LEBENSGESCHICHTE
PUSTERTALER VOLLTREFFER
MAI/JUNI 2017
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„Volksbote“ als Blatt für die
Bauern und die Landbevölke-
rung wuchs ihm schnell ans
Herz, aber die „Brixner Chro-
nik“ mit ihrem häufigeren
Erscheinen für das städtische
Publikum empfand er als große
Belastung, die er gern abgeben
wollte. Reimmichl führte einen
ausgedehnten Briefwechsel mit
den Lesern. Jede Woche brachte
der Briefträger an die 100 und
mehr Briefe ins Grieser Widum.
„Brief an die Redaktion“
Da er aus Zeitgründen nicht
jedem mit einem ausführlichen
Brief antworten konnte, forderte
er die Schreiber auf, am Ende des
Briefes neben der Unterschrift
einen Buchstaben oder ein Pseu-
donym zu setzen. Er, Reimmichl,
werde dann in einer der nächsten
Ausgaben in der Rubrik „Brief
an die Redaktion“ unter dem
jeweiligen Buchstaben oder
Pseudonym eine kurze Antwort
geben, ohne dass der Schreiber
der Öffentlichkeit bekannt
würde. Reimmichls Antworten
lasen sich dann zum Beispiel so:
R: Der junge Mann ist eh
schon genug gestraft. Warum
denn die Sache noch in die
Zeitung bringen?
T.S: Für längere Erntebe-
richte ist jetzt Anfang Winter je-
denfalls keine Zeit mehr. Ein
Witzbold hat dem Michl ehe-
dem schon gesagt, er soll das
Bötl umtaufen in „Heublattl“
oder „Grummetzeitung“.
L. S.: Den Beitrag kann ich
nicht bringen, sonst landen wir
beide im Kriminal.
Z. S.: Sein Porträt kann der
Michl nicht ins Bötl drucken
lassen, das wäre gegen alle Be-
scheidenheit; euch ein Porträt
schicken kann er ebenfalls
nicht, weil er selbst keines be-
sitzt. Übrigens hat der Michl
ein kohlschwarzes Gesicht. Ihr
würdet euch fürchten.
Überrascht oder
enttäuscht
Muigg: „Reimmichl konnte
sich sehr amüsieren, wenn
Leute in seiner Anwesenheit
rätselten, wer und wo denn der
Reimmichl sei. Wenn sie ihn
dann kennenlernten, waren
viele im ersten Moment über-
rascht, wenn nicht gar ent-
täuscht. Hatten sie sich doch
einen kraftvollen, kernigen Ti-
roler, groß, würdig, vielleicht
Einstmals war ich körperlich
ganz heruntergekommen und
geistig halb welk. Mir ekelte vor
dem Essen, und jeder Bissen lag
mir bleiklumpenschwer im
Magen. Ich war hinfällig und
schwach wie ein Halm, die Beine
wackelten mir, die Hände zitter-
ten beim Schreiben, der Kopf
summte und brummte wie ein
Hummelnest. In der Nacht hatte
ich schwere Träume und
schreckte oft jäh aus dem
Schlafe, weil ich glaubte, es sei
ein Böller neben meinem Kopf
abgeschossen worden. Heute
ging der Puls langsam wie eine
Schwarzwälderuhr, morgen wie-
der schnell wie eine Tippma-
schine, als hätte er’s auf dem Ak-
kord und müsste das Versäumte
doppelt nachholen. Ich hatte
einen Humor wie ein Uhu im
Käfig, jede Kleinigkeit brachte
mich in Harnisch, selbst die
Fliege, die übers Papier kroch,
ärgerte mich. Weh tat mir nichts
und alles, am meisten bissen
mich die Haare auf dem Kopf.
Ich konnte wenig oder nichts ar-
beiten, jeder Gedanke vertrock-
nete mir im Gehirn, und wenn ich
eine halbe Stunde schrieb, rann
mir der kalte Schweiß über die
Stirn. Und ich wurde immer arm-
seliger, sodass mir schließlich
fast das Leben verleidete. Alle
Doktoren, die ich befragte, sag-
ten mir haargenau, was die Ur-
sache meiner Krankheit sei. Das
wusste ich aber selbst am besten.
Mir war von dem vielen Stuben-
hocken, Tintenschmecken, Pfei-
fenheizen,
Nachtwächtern,
Fleischessen und dergleichen
löblichen Gewohnheiten der Le-
benssaft abgestanden. Die
Kuren, die mir die Ärzte ver-
schrieben, mochte ich nicht an-
wenden, weil sie mir viel zu un-
bequem erschienen, dafür
schluckte ich gut um einen Hun-
derter Pillen, Pulver und Mixtu-
ren, wie sie in den Zeitungen an-
gepriesen wurden, und mein Zu-
stand wurde von Tag zu Tag
miserabler. Da sagte mir ein
Doktor, der zugleich mein lieber
Freund war, er wisse ein leichtes
Mittel, das mir unfehlbar helfen
werde. Ich soll auf die Alm
gehen, vierzehn Tage droben
bleiben, nichts lesen, nichts
schreiben, mit den Almerern
essen und trinken und wie ein Al-
merer leben. Das kam mir aber
äußerst langweilig vor, vor
allem, dass ich nichts lesen
sollte. Mein ärztlicher Freund er-
klärte, ihm sei es gleich, aber
wenn ich grad extra und absolut
krank bleiben und arbeitsunfähig
werden und frühzeitig ins Gras
beißen wolle, dann soll ich nur
so weitermachen und meinem
Querschädel folgen. Nun wurde
mir doch etwas schwulig über
dem Nasengipfel, und drei Tage
später befand ich mich richtig
auf demWeg in die Alm. Das war
aber ein richtiger Kreuzweg.
Dreiviertel Jahr lang hatte ich
keinen größeren Spaziergang
mehr gemacht, weil ich das
Fußtrappen überhaupt nicht
liebte, und jetzt brachte ich
meine Hölzer fast nicht weiter.
Ich schwitzte wie eine Kartoffel
in der Pfanne, nein, wie ein
Kamel, nein, wie ein Elefant –
das ist alles noch viel zu wenig
gesagt – ich schwitzte das letzte
Tröpflein Schmalz, ja fast die
Seele heraus. Erst nach vier
Stunden war ich über dem Wald.
Ich trabte weiter und kam nach
anderthalb Stunden matt, halb
verschmachtet in die Glader
Alm, wo ich sehr freundlich auf-
genommen wurde. Ich aß eine
Schüssel voll Milchfrigelsuppe,
dazu ein Stück kieselhartes, kohl-
schwarzes Brot, dann legte ich
Auf der hohen Alm
Reimmichl plagte im Jahre 1898 ein Lungenleiden. Endgültige Heilung fand
er nach eigenen Worten erst, als er mit dem berühmten Maler Franz von
Defregger, mit dem ihn eine herzliche Freundschaft verband, eine Woche
auf einer Alm verbrachte. Dieses Erlebnis verarbeitete Reimmichl in einer
kleinen Erzählung:
Tausende aus dem ganzen Land kamen zum Reimmichl-Begräbnis.
Foto: Archiv