Seite 8 - Gemeindezeitungen

Basic HTML-Version

8
Weihnachtsgeschichte
Dezember 2013
Christnacht über St. Justina
Meine Großtante Warbe wohnte mit ihrem Mann und ihren
vier Kindern in einem Bauernhaus auf 1400 m Seehöhe. Die
Kinder waren talentiert und phantasiebegabt, allesamt brav,
das Nannile sehr, die Buben etwas weniger. Lebenslustig und
vielseitig begabt, waren sie der dörflichen Tugendhaftigkeit
und Langeweile von Zeit zu Zeit abgeneigt.
War für sie das Leben das ganze Jahr über ein Abenteuer,
so bot ihnen die Advent- und Weihnachtszeit eine beson-
dere Fülle an Abwechslungen. Der tägliche Gang zur Rorate
war eine Selbstverständlichkeit. Es war für sie keine Pflicht,
mehr noch, sie wären beleidigt gewesen, wenn sie die Mutter
nicht geweckt hätte. Sie genossen den Zauber des Winter-
waldes auf ihren halbstündigen Weg zur Kirche, wechselte
doch die Nacht zwischen dem ersten Adventsonntag und
dem Hl. Abend ständig ihr Gesicht von größter Dunkelheit
bis zu glitzernder Helligkeit bei Vollmond. Der Weg war
mit Geheimnissen gepflastert - Schritte und Atem
anhalten, wenn in pechschwarzer Nacht unter
mondleerem Himmel im nahen Gebüsch
und Wald ein Knicken und Knistern ver-
nehmbar war, ein Staunen und Forschen,
wenn in mondheller Nacht frische Spuren
im Neuschnee ihre Wege kreuzten.
In der Kirche sang der Chor unter der Lei-
tung ihres Vaters jeden Tag eine lateini-
sche Messe, es gab viel Weihrauch und der
Pfarrer, schon von Berufs wegen fromm, war
noch ein Quäntchen frommer als sonst. Das alles
brachte einen Hauch von Heiligkeit in die Seelen der
Buben. Aber selbst Heiligkeit lässt sich von Kindern im Volks-
schulalter nicht länger als zwei, drei Wochen konservieren.
So kam ein Mäuschen am ersten Tag der vierten Adventwoche
gerade richtig. Es kam hinter dem Hauptaltar heraus, husch-
te im Altarraum nahe an der Wand entlang und verschwand
unter einer Bank. Die Buben in der ersten Reihe hatten den
kurzen Auftritt natürlich mitbekommen und tuschelten. Der
Pfarrer, mit dem Rücken zu den Gläubigen, der Volksaltar ist
eine nachkonziliare Erfindung, konnte sie ja nicht sehen. Die
Strafen kamen allerdings von hinten. An „pscht“ und „sch-
tilla“ hatten sie sich schon gewöhnt, aber an die katholische
Züchtigungsmethode, ein Schlag auf den Kopf oder um die
Ohren mit dem Rosenkranz, an dem ein schweres Eisenkreuz
hing, konnten sie sich nicht gewöhnen und hat ihre Frömmig-
keit nicht erhöht.
Auch in den folgenden Tagen kam das Mäuschen, so ungefähr
um das Gloria. Es war wahrlich die ärmste Kirchenmaus der
Welt. Die einzige mausgerechte Nahrung wären die spärli-
chen Gerstenähren gewesen, die mit ein paar Tannenzweigen
in schmalen Vasen am Hauptaltar steckten. Heimlich hofften
die drei Schlingel, dass sich das Mäuschen doch einmal zu
einer unzeremoniellen Tat hinreißen ließe und Körner vom Al-
tar hole.
Aber die Maus blieb tugendhaft und wich nicht von ihrem
gewohnten Weg ab.
Am Hl. Abend gab es zu Hause Erbsensuppe und Blattlstock.
Die Geschenke waren sehr bescheiden. Unvergesslich blieb
ein langer Farbstift, der auf der einen Seite blau, auf der an-
deren rot schrieb. Und es gab Zelten. Diese Weihnachtsspe-
zialität brachte den ältesten, den Toni, auf eine Idee und er
schmiedete einen Plan, in den er seine Brüder einweihte.
Früher als sonst gingen die Drei zur Mitternachtsmette. In der
noch dunklen Kirche saßen ein paar Frauen, schweigend ins
Gebet vertieft. Zielstrebig steuerten sie den Seitenaltar an,
auf dem die Weihnachtskrippe stand. Toni steckte kleine Zel-
tenstückchen in das Moos vor dem Christkind, während ihm
die Brüder mit gefalteten Händen Rückendeckung gaben.
Dann nahmen sie ihre gewohnten Plätze ein.
Die Christmette war ein Höhepunkt im Kir-
chenjahr. Nie sonst gab es so viel Licht in
der kleinen Bergkirche. Der Chor sang die
Pastoralmesse in G-Dur von Karl Kemper.
Das Gloria war schon vorbei, das Mäus-
chen kam nicht. War die ungewöhnliche
Tageszeit schuld? Der Pfarrer hatte trotz
bitterer Kälte mit glänzenden Augen eine
lange Predigt gehalten, ganz von der Bot-
schaft der Hl. Nacht erfüllt. Während des
Credos und während der Opferung kam die
Maus nicht. Hatte sich eine Katze selbst ein
Weihnachtsgeschenk gemacht? Mit Andacht zele-
brierte der Pfarrer die Wandlung. Eine Kirchenmaus weiß
wahrscheinlich instinktiv, dass diese heilige Handlung nicht
gestört werden darf. In langen Reihen schritten die Gläubigen
zur Kommunionbank. Bei diesem Tumult konnte die Maus
nicht kommen.
Nach dem Schlusssegen wurde das Licht abgedreht und das
Lied „Stille Nacht, Heilige Nacht“ wurde mit ganzer Inbrunst
gesungen. Da - „bei Hirten erst kundgemacht“ kam das Mäus-
lein. Es trippelte die Wand entlang, wie jeden Tag und kletter-
te behände zur Krippe hinauf, blieb kurz stehen, schnupperte
und begann am Zelten zu knabbern. Als der Priester und die
Ministranten sich zur letzten Kniebeuge neigten, rannte die
Maus panisch erschrocken davon, Ochs und Esel und die Hl.
Frau umstoßend. Nur der Hl. Josef blieb mannhaft stehen
und beleuchtete mit seiner Laterne das Chaos. Der Sepp stieß
den Lois in die Rippen und beide kicherten und der Toni, der
Toni hatte die mausige Aufführung verschlafen.
So, oder so ähnlich hat es sich 1953 in St. Justina zugetragen.
Burgl Kofler
Foto: Georg Weiler