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Heimat
Dezember 2013
Heimat
In der Serie „Heimat“ berichten wir über Zugezogene, die in Tristach Heimat gefunden haben.
Leopoldine Helperstorfer, geb. Spreitzer
Ich wurde am 19.10.1927 als
sechstes von acht Kindern in Großhol-
lenstein an der Ybbs (ca. 2.000 Einw.)
geboren. Wir waren vier Mädchen und
vier Buben. Mein Elternhaus ist ein
Hammerherrenhaus, eines der ältesten
Häuser im Ort, erbaut um 1830. Es ist
ein massives, steingemauertes Haus mit
großen Gewölben im Erdgeschoss und
im Keller. Vor dem Haus steht noch die
große Esse, die auf die frühere Nutzung
hinweist und heute museal genutzt wird.
Am Hammerbach lagen mehrere Ham-
merwerke, die Werkzeuge herstellten.
Mein Vater war Schlosser und hat-
te die Werkstätte nahe beim Haus. Au-
ßerdem betreute er die Gemeindewas-
serleitung, ehrenamtlich. Er war ein
herzensguter Mensch, ein ausgezeich-
neter Handwerker, aber ein schlechter
Geschäftsmann. So war öfters Not im
Haus. Zum Anwesen gehörte auch eine
Landwirtschaft. Wenn der Gerichtsvoll-
zieher kam, musste die Mutter eine Kuh
verkaufen.
Meine Mutter war eine strenge Frau.
Das Leben hatte ihr auch allerhand ab-
verlangt: einer meiner Brüder starb mit
14 Jahren an Leukämie, zwei kamen
aus dem Krieg nicht mehr zurück, ei-
ner fiel im Kaukasus, einer ist vermisst.
Wahrscheinlich wollte sie deshalb ihre
verbliebenen Kinder in ihrer Nähe ha-
ben. Als meine Schwester Maria mit
24 Jahren in den Orden des Göttlichen
Erlösers in Wien eintrat, brach meine
Mutter mit ihr, obwohl sie als Katholi-
kin doch stolz hätte sein können. Erst
zehn Jahre später versöhnte sie sich
mit ihr. Meine Schwester - Sr. Intemera-
ta mit Ordensnamen - feierte 2011 ihr
60-jähriges Ordensjubiläum.
Wir Kinder wurden schon früh zur Ar-
beit im Haus, auf dem Feld und im Stall
angehalten. Eine Schwester betreute den
großen Garten. Sie hatte ein besonderes
Geschick dafür, sodass auch Nachbarn
bei ihr Pflanzen und Saatgut holten.
Zu den Festtagen gab es ganz ge-
naue Rituale, vor allem zu Weihnach-
ten. Die Glut für die Räucherpfanne
durfte nur aus einem gewissen Holz
sein. Erst nach dem Betläuten um
sechs Uhr abends durfte rosenkranz-
betend mit dem Räuchern durch Haus
und Stall begonnen werden. Im Stall
gab es eine besondere Zeremonie: Jede
Kuh wurde zuerst angeräuchert, dann
mit Weihwasser besprengt und zum
Schluss bekam sie einen Kleienknö-
del, in den drei Palmkätzchen aus dem
geweihten Palmbuschen eingearbeitet
waren. Die Kühe genossen sichtlich
diese aufwändige Zuneigung. Als wir
wieder in die Küche zurückgekehrt wa-
ren, wurde die Hl. Nacht-Kerze mit der
Glut aus der Räucherpfanne entzündet
(diese Kerze wurde auch im Sommer
bei drohenden Unwettern angezündet).
Dann hielt jedes Familienmitglied eine
Kopfbedeckung, die Männer einen Hut,
die Frauen ein Kopftuch über die Räu-
cherpfanne und setzte die Kopfbede-
ckung auf. Das sollte vor Krankheiten
schützen. Dann wurde ein weiterer Ro-
senkranz kniend gebetet.
Zum Abendessen gab es an diesem
besonderen Tag Käferbohnensuppe, Kä-
ferbohnensalat und frischen Germgu-
gelhupf, Kletzenbrot, Honig und nach
der Bescherung Kekse.
Auch mit dem Palmbuschen hat-
te es eine besondere Bewandtnis. Um
ihn wurde eine Schnur gewunden, auf
der für jedes Familienmitglied ein Apfel
aufgefädelt war. Dieser Apfel wurde am
Karfreitag um 9 Uhr Vormittag gegessen.
Nach dem Krieg hat die russische
Besatzungsmacht das Haus beschlag-
Fotos: Beigestellt
Li. Frau Helperstorfer mit Tochter Eva, Eltern und Geschwister