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kamen noch Requirierungen durch die

eigene Armee.

Dabei hatte Assling noch Glück im

Unglück: Ein Schlachtfeld hätte es wer-

den können! Das Standschützenbataillon

Lienz, in welchem auch die Asslinger

Standschützen unter ihrem Leutnant

Simon Lukasser eingereiht waren, hatte

in diesen Maitagen vor 100 Jahren die

Aufgabe erhalten, auf der Linie von

Bösem Weibele – Hochstein – Bannberg

– Mortbühel – Karmelitergraben eine

Verteidigungslinie anzulegen.

Diese zweite Verteidigungslinie sollte

dazu dienen, den italienischen Feind

aufzuhalten, wenn er am Karnischen

Kamm oder in den Sextner Dolomiten

durchbrechen sollte. Wer heute dort

durch den Wald wandert, trifft, wenn er

aufmerksam ist, auf stumme Zeugen die-

ses Vorhabens: Stacheldrähte und

Schützengräben schlängeln sich über

den Hang hinunter ins Tal. Die erst Ver-

teidigungslinie hielt Gott sei Dank und

Assling blieb damit vor der Verwüstung

verschont.

Der Erste Weltkrieg wird von Historike-

rinnen und Historikern als „Urkatastro-

phe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet, da

sich viele der folgenden Ereignisse

direkt oder indirekt auf diesen

zurückführen ließen. Bei den

Friedensverhandlungen in Ver-

sailles und St. Germain

(1919/20) wurde die Chance

verpasst die Grundlagen für ein

Europa zu schaffen, das dauer-

haft stabil sein konnte. Die poli-

tische Landkarte des Kontinents

änderte sich radikal.

Das Jahr 2015 bringt aber wei-

tere Gedenktag an tragische

geschichtliche Geschehnisse

des vergangenen Jahrhunderts:

1939 sollte Hitler-Deutschland

den Kontinent in einen weiteren

Weltkrieg stürzen. Wieder mus-

sten viele Dutzende Asslinger in

den Krieg ziehen. Wer heute bei

der Pfarrkirche Assling der

Friedhofsmauer entlang spa-

ziert, kann einige der Männer

kennen lernen, die ihre Familien verlas-

sen mussten, um auf Schlachtfeldern in

ganz Europa zu sterben.

Anfang Mai jährte sich das Kriegsende

von 1945 zum 70. Mal. Damit endete die

Herrschaft des NS-Regimes über Öster-

reich. Für seine Söhne, die noch quer

über den Kontinent verstreut in Wehr-

machtsuniformen steckten, war der

Krieg freilich noch nicht vorbei. Mitun-

ter dauerte es noch Jahre bis sie aus der

Kriegsgefangenschaft in die Heimat

zurückkehren konnten.

Für die darauf folgenden zehn Jahre

blieb unser Land besetzt, ehe am 15. Mai

1955 der Staatsvertrag unterzeichnet

wurde und Österreich als unabhängiger

und demokratischer Staat wiederherge-

stellt worden war.

Endgültig verschwanden die „Geister

des Krieges“ vor 20 Jahren, als Öster-

reich 1995 der Europäischen Union bei-

trat. Durch die EU-Osterweiterung

wurde aus unserem Land, das lange ein

Staat am Rande Europas gewesen war,

eines, das jetzt mitten im Herzen des

Kontinenten liegt. Die Grenzen ver-

schwanden und verloren ihre Bedeu-

tung.

Heute blicken

wir auf die

Ge s c h e h n i s s e

vor 60 Jahren

zurück. Das ist

ein

großer

Abstand und so

ein Abstand zeigt aber auch immer, dass

Geschichte nichts Starres ist, sondern

sehr lebendig.

Die Betrachtung des Staatsvertrages hat

sich über die Jahre mit neuen Be- und

Erkenntnissen verändert.

Frei von Schuld zu sein, heißt nicht frei

von Verantwortung zu sein. So hat es die

Schriftstellerin Christine Nöstlinger

kürzlich formuliert u. sie hat damit auch

einen Auftrag für meine, für unsere und

auch für kommende Generationen for-

muliert. Wir können, wir dürfen, wir

müssen aber auch hinschauen und wir

müssen überall hinschauen.

Auch dorthin, wo es für die Generation

unserer Eltern und Großeltern vielleicht

vielfach zu nah, zu verworren, zu

schwierig und vielfach auch zu schmerz-

lich war.

Es ist gesagt worden, dass wir aus der

Geschichte lernen sollen. Der große

österreichische Psychiater Erwin Ringel

hat in seinem Werk „Die österreichische

Seele“ auch darüber geschrieben, was

wir aus den Geschehnissen mit Abstand

zu den Geschehnissen lernen können.

Er nennt an allererster Stelle den Begriff

der Solidarität. Solidarität als ein fürein-

ander Verantwortung tragen, sich fürein-

ander verantwortlich fühlen. Und er

schreibt, dass man diese Solidarität ler-

nen und auch immer wieder üben muss.

Deshalb richtet er seinen Appell an alle,

der Menschenbildung, der Entwicklung

der Persönlichkeit ganz große Beach-

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07/2015

Fortsetzung Seite 5

Fortsetzung von Seite 1: Gedenkfeier