HB_2020_02

An den nördlichen Schildbögen der Pfarrkirche St. Veit in Defereggen haben sich zwei um 1430 gemalte Fresken er- halten, von denen eines die Geburt Jesu behandelt. Das intime Geschehen ist seitlich und nach hinten von einer ge- flochtenen Wand ab- geschirmt. Durch zierliche, ein unter- sichtiges Walmdach tragende Stützen wird ein „Raum im Raum“ ausgezeich- net, der in der Bild- ebene für den Be- trachter einsehbar ist und sich perspekti- visch im rechten Winkel dazu den Akteuren erschließt. Versuche, die Hand- lung, ihre Versatz- stücke und Requisi- ten aus defereggeri- schem Lokalkolorit zu erklären 1 , schei- tern an der Privat- offenbarung der hl. Birgitta von Schweden (1303–1373), in der „eine Jungfrau gesegneten Leibes“ und ein „gar ehrbarer Greis“ die Nieder- kunft vorbereiten. Der Greis bindet Ochs und Esel an eine Krippe und geht dann hinaus, um nicht persönlich bei dem Er- eignis anwesend zu sein. Die Jungfrau ent- ledigt sich ihrer Gewänder bis auf ein wei- ßes Unterkleid, bereitet mehrere Tücher vor und entbindet dann kniend mit dem Rücken an die Krippe gelehnt. „In einem Nu hatte sie ihren Sohn geboren “, er lag Topf am offenen Feuer lassen erken- nen, dass er mit Kochen beschäftigt ist. Was hätte er auch anderes tun können, als sich gleich zu Beginn seiner ganz neuen familiären Verhält- nisse als Nährvater zu inaugurieren? „ Obs gleich mir ubel thuet stan so wils die not iez also han “, wird er sich in einem hundert Jahre später erdichteten Weih- nachtsspiel darüber beklagen. 3 Gemälde zeigen den hl. Josef für ge- wöhnlich im Ver- band der Hl. Familie und weisen ihm dort eine untergeordnete, dienende Aufgabe zu. Selten tritt er aus diesem Zusammen- hang so prominent vor den Vorhang wie in dem 1872 vollen- deten linken Seiten- altarblatt der Pfarr- kirche von Dölsach. Franz von Defregger hat das Thema aber nicht szenisch gestal- tet, sondern im Sinne der „Sacra Conver- satione“, einer von der italienischen Re- naissance entwickelten Bildform, die es erlaubte, um das zentrale Motiv der Got- tesmutter Heilige zu versammeln, die sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Lebens- daten in der Geschichte niemals begegnet sein mussten und denen der Gläubige nun sowohl kollektiv als auch einzeln seine Andacht entgegenbringen konnte. 4 NUMMER 2/2020 88. JAHRGANG OSTTIROLER HEIMATBLÄTTER H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “ „nackt und ganz leuchtend am Boden … dass die Sonne damit keinen Vergleich aus- hielt“. 2 Unterdessen sitzt der ehrbare Greis auf der Schwelle und stützt den Kopf in die Hand. Die Geste der Nachdenklichkeit – als Ausdruck des Zweifels oder der prak- tischen Überlegung – ist seit dem Hoch- mittelalter ein bleibender Topos in bild- lichen Darstellungen des hl. Josef. Aller- dings ist er keineswegs untätig, denn ein hölzerner Löffel in seiner Rechten und ein Christi Geburt, Fresko im Chor der Pfarrkirche St. Veit i. D., um 1430. Foto: Rudolf Ingruber Rudolf Ingruber Verlobter der Jungfrau, Nährvater Gottes, allzeit Mehrer des Reichs Bemerkungen zur Ikonografie des hl. Josef

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