BLICK
Ein
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Aus der Gemeindestube
salve ab. ImAnschluss an die Gedenkfeier lud
die Marktgemeinde Sillian zu einer Agape ein.
Rede von Bgm. Erwin Schiffmann
„Sehr geehrte Damen und Herren!
Jedes Jahr gedenken wir auf den Krieger-
friedhöfen der Opfer von Krieg und Gewalt-
herrschaft. Kriege, die Teil unserer Geschichte
sind und das persönliche Schicksal unserer
Eltern und Großeltern bestimmten. Diese Fei-
ern haben an Aktualität nichts verloren, wenn
man die politische Situation in und um Europa
betrachtet.
Blicken wir in die Vergangenheit.
2014 jährte sich der Ausbruch des Ersten
Weltkriegs zum 100. Mal, 2015 liegt das
Ende des Zweiten Weltkriegs 70 Jahre zu-
rück. Diese Jubiläen fanden in zahlreichen
Gedenkveranstaltungen ihren Niederschlag
und führten zu einer intensiven Auseinan-
dersetzung mit unserer Vergangenheit. Ein
Anknüpfungspunkt für diese Thematik sind
auch die Gräber auf den Soldatenfriedhöfen
wie diesem hier in Arnbach, denn schon der
deutsche Dichter Heinrich Heine meinte in ei-
nem Zitat "Unter jedem Grabstein liegt eine
Weltgeschichte"!
Diese Gräber von Soldaten aus dem Ersten
Weltkrieg sind Folgen eines Krieges, der
durch übersteigertenNationalismus, wirt-
schaftliche Rivalität und eine fatale Bündnis-
politik der Großmächte herbeigeführt wurde
- es sind die Folgen übersteigerter Machtan-
sprüche und politischer Fehlentscheidungen.
Das Attentat von Sarajewo wurde zum Fun-
ken, der zunächst eine Konfrontation zwi-
schen dem Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn
und dem Königreich Serbien auslöste, auf
ganz Europa übergriff und in einem Weltkrieg
mit 32 beteiligten Nationen gipfelte. Den Tri-
but dafür zahlten die Menschen der einzelnen
Völker, ein Tribut, bezahlt in furchtbarer Wäh-
rung -zehn Millionen Menschenleben.
In den Friedensverhandlungen nach dem
Ersten Weltkrieg wurde durch umstrittene
Entscheidungen bereits der Keim für den
nächsten Krieg gelegt. Verletzter Stolz, die
schlechte wirtschaftliche Lage und eine
geistige Krise ließen die Menschen erneut auf
den Zug des übersteigerten Nationalismus
aufspringen, der wieder geradewegs in ei-
nem Krieg mündete, dem Zweiten Weltkrieg.
Mehr als 50 Millionen Tote - diese Bilanz lässt
uns mit Grauen auf diesen furchtbaren Teil
unsere Geschichte zurückblicken.
Wir gedenken heute der Opfer von Krieg
und Gewalt, der Soldaten, die in den beiden
Weltkriegen gefallen, ihren Verwundungen
erlegen, in Gefangenschaft gestorben oder
seither vermisst sind, der Männer, Frauen und
Kinder aller Völker, die durch Kriegshandlun-
gen ihr Leben lassen mussten.
Wir erinnern uns der Gefangenen in den Kon-
zentrationslagern, der Euthanasieopfer und
der Menschen, die ihr Leben ganz bewusst
für Freiheit und Demokratie eingesetzt haben.
Wir beklagen den Tod von Männern, Frauen
und Kindern, die auf der Flucht oder beider
Vertreibung aus der Heimat ihr Leben ver-
loren haben. Wir trauern um die Opfer der
Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, um
Menschen, die durch Terrorismus und sinn-
lose Gewalt getötet wurden.
Und in diesem Moment muss uns bewusst
werden, dass die Menschheit noch immer
nicht Frieden gefunden hat, Frieden in allen
Regionen der Erde.
