HB_2022_01-02

NUMMER 1-2/2022 90. JAHRGANG OSTTIROLER HEIMATBLÄTTER H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “ Blickt man von der Kloster- kirche in Richtung Schweizer- gasse, dann fließen der westliche Teil der Muchar-Gasse und der Egger-Lienz-Platz optisch zu- sammen. Getrennt werden sie – vom Betrachter bei der Kloster- kirche aus kaum wahrnehmbar – durch die Schulstraße, in die die Schweizergasse von Westen her einmündet. Durch die Kenntnis der Ge- schichte der einzelnen Baulich- keiten gewinnt der „Klosterplatz“, im Prinzip die in diesem Bereich erweiterte Muchargasse, an Leben; einige der Bauten haben eine besondere Entwicklung. Klosteranlage mit Kirche Das beherrschende Gebäude ist die Kirche mit den angrenzen- den Klosterbauten. 1 Die landes- fürstliche Familie der Grafen von Görz hat vielfach fromme Stiftungen ge- tätigt. Gräfin Euphemia, die die Initiative zur Gründung eines Karmelitenklosters in Lienz ergriff, war die zweite Gattin des Grafen Albert III. von Görz-Tirol. In die fromme Stiftung wurden auch ihre beiden Söhne Albert und Meinhard eingebunden. Nach der Genehmigung durch den zu dieser Zeit in Avignon residieren- den Papst Clemens VI. erging der eigentliche Stiftbrief am 26. Juli 1349. Der Klosterbau war mit görzischer Unterstützung wohl schon seit Jahren im Gange, als die Zustimmung des Fürsterz- bischofs Pilgrim II. von Salzburg, datiert mit 1. April 1369, bei Hof eintraf. Der erste Klosterbau des dritten Viertels des 14. Jahrhun- derts, Unserer Lieben Frau Mariae Himmelfahrt geweiht, erfuhr um 1430/40 durch die Görzer Bau- hütte eine gründliche Umgestal- tung in spätgotischem Sinn. Trotz einiger Veränderungen hat sich das Gotteshaus, mit reichem und künstlerisch wertvollem Freskenschmuck versehen, das spätmittelalterliche Aussehen mehr oder weniger bis heute bewahrt. Das alltägliche Wirken der Patres er- schreckte sich auf das Abhalten der Gottesdienste, Förderung und Betreuung von Bruderschaften, Beichthören und in den letzten Jahren vor der Aufhebung des Klosters auch auf die Lehrtätig- keit an der Normalschule und am Gymnasium. Die Patres hatten das Recht, Bier zu brauen, das 1661 erstmals erwähnt wird. Um 1703 wirkte im Lienzer Karmel Johan- nes Justus Will (Bamberg 1675 – Dinkelsbühl 1747) unter dem Or- densnamen Justinus a Desponsa- tione B(eatae) V(irginis) M(ariae) („Von der Verlobung der seligen Jungfrau Maria“), der bedeu- tendste Komponist des Karmeli- tenordens. 2 Seine erste gedruckte Sammlung von Kompositionen für Tasteninstrumente ist mit dem Vermerk „Leontii“ (= Lienz) 1703 versehen. Nach Aufhebung des Lienzer Karmels in der Regierungszeit Kaiser Josephs II. am 16. April 1785 übernahmen die Franziskaner aus Innsbruck die Klosterbauten; mit 19. April desselben Jahres begann die Tätigkeit der Franziskaner in Lienz. Alle Bauten aber blieben Religionsfondseigentum und wur- den erst mit dem Übergabsvertrag vom 1. Mai 1962 dem Lienzer Konvent übergeben. Der schlanke Kirchturm hatte durch den Stadtbrand des Jahres 1798 großen Schaden erlitten, wurde provisorisch mit einem niedrigen Pyramidendach abge- schlossen und erhielt erst 1886 den Aufbau mit achtseitigem Spitzhelm in gotischen Formen. Die Fassade des Gotteshauses zum Platz bzw. zur Muchargasse hin erlebte im Lauf der Jahrhun- derte wohl mehrfache Verände- rungen. Die gegenwärtige Ge- staltung der Fassade mit ihren zwei Rundbogenfenstern geht auf die 1970er-Jahre zurück, als Meinrad Pizzinini „Unser neuer Klosterplatz“ Das historische Umfeld der oberen Muchargasse in Lienz Ausschnitt aus dem Katasterplan von 1859 mit dem Franzis- kanerkloster und dem westlichen Teil der Muchargasse mit Anschluss an die Schweizergasse. (www.mapire.eu) St. Johannes-Kirche, Karmeliten- bzw. heutiges Franziskanerkloster mit Kirche und der westlichen Stadtmauer mit dem Schweizertor; Ausschnitt aus der Darstellung der Stadt Lienz von 1606/08 im Ge- schichtswerk „Der Tiroler Adler“ von Matthias Burgklechner. (Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Kartensammlung) Fotoarchiv Dr. Meinrad Pizzinini

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