HB_2022_05

NUMMER 5/2022 90. JAHRGANG OSTTIROLER HEIMATBLÄTTER H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “ Im ersten Teil sind wir, aus- gehend von biblischen Berichten, der Bedeutung von Lämmern, Schafen und Widdern auf reli- giös-kulturellen Spuren gefolgt. Auf dieser Ebene widmen wir uns in diesem Beitrag dem „Schaf- und Widderkult“ in Osttirol, der gerade in dieser Region als kul- turelle Besonderheit wahrge- nommen wird. Widder-Prozessionen – Bittgänge Prozessionen als Bittgänge – oder umgekehrt – gründen auf einer langen Tradition. Zur Ab- wehr von Seuchen, von Natur- Katastrophen waren diese Formen religiöser Übung für die Dorfge- meinschaften das einzige Mittel, den Zorn Gottes zu besänftigen und um seine Barmherzigkeit zu bitten. Die Menschen des Mittel- alters (und weit herauf in die Neu- zeit) führten nämlich Katastro- phen-Ereignisse auf eigenes, kollektives sündhaftes Verhalten zurück, welches die Strafen Gottes in Form von Katastrophen herausforderte. Bittprozessionen sollten daher als Bußakte – oft er- schwert durch weite Wege oder mit Opfergaben verbunden – Gott barmherzig stimmen. Das Prozessionswesen zur Ab- wehr oder als Hilferuf an Gott war bereits im 5./6. Jahrhundert im oströmischen Reich ständige religiöse Praxis. Neben Gedenkprozessionen erfolg- ten „während einer Katastrophe oder un- mittelbar danach häufig spontane Bittpro- zessionen. Die Bevölkerung […] strömte in diesen Fällen […] zusammen, um gemein- sam zu klagen, zu beten und Gott um Gnade anzuflehen.“ Die gemeinschaftliche Erfahrung des Unglücks und ihre „Umset- zung in frommes Verhalten“ waren Teil einer Katastrophenbewältigung. 1 Papst Gregor d. Gr. übernahm die Prozessions- praxis des Ostens und organisierte im Jahre 590 n. Chr. in Rom eine Pestprozession. Der Papst gestaltete diesen Bittgang als Marienprozession, „Sieben unterschiedli- che Züge sollten sich an der großen Mari- enkirche Roms [S. Maria Maggiore] zum gemeinsamen Gebet sowie zur gemeinsa- men Klage vereinen.“ Seither „hatte sich Maria als Nothelferin in Pestzeiten auch im Westen endgültig etabliert. “ 2 Die Hinweise auf Bibelstellen erleich- tern den Schritt in die Neuzeit und die An- näherung an die „Widderprozessionen“. Es fällt auf, dass gerade im Raum Osttirol und dem nahen Oberkärnten soge- nannte „Widderprozessionen“ und „Widderopfer“ seit Jahrhun- derten bis in die Gegenwart nach- verfolgt werden können. Am be- kanntesten ist die Widderprozes- sion, die ursprünglich von Virgen nach Lavant im Drautal führte und noch heute in abgeänderter Form stattfindet. Ihre Besonder- heit regte zahlreiche Autoren an, den Wurzeln dieses Phänomens nachzuspüren. In einzelnen Bei- trägen fällt die Verlockung auf, den Ursprung dieser „Widderpro- zession“ bereits in vorchristlichen Lebenswelten zu suchen. 3 In die- sem Zusammenhang wird auf ausführliche Literaturrecherchen, kritische Auseinandersetzungen mit aufgeworfenen Theorien von Olaf Bockhorn 4 und Reinhard Bodner 5 verwiesen. Wir sehen die Suche nach vor- christlichen Wurzeln dieser „Wid- derprozession“ als problematisch an 6 , klammern sie deshalb aus, ordnen den Bittgang nach Lavant vielmehr in die zur Pestzeit um 1630 vielerorts üblichen volksreli- giösen Abwehrstrategien wie Ge- löbnisse, Bittprozessionen, Wall- fahrten, Bauten von Kirchen und Kapellen ein. Die „Widderprozes- sion“ kann als Teil einer nach dem Konzil von Trient (1545-1563) aufblühenden Wallfahrts- und Pro- zessionsvielfalt, der sogenannten „Barockfrömmigkeit“ gesehen werden. Der Versuch, in der „Volksfrömmigkeit“ aber „angebliche Elemente vorchristlicher Ge- sinnungen zu suchen“, sind nicht haltbar. 7 Ausgangspunkt für unsere Überlegungen ist die erste Erwähnung im Jahr 1635. 8 Ein Votivbild, seit dem Jahre 1930 in der Wall- fahrtskirche Obermauern aufbewahrt, weist in der Beschreibung des Votums das Jahr 1635 mit folgendem Wortlaut aus: „In der Pestzat nach Labant verlobt von den Ge- meinden Firgen Bregraten 1635.“ Joseph Andreas Hofmann, der von 1810 bis 1840 Franz Jäger Widder – Schaf – Lamm (2) Widder und Kult in Osttirol Beide „Kreuzgänge“ von Virgen und Prägraten mit dem Opfer- widder amWeg zur Kirche von Obermauern amWeiß-Samstag, 23. April 2022; alle aktuellen Aufnahmen entstanden an diesem besonderen Tag. Foto: Franz Jäger

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