70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs
müssen wir erkennen, dass es in den vergan-
genen Jahrzehnten immer wieder Situatio-
nen gab, in denen die Menschheit am Rande
eines weiteren Weltkrieges stand, müssen
zugeben, dass es weltweit noch kriegerische
Auseinandersetzungen gibt, manche nur we-
nige Flugstunden von uns entfernt.
Wie hat sich Europa in den vergangenen
Jahrzehnten entwickelt? Was wurde unter-
nommen, um den Frieden zu sichern?
Zahlreiche europäische Staaten haben Ver-
bindendes über Trennendes gestellt und Kon-
flikte der Vergangenheit bereinigt. So konnte
schließlich ein vereintes Europa in Form der
Europäischen Union verwirklicht werden, der
auch Österreich seit zwanzig Jahren ange-
hört. Doch auch in diesem Friedensprojekt
der Europäischen Union führen mittlerweile
nationale Interessen zu Fehleinschätzungen
und Fehlentscheidungen.
Man mischt sich,aus wirtschaftlichen Überle-
gungen heraus,in die nationalen Angelegen-
heiten von Nicht-EU-Staaten wie der Ukraine
ein - und belastet damit die Beziehungen zur
Großmacht Russland, anstatt frühzeitig ge-
meinsam mit Russland und den USA an einer
Stabilisierung des Nahen Ostens zu arbeiten.
Als EU-Mitgliedstaaten wie Italien und Grie-
chenland schon vor Jahren mit tausenden
Flüchtlingen an ihren Küsten konfrontiert wa-
ren, wurden sie mit den damit verbundenen
Belastungen allein gelassen. Die EU hoffte
darauf, dieses Problem am Rande Europas zu
halten. Jetzt rächt sich diese Politik des Weg-
schauens und hunderttausende Menschen
aus Krisenregionen strömen auf unseren Kon-
tinent.
Ich persönlich halte diese Situation für be-
sorgniserregend, vor allem deshalb, weil
nirgendwo Zeichen einer Problemlösung
erkennbar sind. Wo geht die Reise für Euro-
pa hin? Was müssen wir angesichts von so
viel Elend im Namen der Menschlichkeit für
Flüchtlinge tun? Was können wir in unserer
Gemeinde für sie tun? Aber auch - wie lan-
ge kann Europa Flüchtlinge aufnehmen, ohne
den sozialen Frieden in den eigenen Ländern
zu gefährden?
Kann ich die Gesetze eines Rechtsstaates in
einer derartigen Situation aufheben oder ist
dadurch unser Rechtsstaat in Gefahr?
Löst die Europäische Union dieses Span-
nungsfeld oder zerbricht sie daran?
Fragen über Fragen, doch derzeit nur gegen-
seitige Schuldzuweisungen und Ohnmacht
bei den politisch Verantwortlichen.
Es wäre höchst an der Zeit, zu agieren, nicht
nur zu reagieren. Die Völker der Europäischen
Union haben mit ihrem Beitritt zu einer Frie-
densgemeinschaft einen ersten historischen
Schritt getan. Als Wertegemeinschaft müssen
sie nun den zweiten gehen und Belastungen
gemeinsam tragen. Sie müssen aber auch
alles daran setzen, sich als Vermittler in Kri-
senregionen einzubringen und Länder im
Wiederaufbau zu unterstützen, im Interesse
der dort lebenden Menschen, aber auch im
Interesse Europas.
Wir können hoffen, dass aus dem Geden-
ken an den Gräbern gefallener Soldaten ein
Nachdenken und schließlich ein Vorausden-
ken wird, das der Welt und den Menschen
Unmenschliches künftig erspart. Diesem Ziel
sollten sich alle Menschen, unabhängig ihrer
nationalen Zugehörigkeit, verpflichtet fühlen –
heute – morgen – immer.“
MGS