HB_2019_07

Einleitung Das Tiroler Landesarchiv verwahrt unter der Inventarnummer „Hs 63“ eine schmale Papierhandschrift aus der Zeit um 1400, die in vier Verzeichnissen für mehrere Ost- tiroler bzw. Oberkärntner Regionen die zur Verfügung stehenden wehrfähigen Männer samt Bewaffnung auflisten. Diese als Mus- terregister (MR) zu bezeichnenden Doku- mente stehen in Zusammenhang mit der allgemeinen Landwehr der Görzer Grafen, die im Fall einer militärischen Bedrohung aktiviert wurde. Kriegerische Auseinan- dersetzungen in der Region gab es zu jener Zeit immer wieder, z. B. mit Venedig. Die potenziellen Soldaten wurden offenbar nach Gerichten eingetragen, die vier erhal- tenen Verzeichnisse beziehen sich auf das Lienzer Landgericht (1385), das Land- gericht samt der Stadt Lienz (1410), Kals (1428) sowie die Herrschaft Pittersberg im Lesach- bzw. Gailtal (1444). Sie stellen nicht nur eine bemerkenswerte militär- historische sowie bevölkerungsstatistische Quelle dar, sondern sind auch in namen- kundlicher Hinsicht interessant, enthalten sie doch in erster Linie Namen von Perso- nen, vereinzelt auch von wirtschaftlichen Einheiten, denen jeweils eine bestimmte Kampfausrüstung zugeordnet ist. 2 Im Folgenden wird näher auf die beiden den Lienzer Raum betreffenden Musterregis- ter aus 1385 (MR 1385) bzw. 1410 (MR 1410) eingegangen. Zwischen diesen lässt sich ein interessanter Unterschied hinsicht- lich der Bewaffnung ausmachen. In MR 1385 besteht die Ausrüstung standardmäßig Eine wichtige namenkundliche Quelle Die in den hier untersuchten Dokumen- ten aufgelisteten Onyme (Namen) bezie- hen sich teilweise auf heute noch beste- hende Objekte (Ortschaften, Bauernhöfe), ja sie sind teilweise heute noch gebräuch- lich, wodurch ihnen eine wichtige Rolle in der Namenüberlieferung zukommt. Der Großteil der in den beiden Dokumenten auftretenden Namen betrifft Personen, Wehrpflichtige bzw. Untertanen, die Män- ner und Waffen bereitzustellen hatten. Ihre Namen bestehen oft aus nur einem Ele- ment, z. B. einem Ruf-, Berufs-, Über- oder Hofnamen. Häufig finden wir auch zwei Namen kombiniert, von denen der erste meist einen Rufnamen, der zweite einen Beinamen darstellt. In einzelnen Fäl- len werden Personen sogar durch drei Ruf- bzw. Beinamen individualisiert: Hanns narer kur ſ ner (MR 1410: 13 ʼ ). Inwieweit diese Beinamen bereits erb- lich waren oder nicht, darüber lässt sich nur spekulieren. Tatsache ist, dass einer- seits aus vielen von ihnen später Fami- liennamen hervorgegangen sind. Anderer- seits weisen einige der genannten Berufs- bzw. Funktionsbezeichnungen Aspekte auf, die gegen eine damals schon be- stehende Erblichkeit sprechen. Job ∫ t, Jakel, Amelreich – Osttiroler Rufnamen anno 1400 Die im Folgenden behandelte Kategorie der Rufnamen entspricht aus heutiger Sicht jener der Vornamen. Diese treten in den bei- NUMMER 7/2019 87. JAHRGANG OSTTIROLER HEIMATBLÄTTER H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “ Hubert Bergmann Zwei Lienzer Musterregister aus der Zeit um 1400 namenkundlich betrachtet 1 Überschrift zur Musterungsliste des Lienzer Landgerichts in MR 1410 (fol. 14 ʼ ) mit Erwähnung des Grafen Johann Meinhard VII. von Görz-Tirol („Czw Merken meins genädigen herren Graf Hann ∫ en Mu ∫ ter in dem landt gericht zw lüncz“). Alle Aufnahmen: Tiroler Landes- archiv, Innsbruck aus Armbrüsten ( arm ſ t ) oder Spießen ( ſ pi[e] ſ ), Schilden ( ſ chil[l]t ) und joppen (ver- mutlich mit Metallteilen verstärkte Wämser). Selten werden Brustpanzer ( panczir , panczyr ) und Helme ( haub , hawben , ei ſ enhút u. ä.) genannt, in den Nachträgen finden wir wiederholt Blechhandschuhe ( hantschúch , plechant ſ chúch ) angeführt. In dem Doku- ment aus 1410 fällt auf, dass nun neben Armbrüsten ( arm[b] ſ t ), Spießen ( ſ pies , ſ piez etc.), Schilden ( schilt ) und Joppen ( joppen , ÿoppen ) fast alle Einträge auch Cervelièren ( ſ chäfflir , ſ chärflir , ſ chäblir etc.) – das sind Hirnhauben als Kopfschutz – und Hand- schuhe ( hantschuch , plechant ſ chuch etc.) aufweisen, was auf Aufrüstung hindeutet. Die Ausstattung spiegelt wohl auch soziale Unterschiede wider. So rückten beispiels- weise nur wenige zu Pferd aus, auch jene, die mit einer Armbrust kämpften, sind in der Minderheit. Nur ganz wenige der genannten Landwehrmänner verfügten offenbar über aufwendigere Rüstungen, wie etwa Kri ſ toff chärbler [...] zw ro ſſ en wol gezewgt mit ſ eim harna ſ ch (MR 1410: 14 ʼ , vgl. gezeugt , mit Kriegsausrüstung versehen‘ im DWB 7: 7043). Dafür, dass die Gemusterten selbst für ihre Ausrüstung zu sorgen hatten, spricht der Vermerk Czermilt ſ ol ein pezzer joppen chauffen (MR 1385: 1 ʼ ). Offenbar mussten die genannten Personen im Rahmen der Landwehr im Ernstfall für den Görzer Gra- fen in den Krieg ziehen. Oder aber sie hatten für diesen Fall einen Mann zu stellen, wofür u. a. die wiederholte Nennung von Frauen in den beiden Registern spricht, bei denen es sich z. B. um Witwen handeln könnte.

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