vorbei ist. So zumindest die Illusion, der man sich gern hingibt, wenn etwas schwierig ist; quasi die Lösung durchs Abwarten. Aussitzen- in der Fachsprache. Und dieser Lösungsansatz kommt ja nicht von ungefähr, in der Geschichte bewies sich immer wieder, dass das ja auch mitunter funktioniert. Reibungsverlust der Begeisterung

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