HB_2022_10

NUMMER 10/2022 90. JAHRGANG OSTTIROLER HEIMATBLÄTTER H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “ An der Nordseite der Friedhofs- mauer von Nikolsdorf befindet sich in unmittelbarer Nähe einer kleinen Lourdesgrotte eine verwitterte, graue Steinplatte. Sie ist ca. 107 cm hoch, 79 cm breit und etwa 8-10 cm dick und ist mit eisernen Haken an der Mauer befestigt. Laut Thaddäus Obbrugger, dem ehemaligen Chronisten von Ni- kolsdorf, wurden im Rahmen einer Kirchenrenovierung 1980/81 mehrere historische Grabsteine von der Kir- chenmauer zur Friedhofsmauer über- tragen; dies betraf allerdings nicht den hier vorgestellten Stein, der an seinem Platz belassen wurde. 2 Der Text der Inschrift Der elfzeilige in den Stein gemei- ßelte Text ist von einer schmucklosen, in den Stein geritzten Linie gerahmt. Die etwa 10 cm hohen Buchstaben sind unregelmäßig geschrieben und vor allem im unteren Bereich kaum mehr lesbar: 1 HIC IACET SEPVL 2 TVS NOBILIS ET 3 STRENVVS VIR 4 SILVESTER SCHAF 5 MAN HAMERL 6 ES QVI CASTRA LEN 7 BERG FVIT POSSES 8 SOR (?) CVIVS ANIMA 9 IN DEO VIVAT 10 VIATOR TV [precare?] 11 [die?] XV DEC (?) .... Die Übersetzung „Hier liegt begraben der edle und ge- strenge Mann Silvester Schafmann [von] Hamerles, der Besitzer (?) der Burg Leng- berg war, dessen Seele in Gott leben möge. Du Wanderer [bete?] … 15. Dezember …“ Der Text enthält im oberen Bereich keine sprachlichen Schwierigkeiten, im unteren hingegen sind einige Buchstaben kaum oder gar nicht mehr zu lesen. Vor allem fehlt das Jahr seines Todes, das vermutlich in der letzten Zeile stand. Die Ergänzungen „precare“ (bete!) in Zeile 10 und „die“ (am … Tag) in Zeile 11 sind hypothetisch. Sprachliche Anmerkungen Der Text weist einige formelhafte Wen- dungen auf, wie sie für die Zeit der Re- naissance und des Frühbarocks typisch sind. Die Formulierung „hic iacet sepul- tus“ („hier liegt begraben“, Zeile 1) geht auf antike Grabsteinformeln zurück, findet sich allerdings viel seltener als die gleich- bedeutende Formel „hic situs est“ . Der Bestattete wird als „nobilis et stre- nuus“ bezeichnet, was in vielen deutsch- sprachigen Inschriften dieser Zeit mit der Formel „edel und fest“ oder „edel und gestreng“ wiedergegeben wird. 3 Der Wunsch bzw. das Gebet, dass die Seele „in Gott leben möge“ findet sich ebenfalls auf anderen Inschriften dieser Zeit. 4 Er geht auf ähnliche, bereits im frühen Christentum nachweisbare For- mulierungen zurück, wie z. B. „in Deo vivas“ (mögest du in Gott leben) 5 oder „cuius anima vivat in caelo“ (dessen Seele im Himmel leben möge). 6 Daran schließt sich die – nur fragmentarisch lesbare – Bitte an den „Wanderer“, für die Seele des Verstorbenen zu beten. Unter dem Wanderer (lat. viator ) ist wohl kaum ein konkreter Pilger oder Wallfahrer zu verstehen; vielmehr wird hier dem Leser der Inschrift – also jedem beliebigen Friedhofsbesucher – bewusst gemacht, dass auch er sich noch auf der irdischen Pilgerschaft be- findet. Das Wanderer- oder Pilgermotiv findet sich an zahlreichen Inschriften dieser Zeit, wie beispielsweise das Epi- taph des Johann Wilhelm Khüel in In- golstadt zeigt. 7 Ebenso weit verbreitet ist die Idee, dass die Inschrift gleichsam zu bzw. mit ihrem Leser spricht. Eine gewisse Schwierigkeit ergibt sich aus der Wortfolge qui castra Len- berg fuit possessor . Vorausgesetzt, die Lesung der Buchstaben ist richtig, ist dieser Satz nicht in korrektem Latein verfasst. Das barocke Latein zeichnet sich häufig durch weitschweifige, mitunter schwülstige, aber stets grammatikalisch korrekte Formulierungen aus. Unser Text hingegen ist sehr schlicht gehalten und beschränkt sich auf das Wesentliche. Auch ist der Grabstein als solcher für die dama- lige Zeit auffallend schmucklos. 8 Aus der am Schluss formulierten Bitte geht hervor, dass der Bestattete katholisch war, da ein Gebet für die Verstorbenen im protestantischen Kontext so nicht denkbar wäre. Damit sind wir bei der Frage ange- kommen, um wen es sich bei der hier bestatteten Person handelt. Grabplatte für Silvester Schafmann von Hämerles, von 1571 bis 1615 Pfleger des salzburgischen Ge- richtes Lengberg, an der Friedhofsmauer bei der Pfarrkirche St. Bartholomäus in Nikolsdorf. Foto: Michael Huber Michael Huber Die Grabinschrift des Silvester Schafmann von Hämerles in Nikolsdorf 1

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