CHRONIK
PUSTERTALER VOLLTREFFER
DEZEMBER 2018/JÄNNER 2019
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In späteren Jahren. Maria Leiter mit ihrem Ehemann Engelbert,
Bauer in Außervillgraten, der 1934 auf den Asthof heiratete.
Erdäpfel für die Verpflegung des
Militärs abliefern. „Viel mehr
als nachher im Zweiten Welt-
krieg. Deshalb war die Hungers-
not im Ersten Weltkrieg viel
größer, auch die Jahre danach.
Dazu kamen noch die schlech-
ten Kornernten der Kriegsjahre
und auch nach dem Krieg“,
erinnerte sich Maria Leiter.
Der Familie ging es im Som-
mer 1915 aber noch gut. „Der
Militärkoch in unserer Küche
steckte manchmal ein gekochtes
oder gebratenes Stück Fleisch in
unseren Kochtopf. Die Mutter
kochte Erdäpfel dazu.“ Doch
dann wurde auch die Verpflegung
für die Familie immer schlechter.
„Alle Leute hatten große Not und
Sorgen. Während des Krieges
bekam man ja kaum das Not-
wendigste zu kaufen“, erzählte
Maria Leiter oft ihrer Tochter.
Von August 1915 wurde Sillian
vom Kreuzberg aus immer wie-
der mit schweren Granaten be-
schossen. „Eine Chronik spricht
von über 1.000 Granaten, welche
die Bahnlinie, den Bahnhof und
die Straße von Sillian zum Ziel
hatten“, erzählt Tochter Maria
Duracher. Aber Bahnhof, Bahn-
linie und Straße wurden nie ge-
troffen. Der Pfarrer von Kartitsch
konnte den Krieg so nah aller-
dings nicht verkraften. Er er-
krankte und verstarb 1917 an sei-
nem Herzleiden.
Tödliche Treffer
Maria Leiter erlebte als Mäd-
chen selbst mit, dass am 17.
September 1915 eine Granate
im Benedikt Pleikner Haus
(Dorfmitte) einschlug. „Dabei
kam die Haustochter ums
Leben. Ein weiterer Treffer tö-
tete einen Soldaten, der gerade
auf der Straße unterwegs war.
Viele Granaten schlugen auch
in den Feldern ein.“ So sah die
Metzger Wiese (schattseitiger
Hang gegenüber dem Bahnhof)
laut Maria Leiter teilweise wie
ein neu umgebauter Acker aus.
Aus Sicherheitsgründen muss-
ten die Sillianer Schüler die
Schule in Arnbach besuchen.
„Wir Asthofer Kinder gingen
nach Panzendorf, weil die
Schule dort näher lag. Der
Sonntagsgottesdienst wurde al-
lerdings in Arnbach gefeiert.“
Dann kam der Rückzug –
von Allerheiligen bis Mitte
November 1918. „Dies war
eine besonders schreckliche
Zeit. Denn täglich übernachte-
ten bei uns hunderte Soldaten
im Stadel und außerhalb des
Hauses. Tschechen, Ungarn,
Bosniaken, auch Menschen un-
seres Landes, alles hungernde,
müde, entkräftete Krieger. In
der November-Vollmondnacht
kniete ein Moslem die ganze
Nacht draußen im Freien, sein
Gesicht gegen Osten Mekka,
gewendet, die Hände gefaltet
und betend. Er war noch fern
seiner Heimat.“
„Viele Feuer
vor dem Haus“
Die Heimkehrer kamen teil-
weise mit Pferden und brachten
auch Rindvieh mit, das sie in
Südtirol von den Weiden ge-
stohlen hatten. „Bei uns wurde
das Vieh dann geschlachtet, mit
Herpfstangen, Zaunsäulen und
Zaunschwarten im Freien Feuer
gemacht und das Fleisch ge-
kocht oder gebraten. Am näch-
sten Tag kamen dann die Südti-
roler Bauern nach, um ihr Vieh
zu suchen.“ Zudem wurde täg-
lich der bereits lang abgeerntete
Erdäpfelacker wieder von
Neuem durchwühlt, um viel-
leicht doch noch etwas Essba-
res zu finden. „Unsere Mutter
lag zu dieser Zeit schwer krank
und mit hohem Fieber im Bett.
An den Abenden prasselten im
Freien die Feuerstellen, und die
Funken flogen an ihren Zim-
merfenstern vorbei, hinauf un-
ters Hausdach. So war unsere
Mutter immer in Angst und
Sorge, dass das Haus zu bren-
nen anfängt.“ In ihrer Angst
stieg sie immer wieder aus dem
Bett, um nachzuschauen, ob im
Dachboden und im Stadel noch
alles in Ordnung sei. „Dabei hat
sich unsere Mutter gesundheit-
lich sehr geschadet. Sie wurde
dann nie mehr richtig gesund
und starb mit 59 Jahren
(1926).“
Alles zu Brennholz
Heu für die mitgeführten
Pferde und Rinder holten sich
die Heimkehrer aus dem Stadel
der Familie. „So kam es im fol-
genden Winter zu Futternot für
unser eigenes Vieh.“ Im Früh-
jahr 1919 stand die Erneuerung
aller Feld- und Weidezäune an.
„Aber es war auch kein vorräti-
ges Zaunholz mehr da. Alles
wurde von den Heimkehrern
als Brennholz verwendet.“ Die
kleine Maria hatte schon wäh-
rend der Zeit des Ersten Welt-
krieges mitbekommen: Das
Geld verliert rasant an Wert.
„Ab 1920 war die Inflation
kaum noch kontrollierbar. Zwei
Jahre später erreichte sie den
Höhepunkt“, erzählt Tochter
Maria Duracher. Ihre Mutter er-
innerte sich an das alte kinder-
lose Ehepaar Jesacher, das
Ende des Krieges ihr Hotel
Weitlanbrunn um eine Million
Kronen verkaufte. „Sie glaub-
ten, sich mit diesem Geld
einen sorgenlosen Lebensabend
finanzieren zu können. Nach
der Inflation war der Erlös vom
Hotelverkauf nur noch zwei
Packln Tabak wert. Die Jesa-
chers starben als arme Leute.“
Ende 1924 wurde die Schil-
lingwährung eingeführt. Für
10.000 Papierkronen bekam
man nur mehr einen Schilling.
Anschließend folgten die Not-
jahre der Zwischenkriegszeit.
Martina Holzer
Sommer 1944: Maria Leiter mit ihren damals sieben Kindern, ihre jüngste Tochter Notburga kam
1946 zur Welt. V. l.: Engelbert, Anna, Peter, Josef, Maria mit Aloisia und Bernhard.