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8 OBERLIENZerlesen

Der Substanzverwalter im Interview

Chance oder Risiko?

Die Agrargemeinschaft unter der Verwaltung

der Gemeinde.

Markus Stotter: Aus welchem

Grund wurde die Oberlienzer

Agrargemeinschaft in eine Ge-

meindegutsagrargemeinschaft

(GG-AG) umgewandelt?

Gerhard Wibmer:

Die Agrar­

gemeinschaft Oberlienz wurde

von der Agrarbehörde per Be-

scheid von einer typischen Agrar-

gemeinschaft in eine atypische

Gemeindegutsagrargemeinschaft

umgewandelt. Es wurde festge-

stellt, dass die Grundstücke der

Agrargemeinschaft Gemeindegut

darstellen.

Wie war die Agrargemeinschaft

bis zur Umwandlung

organisiert?

Der Agrargemeinschaft gehören

nach dem Stand vom Jahre 1996

insgesamt 44 Mitglieder sowie die

Gemeinde Oberlienz mit einem

37- prozentigen Anteil an. Mit

Ausnahme des 37-prozentigen

Anteils der Gemeinde Oberlienz

(walzendes Recht) sind alle Rech-

te der Mitglieder an die jeweilige

Stammsitzliegenschaft gebunden.

Mit dem Recht auf Bezug von

Brenn- und Nutzholz, wo auch

immer von den Nutzungsberech-

tigten ein Bedarf nachgewiesen

werden musste, waren jedoch

auch sehr viele Pflichten verbun-

den. Alle Mitglieder, mit Aus-

nahme der Gemeinde Oberlienz,

mussten kostenlose Arbeits-

schichten je nach Höhe ihrer

Anteilsrechte leisten, wodurch

eine äußerst günstige Bewirt-

schaftung möglich war. Auch

wurde den Mitgliedern der

Agrargemeinschaft die Verpflich-

tung auferlegt, alljährlich das

Schul- und Widumholz kostenlos

zu Verfügung zu stellen oder in

Geldwert abzulösen. Von dieser

Verpflichtung war der 37-pro-

zentige Anteil der Gemeinde

ausgenommen. Weiters war die

Agrargemeinschaft dazu ver-

pflichtet, die Bringungsanlagen

(Forstwege für den Transport des

Holzes) zu erhalten, deren Aus-

maß ungefähr eine Wegstrecke

von Oberlienz nach Matrei um-

fasst und zu denen auch alle Feld-

wege, die sich im Eigentum der

Gemeinde Oberlienz befinden, zu

zählen sind. Allein für diese Ver-

pflichtungen müssen im heurigen

Jahr über 40.000 Euro aufgewen-

det werden.

Welche Änderungen ergeben

sich aus heutiger Sicht durch

die Umwandlung von der

seinerzeitigen Agrargemein-

schaft zur Gemeindeguts­

agrargemeinschaft für die

Gemeinde aber auch für die

nutzungsberechtigten land-

wirtschaftlichen Betriebe?

Der Vorteil für die Gemeinde

liegt meiner Meinung nach ein-

zig und allein darin, dass nach

Prüfung der im Tiroler Flurver-

fassungsgesetz festgelegten Vor-

aussetzungen die Möglichkeit

besteht, die Agrarflächen im

Ortsteil Tratte, die sich im Besitz

der GG-Agrargemeinschaft befin-

den, zum Zwecke einer Betriebs-

ansiedlung verfügbar zu machen.

Dem gegenüber stehen eine Reihe

von Nachteilen, die unsere Ge-

meinde in Kauf nehmen muss.

Vor der Umwandlung war die

Erhaltung der Weganlagen, Holz­

schlägerung, Wiederaufforstung,

Aussicheln und Pflege des Jung-

waldes, Pflege des Schutzwaldes,

Maßnahmen gegen den Befall

von Käfern und anderen Schäd-

lingen, aber auch die Abrechnung

mit Schlägerungs- und Säge-

werkunternehmen, Finanzamt,

Krankenkasse, Steuerberater usw.

ausschließlich und alleinige Ver-

pflichtung der Agrargemein-

schaft. Heute sind all diese Ver-

pflichtungen fast ausnahmslos

Angelegenheit der Gemeinde,

vertreten durch den Substanzver-

walter der dem Willen des Ge-

meinderates nachkommen muss.

Die nutzungsberechtigten Agrar-

gemeinschaftsmitglieder haben,

außer einem vom Land festgeleg-

ten Bewirtschaftungsbeitrag von

3,70 Euro pro bezogenem Fest-

meter Brenn- oder Nutzholz,

keinerlei Verpflichtungen mehr.

Das unternehmerische Risiko

wurde auf die Gemeinde abge-

wälzt. Deshalb habe ich in einem

Schreiben an den Oberlienzer

Gemeinderat auf das enorme

finanzielle Risiko der Gemeinde

bei Eintritt eines größeren

Schadenereignisses hingewiesen,

da jeder Schaden aus dem Über-

Gerhard Wibmer,

Substanzverwalter