PROJEKT
PUSTERTALER VOLLTREFFER
APRIL/MAI 2018
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Alzheimer ist eine Erkran-
kung, die zu einem zu-
nehmenden Verlust von
geistigen Fähigkeiten
und Hirnfunktionen führt.
Irgendwann können die
Erkrankten nicht mehr
selbst für sich sorgen.
Alzheimer gilt als unheil-
bar. Doch Dr. Michael
Nehls, Molekulargeneti-
ker, Alzheimerforscher
und Bestsellerautor, sagt:
„Alzheimer ist heilbar“.
Nehls, der am 11. Mai in
Toblach dazu einen
Vortrag hält, im
„PVT“-Interview.
Herr Dr. Nehls, muss man im
Alter immer mit Alzheimer rech-
nen?
Nehls:
„Alzheimer ist von der
Natur aus nicht vorgesehen.
Unser Gehirn ist dafür gemacht,
bis ins höchste Alter geistig fit zu
sein. Wir sehen es etwa an Kul-
turen in Japan, etwa in Okinawa,
wo die Menschen noch so leben,
wie die Natur es von uns erwar-
tet. Viel körperliche Arbeit, viele
soziale Kontakte, gute Ernährung
und anderes mehr. Dort ist die
Wahrscheinlichkeit 100 Jahre alt
zu werden, um 30 Mal höher als
braucht es Gehirnzellen, die
diese Erfahrung abspeichern.
Also ist es sinnvoll, dass diese
hormonellen Faktoren, die etwa
die Muskeln freisetzen, ins Ge-
hirn gelangen und diese Zellen
zum Wachstum anregen. Man
braucht aber auch Materialzum
‚Bauen‘ der Zellen. Dazu gehört
das Cholesterin. Deshalb sollte
man es nicht unendlich senken.
Ein weiterer sehr wichtiger Bau-
stein, der bei sehr vielen Men-
schen fehlt, ist die Omega 3-Fett-
säure, die etwa im Fisch enthal-
ten ist. Es gibt natürlich auch
Nährstoffe, die das Gehirn benö-
tigt und anderes mehr. Auch aus-
reichend Schlaf ist sehr wichtig.
Denn Hirnwachstum findet nur
im Schlaf statt, gleichzeitig auch
die Reinigung des Gehirns.“
Wieviel Bewegung braucht
man?
Nehls:
„Bei der Bewegung
geht es nicht darum, einmal
schnell für eine halbe Stunde ins
Fitnesscenter zu gehen, um dann
wieder den ganzen Tag auf dem
Stuhl zu sitzen, sondern es gilt,
die Passivität unseres Lebens zu
reduzieren. Der Jäger und Samm-
ler war kein Marathonläufer. Die
tatsächliche Bewegung war zu
Fuß gehen, um große Bereiche
und Areale nach Nahrung abzu-
suchen. Spazierengehen senkt
das Alzheimer-Risiko drastisch.“
Sie sagen ja auch, dass Hirn-
zellen „soziale Wesen“ sind?
Man kann einiges gegen Alzheimer tun
Molekulargenetiker, Alzheimerforscher und Bestsellerautor Dr.
Michael Nehls.
Foto: Sabine Nehls
in Deutschland. Wenn etwa die
Menschen in Okinawa nach
Amerika übersiedeln und die
dortige Kultur annehmen, dann
steigt das Alzheimerrisiko auf
jenes der Amerikaner.“
Die Lebensführung ist also
ganz entscheidend, ob man an
Alzheimer erkrankt oder nicht.
Sie behaupten sogar, dass Alz-
heimer heilbar ist.
Nehls:
„Ja. Voraussetzung
dafür ist aber, dass die Krankheit
rechtzeitig erkannt wird und
man zeitgerecht in ein gesundes
Leben zurückkommt. Ein Ge-
hirn, das durch Alzheimer völlig
zerstört ist, kann man nicht
mehr reparieren. Aber solange
die Krankheit noch auf einem
kleinen Bereich im Hirn, im so-
genannten Hippocampus (Zen-
trale für unser emotionales Erin-
nern), lokalisiert ist, man erst
Erinnerungsprobleme aber noch
keine Probleme im logischen
Denken hat, solange ist Alzhei-
mer heilbar.“
Also Alzheimer beginnt dort,
wo unsere Erinnerungen aufge-
zeichnet werden, im Hippocam-
pus?
Nehls:
„Ja. Aber die täglichen
Erinnerungen und Gedanken,
nicht das Vokabeln- oder Musik-
stücklernen. Die Natur hat dafür
gesorgt, dass es im Hippocampus
eine Nervenzellenneubildung
gibt. Das heißt, der Hippocam-
pus kann bis ins höchste Alter
täglich Tausende von neuen
Hirnzellen bilden. Sie haben
zwei Aufgaben: Einerseits die
neuen Erinnerungen zu sammeln
und als Erfahrungswissen abzu-
speichern und andererseits auch
unseren Stress, unsere Stim-
mungslage, zu regulieren. Immer
wenn diese Hirnzellen nicht ge-
bildet werden, haben wir Pro-
bleme mit der Erinnerung und
gleichzeitig sind wir weniger
stressrestistent. Dieser Mangel an
Stressresisstenz sorgt dafür, dass
wir in der ganz frühen Phase von
Alzheimer vergesslich sind und
Angst vor neuen Situation haben.
Deshalb wird die frühe Phase
von Alzheimer auch häufig mit
einer Depression verwechselt.
Antidepressiva haben allerdings
keine andere Aufgabe als die
Neubildung der Nervenzellen im
Hippocampus anzuregen.“
Wie sollte die Lebensführung
sein, um das Risiko an Alzhei-
mer zu erkranken, zu minimie-
ren?
Nehls:
„Es fängt bei der rich-
tigen Ernährung an. Viel Obst,
Gemüse – solange es biologische
Qualität hat. Aber es soll dem
Gehirn auch nichts zugeführt
werden, was ihm schadet. Etwa
Fette, die Entzündungen im Ge-
hirn steigern, wie man sie in
Wurst oder Butter findet. Das
stört die Bildung neuer Hirnstel-
len. Auch fettreiche Milchpro-
dukte sollte man massiv ein-
schränken. Dafür Rapsöl oder
Olivenöl verwenden. Dann ist die
Bewegung ein weiterer wichtige-
rer Faktor. Von ihr wissen wir,
dass sie jede Menge hormonelle
Faktoren freisetzt, die dem Ge-
hirn signalisieren, dass man sich
bewegt, also, dass es jetzt mit Er-
fahrung zu rechnen muss. Wenn
es mit Erfahrung rechnen kann,
Nehls:
„Ja, sie verkümmern –
so wie wir auch – wenn sie iso-
liert sind. Sie können beim Her-
anwachsen nur überleben, wenn
sie Kontakt zu anderen Hirnzel-
len haben. Diese Kontakte wer-
den unsere Erinnerungen. Das
heißt: Nur wenn ich Erinnerun-
gen schaffe, schaffe ich auch sol-
che Kontakte und diese Kontakte
sind gleichzeitig auch das Signal
für diese Gehirnzellen: ‚Bitte
bleibt da, wir brauchen dich!‘
Das heißt, wir müssen selbst so-
ziale Kontakte pflegen, um diese
Kontakte im Gehirn zu schaffen.“
Wie sollten die sozialen Kon-
takte, die wir selbst pflegen, aus-
schauen?
Nehls:
„Sie sollten unser Ge-
hirn stimulieren. Vor allem das
persönliche Sprechen mit ande-
ren Leuten, das Interagieren mit
anderen Menschen. Das gilt mas-
siv für die Zeit, wenn man in die
Rente kommt. Da muss man sich
Aufgaben suchen. Und nicht nur
Bücher lesen, sondern darüber
nachdenken und es anderen Leu-
ten erzählen.“